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Christoph Strässer
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Frage von Lars B. •

Frage an Christoph Strässer von Lars B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Strässer,

soeben habe ich die Bundestagsdrucksache 18/2646 vom 24. September 2014 gelesen. Es geht dort um einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Bundestag möge der Bundesregierung aufgeben, sich für eine Herausnahme der umstrittenen Schiedsgerichtsregelungen aus CETA und TTIP einsetzen. In der genannten Drucksache, einer Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses zu eben diesem Antrag findet sich folgender Absatz:

"Die Fraktion der SPD betonte, dass die Regelungen zu Schiedsgerichtsverfahren und Investorenschutz aus TTIP und CETA herausgenommen werden müssten. Der Antrag sei aber abzulehnen, da er zum falschen Zeitpunkt komme. Diskutiert werden müssten die fertigen Abkommen, wenn diese im Bundestag zur Debatte stünden. Wer über CETA und TTIP reden wolle, müsse zunächst die positiven Seiten darstellen und anschließend die roten Linien definieren."

Ich muss mich sehr zusammenreißen, um angesichts dieser Aussagen nicht ausfallend zu werden. Was soll das anderes sein als der Versuch, später noch sagen zu können: Wir hätten die Schiedsgerichte nicht gewollt, aber deswegen wollten wir nicht das ganze, fertig ausgehandelte Abkommen ablehnen und haben daher schweren Herzens zugestimmt?

Können Sie mir irgendeine Erklärung dafür geben, warum es besser sein soll, ein Abkommen mit für die Demokratie höchst kritischen Regelungen fertig zu verhandeln, und dann in letzter Minute zu versuchen, diese Regelungen aus dem fertigen Text noch herauszunehmen, als von vornherein dem Verhandlungspartner klar zu sagen, dass man diese Regelungen nicht akzeptieren kann?

Haben Sie denn als mein Abgeordneter, wenn Sie einmal ganz ehrlich sind, beim Lesen solcher "Argumente" nicht das Gefühl, dass die SPD die Bürger nur täuschen möchte?

Mit freundlichen Grüßen
Lars Brennicke

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Brennicke,

vielen Dank für Ihr Schreiben in dem Sie sich kritisch zu den Verhandlungen für ein Handels- und Investitionsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) sowie Kanada (CETA) äußern. Die geplanten Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP) und Kanada (CETA) werden derzeit in der Öffentlichkeit intensiv diskutiert. Viele Bürgerinnen und Bürger, Gewerkschaften, NGOs, Verbraucher- oder Umweltschutzverbände äußern dabei auch Vorbehalte und Sorgen. Als SPD sagen wir klar: Wir nehmen diese Sorgen ernst. Wir wollen eine offene, sachorientierte Debatte über die Chancen und Risiken der Freihandelsabkommen – in unserer Partei und darüber hinaus.

SPD-Konvent formuliert klare Erwartungen

Dafür haben wir bei unserem letzten Parteikonvent einen wichtigen weiteren Impuls gegeben. Der Parteikonvent hat mit großer Mehrheit einen Beschluss angenommen, der einen notwendigen breiten Diskussionsprozess innerhalb der SPD und mit den wichtigen gesellschaftlichen Akteuren und Meinungsträgern beschreibt. Zudem benennt der Beschluss klare inhaltliche Erwartungen der SPD an die TTIP-Verhandlungen.

Der Parteikonvent hat sich damit hinter die Anforderungen aus einem gemeinsamen Positionspapier von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann als grundlegende Positionierung für die weiteren Verhandlungen gestellt. Und: Der Parteikonvent hat zugleich deutlich gemacht, dass die im Beschluss enthaltenen Ziele und Anforderungen an TTIP auch unsere Maßgaben für das Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA) sind.

Der Beschluss macht klar: TTIP ist dann eine Chance, wenn es gelingt, es zum Hebel für eine bessere politische und soziale Gestaltung der wirtschaftlichen Globalisierung zu machen. Und wenn es gelingt, über TTIP nachvollziehbar Impulse für Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand in Europa und den USA zu geben. TTIP darf aber umgekehrt nicht Einfallstor dafür sein: Dass Arbeitnehmerrechte geschliffen werden. Dass die öffentliche Daseinsvorsorge eingeschränkt wird. Dass das hohe europäische Niveau beim Verbraucher-, Umwelt- oder Tierschutz ausgehöhlt wird. Dass Unternehmen und private Investoren vor internationalen Schiedsstellen rechtsstaatliche Standards und demokratische politische Regelungen zum Schutz von Gemeinwohlzielen aushebeln können. Oder dass die kulturelle Vielfalt und die öffentliche Kultur- und Medienförderung beeinträchtigt werden.

Stattdessen muss unser Grundsatz gelten: Wirtschaft und Handel müssen sich demokratischen Spielregeln unterwerfen. Unser Ziel ist es daher, möglichst fortschrittliche arbeitsrechtliche, soziale und ökologische Standards in den bilateralen und internationalen Handelsbeziehungen zu verankern.

Der weitere Fahrplan bei TTIP und CETA

Die Verhandlungen zu TTIP laufen seit Juli 2013. Seitdem wird in verschiedenen Verhandlungsrunden über Marktzugang, regulatorische Fragen und Handelsregeln verhandelt. Bislang haben sechs Verhandlungsrunden stattgefunden. Die siebte Verhandlungsrunde findet vom 29. 9. – 3. 10. 2014 in den USA statt. Mit abschließenden Verhandlungsergebnissen ist allerdings frühestens Ende 2015 zu rechnen. Die politischen Entscheidungen auf europäischer und nationaler Ebene würden erst in den Jahren danach, also 2016/17 erfolgen. Das Freihandelsabkommen mit Kanada CETA ist zwar bereits deutlich weiter fortgeschritten, aber noch nicht paraphiert worden. Wir erachten den Prozess noch nicht als abgeschlossen. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, sich noch für Nachbesserungen bei CETA politisch einzusetzen. Wir wollen insbesondere erreichen, dass bei CETA keine privaten Schiedsgerichte eingeschaltet werden können. Die politischen Entscheidungen zu CETA im Europäischen Rat und Europäischen Parlament stehen dann frühestens Ende 2015 an. An eine Zustimmung auf europäischer Ebene schließt sich eine Ratifizierung in allen 28 EU-Mitgliedstaaten an, was erfahrungsgemäß mindestens 2 Jahre dauern dürfte. Da es sich bei CETA nach der Rechtsauffassung der Bundesregierung um ein sogenanntes „gemischtes Abkommen“ handelt, muss die Beschlussfassung im europäischen Rat einstimmig erfolgen und müssen in Deutschland letztlich Bundestag und Bundesrat dem Abkommen zustimmen. Diese Rechtsauffassung wird durch ein Gutachten bestätigt, das das Bundeswirtschaftsministerium in dieser Woche vorgelegt hat. Ein zweites Gutachten, das das Bundeswirtschaftsministerium vorgestellt hat, betrifft den Bereich des Investoren-schutzes im Freihandelsabkommen CETA. Bundeswirtschaftsminister Gabriel hat für die Bundesregierung bereits grundsätzlich deutlich gemacht, dass spezielle Vorschriften zum Investitionsschutz und Investor¬Staat-Schiedsverfahren in Freihandelsabkommen zwischen Staaten mit entwickeltem Rechtssystem nicht erforderlich sind und nicht eingeführt werden sollten. Deswegen sind Schiedsgerichte überflüssig. Die Bundesregierung hat diese Auffassung im Zusammenhang mit den Verhandlungen zu CETA gegenüber der EU-Kommission und in den Ratsgremien wiederholt vorgetragen und deutlich gemacht, hierfür auch weiterhin einzutreten.

Ungeachtet dieser Auffassung, dass spezielle Regelungen zum Investitionsschutz grundsätzlich nicht erforderlich sind, kommt ein nun vorgestelltes Gutachten zum Investorenschutz speziell bei CETA zu dem Schluss, dass die darin vorgesehenen Investorenschutzbestimmungen den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers nicht stärker einschränken, als es durch die bestehenden Vorschriften des deutschen Rechts der Fall ist. Demnach bleibt der durch CETA gewährte völkerrechtliche Schutz kanadischer Investitionen in einigen Punkten deutlich hinter dem deutschen Verfassungs- und Unionsrecht zurück. Das heißt, dass Investoren in Deutschland nicht erfolgreich gegen die dem Allgemeinwohl dienenden Gesetze klagen können. Im Hinblick auf den Marktzugang scheide die Anrufung eines Schiedsgerichts sogar aus. Das Gutachten kommt somit zu dem Schluss: Der gesetzgeberische Handlungsspielraum zum Schutz öffentlicher Interessen wie nationale Sicherheit, Umwelt, öffentliche Gesundheit bleibe gewahrt.

Die SPD wird sich mit den wichtigen politischen und wirtschaftlichen Fragen im Zusammenhang mit TTIP und CETA weiter intensiv beschäftigen, wobei sowohl die Chancen als auch die Risiken und Herausforderungen der Abkommen thematisiert werden müssen. Klar ist: Zur Vorbereitung politischer Entscheidungen muss die Möglichkeit zur Diskussion, Meinungsbildung und Mitsprache bestehen. Dass Bundeswirtschaftsminister Gabriel mittlerweile einen TTIP-Beirat eingerichtet hat, in dem Gewerkschaften, Unternehmervertreter, Kultur-, Verbraucher- und Umweltverbände sowie weitere wichtige Gruppen vertreten sind, ist ein wichtiger Fortschritt für mehr Transparenz. Um die Diskussion innerhalb der SPD und mit den Akteuren der Zivilgesellschaft breit zu führen, ist zudem eine große „TTIP-Konferenz“ im Willy-Brandt-Haus im ersten Quartal 2015 geplant.

Eine fundierte Debatte setzt allerdings voraus, dass nach der Veröffentlichung des bislang vorliegenden Textes von CETA nun auch bei TTIP sämtliche Verhandlungsdokumente einschließlich des Verhandlungsmandats zeitnah öffentlich gemacht werden. Dafür setzen wir uns weiter mit Nachdruck ein. Denn nur auf der Grundlage von Transparenz und Information ist eine offene, sachliche Debatte über Chancen und Risiken der Freihandelsabkommen möglich.

Ein transatlantisches Abkommen, das den Bürgerinnen und Bürgern nutzen soll, darf nicht verhandelt werden, als müssten die Ergebnisse vor der Öffentlichkeit verborgen werden. Nur über Transparenz und Beteiligung können Vertrauen und Legitimität hergestellt werden.

Sehr geehrter Herr Brennicke,
ich werde mich also gemeinsam mit der SPD weiter intensiv dafür einsetzen, dass mit den Abkommen keine Absenkungen von Standards stattfinden und die Rechtsstaatlichkeit nicht ausgehöhlt wird. Darauf können Sie sich verlassen.

Mit freundlichen Grüßen
Christoph Strässer, MdB