Frage an Christoph Strässer von Konrad B. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Strässer,
Sie haben im Deutschen Bundestag der Rente mit 67 zugestimmt, obwohl Sie - wie Sie öffentlich bekundet haben - damit nicht einverstanden sind. Begründet haben Sie Ihre Zustimmung mit der Fraktionsdisziplin. Sie haben somit gegen Ihre innere Überzeugung abgestimmt. Wofür brauchen wir über 600 Abgeordnete, wenn in wirklich wichtigen Fragen der Nation doch nur der Fraktionszwang zählt? In diesem Fall kann man sich jede förmliche Abstimmung sparen, da in der Mehrzahl der Fälle das Abstimmungsergebnis von vornherein feststeht Die Abgeordneten degradieren sich durch den Franktionszwang selbst zu Statisten und verdienen nicht das Vertrauen, dass ihre Wähler einmal in sie gesetzt haben.
Was empfindet ein Abgeordneter, wenn er gegen sein Gewissen entscheidet? Halten Sie den Franktionszwang mit dem freien Mandat eines gewählten Abgeordneten moralisch für legitim?
Mit freundlichen Grüßen
K. Burwick
Sehr geehrter Herr Burwick,
für Ihre Anfrage über das Forum abgeordnetenwatch.de danke ich Ihnen und möchte Ihnen wie folgt antworten.
Nach langer, gründlicher Überlegung habe ich trotz grundlegender Bedenken bei der namentlichen Abstimmung der „Rente ab 67“ zu gestimmt, nachdem ich mit anderen Kolleginnen und Kollegen bei einer entsprechenden Abstimmung in der SPD-Bundestagsfraktion deutlich unterlegen war.
Meine Zustimmung sehe ich durch die zusätzlichen Überlegungen und Maßnahmen, die durch den Beschluss der SPD-Bundestagsfraktion vom 06. März 2007 beschlossen sind, als gerechtfertigt. Im Einzelnen handelt es sich hierbei um folgende Grundgedanken: Ohne eine klar erkennbare und nicht nur theoretische Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten Älterer muss im Jahr 2009 von der „Revisionsklausel“ Gebrauch gemacht und die Anhebung der Altersgrenze gestoppt werden. Die Arbeitsbedingungen und die gesundheitsschonende Gestaltung der Arbeitsplätze sind gezielt voranzutreiben. Die Übergänge in den Ruhestand ab dem 55. Lebensjahr sind weiterhin flexibel zu gestalten, ein gleitender Übergang muss möglich bleiben. Ein zumindest anteiliger Rentenbezug ab dem 60. Lebensjahr muss möglich sein, für Versicherte mit 35 Beschäftigungsjahren muss es wie gegenwärtig möglich sein, mit 63 in Altersrente zu gehen. Die Teilrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bei gleitenden Altersübergangsmodellen muss attraktiver gestaltet werden. Dazu zählen auch verbesserte Zuverdienstmöglichkeiten sowie weitere Möglichkeiten zur Aufstockung des Rentenversicherungsbeitrages. Insbesondere in Bereichen mit körperlich und/oder psychisch stark belastenden Tätigkeiten sollte die Möglichkeit von Zusatzbeiträgen zur Rentenversicherung geschaffen werden. Es gehört auch dazu, dass ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit gesundheitlichen Einschränkungen die Möglichkeit erhalten, den Umfang ihrer Erwerbstätigkeit ihrem Leistungsvermögen anzupassen.
Des Weiteren fragen Sie nach der Vereinbarkeit eines Fraktionszwangs mit dem freien Mandat des Abgeordneten. Zunächst sind die oben genannten Gründe als das ausschlaggebende Argument für mein positives Abstimmungsverhalten zu verstehen. Zum Thema Fraktionszwang möchte ich anmerken, dass nur durch eine gewisse Disziplin in den Fraktionen Politik planbar bleibt. Zum einen für die Regierung und das Parlament, da so verhindert werden kann, dass einzelne Abgeordnete durch Enthaltungen oder Ablehnungen Gesetzentwürfe der eigenen Fraktion blockieren oder verhindern. Zum anderen für den Bürger selbst. Nur durch das erkennbare Profil einer Partei, was u.a. durch ein einheitliches Abstimmungsverhalten öffentlich deutlich gemacht wird, kann sich der Bürger bei seiner Wahlentscheidung orientieren und Verlässlichkeit erwarten. Als Träger des ungebundenen Mandats im Deutschen Bundestag bin ich mir darüber im Klaren, dass ich meine Entscheidung stets im Spannungsverhältnis zwischen Repräsentation des Volkswillen, den Notwendigkeiten eines funktionierenden stabilen Parlamentarismus und meinem eigenen Gewissens treffen muss. Dem Grundgesetz nach bin ich nur meinem Gewissen verpflichtet. So gilt es für mich immer zuerst die Frage zu beantworten, ob eine politische Entscheidung den Rang einer Gewissensentscheidung erreicht oder eben nicht. Ich habe mich mit der Zustimmung zur „Rente mit 67“ damit den Grundregeln über die Zusammenarbeit in der Fraktion, denen ich freiwillig zugestimmt habe, unterworfen. Da das geplante Gesetzesvorhaben trotz weiter bestehender Bedenken für mich nicht den Rang einer „Gewissensentscheidung“ hat, habe ich als Mitglied der Fraktion zugestimmt. Anders war es bei der Abstimmung zur Entsendung der Tornados nach Afghanistan. Hier habe ich als Sprecher für Menschenrechte der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag aufgrund von inhaltlichen Vorbehalten gegenüber einer Ausweitung des Einsatzes gegen die Beschlussempfehlung der eigenen Fraktion votiert.
Ich hoffe, dass ich Ihre Frage hinreichend beantworten konnte.
Mit freundlichen Grüßen