Frage an Christoph Strässer von Tilo M. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Hr Strässer,
Welche Position nehmen Sie zur Verlängerung des ISAF-Mandates ein und wie begründen Sie diese?
Mit freundlichen Grüßen,
Tilo Meißner
Sehr geehrter Herr Meißner,
Ich habe im Oktober 2007 dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO zugestimmt.
Ich teile die Ansicht der Bundesregierung, dass ISAF für die Herstellung von Frieden und Sicherheit in Afghanistan einen essentiellen Beitrag leistet.
Die deutsche Bundeswehr unter ISAF und die teilweise unter ihrem Schutz arbeitenden NGOs leisten eine sehr gute und für die Stabilisierung Afghanistans unverzichtbare Arbeit.
Ich begrüße das bisherige Engagement der Bundesregierung in diesem Bereich, aber es muss deutlich ausgeweitet werden und dabei im Besonderen im zivilen Bereich. Das Hauptziel muss es sein, staatliche Strukturen weiter aufzubauen und die Armut zu verringern.
Viele Erfolge – z.B. im Bereich der Mädchenbildung oder der Verbesserung der Infrastruktur – sind durch die Verschlechterung der Sicherheitslage in den meisten Provinzen Afghanistans gefährdet. Die Regierung Karsai wird zudem in weiten Teilen des Landes nicht wahrgenommen. Kaum jemand weiß über seine verfassungsmäßigen Rechte Bescheid. Die Verabschiedung des Amnestiegesetzes, mit dem die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen endgültig verhindert wurde und die Verstrickung der Regierung und des Parlamentes in Drogengeschäfte nehmen beiden Institutionen zusätzlich Glaubwürdigkeit. Darüber hinaus ist die afghanische Bevölkerung zunehmend frustriert über das Tempo, in dem die Verbesserungen für sie persönlich greifbar werden.
Das ist verständlich, dennoch ist das Grundproblem, dass immer noch moderne staatliche Institutionen auch auf den unteren Provinz- und Distriktebenen fehlen oder nicht voll funktionieren. Ohne sie ist aber weder Frieden noch eine Demokratisierung oder eine stabile wirtschaftliche Entwicklung des Landes möglich.
Dieses fehlende staatliche Gewaltmonopol kann nicht durch die simple Einrichtung entsprechender Institutionen und auch nicht durch militärische Gewalt hergestellt werden. Es fehlen demokratische Rechts- und Gerechtigkeitskonzeptionen sowie institutionalisierte, als legitim verstandene Konfliktaustragungsmechanismen. In diesem Punkt mangelt es im gesamten internationalen Engagement noch.
Der afghanische Staat muss in die Lage versetzt werden, dass er die Lebenssituation der Afghanen und Afghaninnen tatsächlich verbessern kann, in dem er Sicherheit herstellt, Rechtsgleichheit gewährleistet und als Dienstleistungserbringer (Bildung, Infrastruktur, Gesundheitsversorgung, soziale Absicherung) funktioniert.
Fest steht für mich: Eine Politik gegen die zivile afghanische Bevölkerung wird nicht zum Erfolg führen. Die Strategie der Vermeidung sogenannte „Kollateralschäden“ muss künftig Teil jedes Mandates sein.
Die Sinnhaftigkeit militärischer Operationen muss auch für die afghanische Bevölkerung erkennbar sein. Ihr fällt es zunehmend schwerer, die einzelnen Mandate und ihre Aktionen auseinander zu halten.
Den Einsatz deutscher Recce-Tornados, welcher unter das ISAF-Mandat fällt, hatte ich im März 2007 noch abgelehnt.
Ich bin mittlerweile der Auffassung, dass die Einsatzbedingungen und die Verwendung gewonnener Informationen aus den Tornadoeinsätzen für den ISAF-Einsatz adäquat geregelt sind und teile nicht die Zweifel einer möglichen Zweckentfremdung oder eines Missbrauchs von Daten zu Zwecken, die außerhalb des ISAF-Einsatzes liegen.
Ich befürchte jedoch nach wie vor, dass aufgrund dieses Einsatzes deutsche Soldaten mit Kriegsoperationen in Verbindung gebracht werden könnten, auf deren Planung und Durchführung sie keinerlei Einfluss haben. Mehrere hundert Tornadoeinsätze, die der Absicherung des ISAF-Mandates und des Wiederaufbau Afghanistans dienen, könnten durch die Bevölkerung Afghanistans fehlgedeutet und mit anderen Einsätzen in Verbindung gebracht werden. In diesem Zusammenhang könnte die Gefahr bestehen, dass der Tornadoeinsatz die gute und wichtige Arbeit deutscher Hilfsorganisationen gefährdet. Ich hoffe, dass ich mit dieser Einschätzung nicht Recht habe.
Mit freundlichen Grüßen
Christop Strässer MdB