Frage an Christoph Strässer von Tobias S. bezüglich Verkehr
Sehr geehrter Herr Strässer,
die Deutsche Bahn soll zur Hälfte privatisiert werden - zu einem Spottpreis. Obwohl sie nach Schätzungen des Verkehrsministeriums mindestens 100 Milliarden Euro wert ist, rechnet Bahnchef Mehdorn sie unter 20 Milliarden. Die Differenz - hintenübergefallen zu Lasten des deutschen Steuerzahlers? Desjenigen deutschen Steuerzahlers - daran sei hier erinnert - der die deutsche Bahn im Rahmen der Bahnreform 1994 erst entschuldet hatte!
Seit 2002 hat die deutsche Bahn Schenker, Teile der niederländischen, britischen und spanischen Güterbahn und einen Spediteur aus Kalifornien aufgekauft und Herr Mehdorn darf den Global Player spielen. Ich reibe mir verdutzt die Augen und frage mich, ob es sein muss, dass die Bahn auf der anderen Seite der Welt einen Speditionskonzern kauft, während im Münsterland mancher Nahverkehrszug herumfährt, der älter ist als ich. Ich sage es ganz ehrlich: Ja, ich will einen behäbigen Staatskonzern, der auch am Wochenende kleine Strecken auf dem Land bedient. Nein, ich erwarte nicht dass das rentabel ist. Es darf nicht zur Aufgabe der Bahn werden, rentabel um jeden Preis zu sein.
Während die rechte Spur einer deutschen Autobahn bald nur noch den LKWs gehört, wird die Bahn - die ja auch zur Gestaltung einer ökologischen Verkehrspolitik benutzt werden könnte - verschenkt. Verschenkt an neue Eigentümer, die unrentable Strecken dichtmachen und kleine Bahnhöfe verkommen lassen werden.
Zur Renditeerhöhung noch die Preise etwas angehoben: dann wäre es gelungen, den Deutschen ihr Eigentum wegzunehmen, um es ihnen anschließend in minderer Qualität zum teureren Preis vorzusetzen. Diese Politik trägt die große Koalition unter SPD-Beteiligung, diese Politik trägt maßgeblich Herr Tiefensee, SPD.
Wie stehen Sie dazu, Herr Strässer?
Mit freundlichen Grüßen,
Tobias Steinkamp
Sehr geehrte Herr Steinkamp,
für Ihre Anfrage zum Thema Bahnreform danke ich Ihnen. Bitte verstehen Sie meine Antwort als eine vorläufige, denn mit Blick auf die Reform der Deutschen Bahn AG haben sich in den letzten Wochen derart viele Veränderungen ergeben, die es abzuwarten und zu bewerten gilt.
In jedem Fall hat der Bundesparteitag der SPD aber ein klares Votum abgegeben und sich eindeutig festgelegt: „Private Investoren dürfen keinen Einfluss auf die Unternehmenspolitik der Bahn ausüben.“
Seit dem Hamburger Parteitag werden durch den Bahnvorstand allerdings Wege gesucht, Modelle zu entwerfen, wie dieser Beschluss umgangen werden kann. Derzeit wird ein Holding-Modell diskutiert. Es sollen unterhalb der DB AG zwei Gesellschaften gegründet werden. In einer soll die Infrastruktur zusammengefasst werden, in der anderen der Fahrbetrieb und die Logistik. Diese soll dann bis zu 49 Prozent verkauft werden. Gleichzeitig wird teilweise behauptet, dieses Modell bedürfe keiner Beteiligung des Parlaments, sondern nur einer Zustimmung des Aufsichtsrates.
Die verschiedenen diskutierten Modelle lassen viele Fragen und Kritikpunkte offen. Die DB AG ist das letzte große Volksvermögen, an dem Private beteiligt werden sollen. Ich glaube, dass es mit unserem Selbstverständnis als Parlamentarier nicht vereinbar ist, wenn das Parlament bei einer solch wichtigen Entscheidung kein Mitspracherecht hätte.
Ich persönlich habe mich in meinem Wahlkreis und auf verschiedenen Veranstaltungen über ein breites Meinungsspektrum informieren können. In der Diskussion um die Bahnreform und einer möglichen Privatisierung ist auf jeden Fall zu beachten, welche Konsequenzen dies für die Angestellten und Kunden haben wird. Zugleich trete ich für die Beibehaltung des Art. 87e GG in seiner bisherigen Form ein. Dieser Artikel besagt, dass der Bund „gewährleistet, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz […] Rechnung getragen wird.“ Das heißt, dem Bund obliegt die Verantwortung für die Infrastruktur und das Schienennetz und die Verfügungsgewalt über diese Teilbereiche liegt in staatlicher Hand.
Für den Moment gilt es, die neu zur Diskussion gestellten Modelle zunächst einmal kritisch zu bewerten und vor allem dort zu debattieren, wo es angemessen ist: im Parlament.
Bis dahin verbleibe ich mit freundlichen Grüßen
Christoph Strässer