Frage an Christoph Strässer von Andreas B. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Strässer,
meine Frage dreht sich um das Instrument einer Finanzmarkttransaktionssteuer (FTS). Diese ist ja bereits seit geraumer Zeit in der öffentlichen Diskussion (siehe zB http://www.attac.de/kampagnen/finanztransaktions-steuer/materialien/ )
Es geht darum, Börsengeschäfte wie jede andere gewerbliche Aktivität einzuschätzen und die dabei entstehenden Umsätze in einem wenigstens minimalen Umfang (0,1%) zu besteuern. Befürworter der FTS - ich zähle mich dazu - versprechen sich davon zum einen beachtliche Steuererträge, die zur Finanzierung dringender sozialer Aufgaben sehr wünschenswert sind. Zum anderen soll damit der hochriskante, rein spekulative Handel mit immer "fantastischeren" Finanzprodukten, die keinen Bezug mehr zur Realwirtschaft haben oder ihr sogar erheblich schaden, eingedämmt werden.
Wenn ich mich richtig erinnere hatten SPD und Grüne in der vergangenen Legislatur ihre Zustimmung zu den Rettungspaketen für Zockerbanken und von ihnen in Mitleidenschaft gezogene Volkswirtschaften an die Bedingung geknüpft, zeitnah eine wirksame FTS einzuführen.
Wie ist da der aktuelle Stand? Welche konkreten Inhalte hat die SPD in die Koalitionsverhandlungen eingebracht und welche werden voraussichtlich umgesetzt? Vor allem: Wie nicht anders zu erwarten haben Lobbygruppen aus der spekulativen Finanzwirtschaft zuletzt intensiv Stimmung gegen das Konzept der FTS gemacht bzw. versucht, zahlreiche Abschwächungen, Verwässerungen und Ausnahmen durchzusetzen. Wurden Sie diesbezüglich kontaktiert? Wie stehen Sie persönlich zu der klarsten Umsetzungsoption "0,1% auf ALLE Börsengeschäfte"? Welches konkrete Handeln zum Wohl der Allgemeinheit können Ihre Wähler/innen aus Münster von Ihnen diesbezüglich erwarten?
Danke für Ihre Antwort!
Mit freundlichen Grüßen,
A. Beck
Sehr geehrter Herr Beck,
vielen Dank für Ihre Email. Gerne beantworte ich Ihre Fragen.
Die Finanztransaktionssteuer ist für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ein zentrales Projekt bei der Regulierung der Finanzmärkte und der Beteiligung der Verursacher der Finanz- und Wirtschaftskrise an ihren enormen Kosten.
Was ist seit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages zwischen CDU/CSU und SPD in Sachen Finanztransaktionssteuer passiert?
Die Arbeitsgruppe im zuständigen europäischen Rat für Wirtschaft und Finanzen (ECOFIN) hat die erste Lesung des Richtlinienvorschlags der EU-Kommission zur Finanztransaktionssteuer vom Februar 2013 (überraschend schnell) schon im September 2013 abgeschlossen. Dabei wurden alle Einzelregelungen des Richtlinienvorschlages auf ihren rechtlichen und tatsächlichen Gehalt untersucht. Derzeit - und noch nicht absehbar bis wie lange noch - laufen die politischen Beratungen über die Ausgestaltung der der Finanztransaktionssteuer. Daneben finden eine Reihe von Abstimmungstreffen zwischen den Mitgliedstaaten statt, so zuletzt am 10.3.2014 mit den Finanzministern der elf an der verstärkten Zusammenarbeit teilnehmenden europäischen Staaten.
Diese vielfältigen Verhandlungen und Gespräche auf ganz unterschiedlichen politischen Ebenen geraten aber immer wieder ins Stocken. Das liegt einerseits daran, dass bei den Beratungen alle 28 Mitgliedstaaten der EU teilnehmen können - also auch die erklärten Gegner der Steuer wie Großbritannien oder Luxemburg (wenn auch ohne Stimmrecht). Diese beiden Länder klagen sogar. Großbritannien hat im Frühjahr 2013 Klage vor dem Europäischen Gerichtshof eingereicht. Sie richtet sich gegen den Beschluss der elf Mitgliedstaaten zur Durchführung einer verstärkten Zusammenarbeit in Sachen Finanztransaktionssteuer. Insbesondere fürchtet Großbritannien negative Auswirkungen auf seinen Bankenplatz London.
Über die Klage ist noch nicht entschieden. Der juristische Dienst der EU-Kommission und auch der Wissenschaftliche Dienst der Deutschen Bundestages geben ihr keine Erfolgsaussichten. Deutschland ist in diesem Prozess dem Rat der EU als Beklagten als sog. Streithelfer beigetreten.
Andererseits sind die nationalen Wirtschaftssysteme und Finanzplätze so unterschiedlich, dass jeder Mitgliedstaat hier ganz eigene Interessen betont und durchsetzen will. Das gemeinsame Ziel der elf Mitgliedstaaten steht dabei nicht immer im Vordergrund. Wir müssen zudem feststellen, dass einige Mitgliedstaaten ihre mittlerweile national eingeführten Steuern auf Finanztransaktionen behalten oder sie zum Modell für die EU machen wollen:
So werden z. B. in Frankreich schon seit dem 1.8.2012 Transaktionen von Aktien französischer Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von mehr als einer Milliarde Euro mit 0,2 Prozent besteuert.
Auch in Italien existiert seit Anfang 2013 eine ähnliche Steuer auf Transaktionen von Aktien, die von in Italien ansässigen Unternehmen mit einer Kapitalisierung von mindestens 500 Mio. Euro ausgegeben wurden.
In Belgien werden 0,25 Prozent Börsenumsatzsteuer bei Kauf oder Verkauf belgischer oder ausländischer, börsennotierter Aktien, Anleihen und anderer Wertpapiere fällig.
Über ein Dutzend europäische Länder haben so bereits eigene Steuern auf Finanztransaktionen eingeführt. Hier rächt sich nun, dass die vorangegangene Bundesregierung aufgrund der Blockade der FDP so wenig Initiative gezeigt hat und Deutschland keinen eigenen Vorschlag entwickelt hat.
Schließlich haben wir es mit einer mächtigen Lobby zu tun, die fast im Wochenrhythmus mit oftmals längst widerlegten Legenden versucht, einen echten Durchbruch bei der Einführung der Steuer zu verhindern.
Wie sollte die Finanztransaktionssteuer konzipiert sein?
Grundlage für alle Gespräche und Verhandlungen ist und bleibt für uns der Richtlinienvorschlag der EU-Kommisison, dem wir uns im Großen und Ganzen angeschlossen haben und auf dessen Grundlage sich auch die Vereinbarung mit der CDU/CSU im Koalitionsvertrag findet (S. 46):
„Wir wollen eine Finanztransaktionssteuer mit breiter Bemessungsgrundlage und niedrigem Steuersatz zügig umsetzen und zwar im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeit in der EU. Eine solche Besteuerung sollte möglichst alle Finanzinstrumente umfassen, insbesondere Aktien, An-leihen, Investmentanteile, Devisentransaktionen sowie Derivatekontrakte. Durch die Ausgestaltung der Steuer wollen wir Ausweichreaktionen vermeiden. (…)“
Es ist entscheidend, dass der Derivatehandel der Besteuerung unterliegt. Der Derivatehandel hat seit den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts explosionsartig zugenommen: von weltweit zwei Billionen Dollar (1990) auf über 600 Billionen Dollar (2013). Der weit überwiegende Teil des Derivatehandels hat dabei keinen realwirtschaftlichen, sondern einen rein spekulativen Charakter. Von ihm - insbesondere dem unregulierten Derivatehandel - gehen weiterhin große Gefahren für das Finanzsystem aus. Die Steuer wird hier ein wichtiges Regulativ sein, weil sie viele dieser Geschäfte unattraktiv macht.
Ohne Einbeziehung der Derivate käme es zu umfangreichen Ausweichreaktionen. Statt Aktien oder Anleihen könnten entsprechende Derivate gehandelt und die Steuerbelastung vermieden werden.
Der Derivatehandel macht auch den Löwenanteil der geschätzten Einnahmen aus der Steuer bei elf Teilnahmestaaten in Höhe von 34 Mrd. Euro aus (davon ca. 12 Mrd. Euro für Deutschland): Nach Berechnungen der EU-Kommission entfallen davon 21 Mrd. Euro auf Transaktionen mit Derivaten (davon 1,8 Mrd. Euro auf Aktienderivate, 16,5 Mrd. Euro auf Zins-derivate und 2,7 Mrd. Euro auf Währungsderivate).
Wir müssen auch dafür sorgen, dass findige Finanzakrobaten nicht durch Lücken im Gesetz der Besteuerung ausweichen. Hier kommt es uns auf die Kombination des sog. Ansässigkeits- mit dem Ausgabeprinzip an. Das bedeutet konkret: nach dem Ansässigkeitsprinzip werden alle Transaktionen besteuert, bei denen Käufer oder Verkäufer im Geltungsbereich der Richtlinie zur Finanztransaktionssteuer „ansässig“ sind. Die Deutsche Bank müsste also ihren Sitz aus Deutschland heraus verlegen, will sie der Steuer entgehen. Beim Ausgabeprinzip reicht es schon, dass ein gehandeltes Finanzprodukt im Geltungsbereich der Richtlinie „ausgegeben“ wurde. Wenn also beispielsweise künftig ein Händler in New York eine in Deutschland ausgegebene Daimler-Aktie an einen Händler in Singapur verkauft, ist die Steuer fällig.
Wie ist unsere Verhandlungsposition?
Die Einigungschancen auf eine zügige Einführung einer Steuer mit breiter Bemessungsgrundlage - Aktien, Anleihen, Investmentanteile, Devisentransaktionen Derivatekontrakte - und niedrigen Steuersätzen auf Grundlage des Kommissionsvorschlages sind derzeit gering.
Wenn es zu einer baldigen Einführung der Finanztransaktionssteuer kommen soll, erscheint vor diesem Hintergrund ein Stufenprozess („step-by-step“) kaum vermeidbar. Dieser Prozess könnte im ersten Schritt eine Besteuerung der Transaktionen mit Aktien, Aktienderivaten und möglichst weiteren derivativen Produkten vorsehen und in den weiteren Schritten die Transaktionen mit allen Derivaten, Anleihen und weiteren Finanzprodukten. Dabei ist es von äußerster Wichtigkeit, dass die einzelnen Stufen zu Beginn des Prozesses klar definiert und die einzelnen Schritte präzise vereinbart werden. Außerdem ist es ein Gebot der Effektivität, dass die Finanztransaktionssteuer auf der Basis einer Kombination von Ansässigkeits- und Ausgabeprinzip erfolgt, wie es der Richtlinienvorschlag der EU-Kommission vorsieht. Diese Punkte sind für uns von zentraler Bedeutung
Welche Politik braucht es jetzt für eine schnelle Einführung der Finanztransaktionssteuer?
Wir stehen zu unserer Festlegung im Koalitionsvertrag. Finanzminister Schäuble muss nun mit Bundeskanzlerin Angela Merkel das Gewicht Deutschlands in den laufenden Verhandlungen geltend machen. Wir brauchen sowohl die regulierende Wirkung als auch die Einnahmen sehr zügig und wollen die notwendigen Entscheidungen noch dieses Jahr sehen.
Sehr geehrter Herr Beck,
wir Sozialdemokraten und auch ich ganz persönlich werden uns weiterhin mit aller Kraft dafür einsetzen, dass unsere Regierung in der EU dementsprechende Regelungen voranbringt. Darauf können Sie sich verlassen
Mit freundlichen Grüßen
Christoph Strässer, MdB und
Beauftragter für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe der Bundesregierung
Im Auswärtigen Amt
Büro Christoph Strässer, MdB,
Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik
und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt
Platz der Republik 1
11011 Berlin
Tel.: (49)030 / 227 7 11 71
Fax: (49)030 / 227 7 62 29
Email: christoph.straesser@bundestag.de
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: abgeordnetenwatch.de [mailto:antwort@abgeordnetenwatch.de]
Gesendet: Montag, 25. November 2013 15:31
An: Straesser Christoph
Betreff: Eine Frage an Sie vom 25.11.2013 08:35
Sehr geehrter Herr Strässer,
Andreas Beck aus Münster hat als Besucher/in der Seite
www.abgeordnetenwatch.de (Bundestag) bzgl. des Themas "Finanzen" eine Frage
an Sie.
Um diese Frage zu beantworten, schicken Sie diese Mail mit Ihrem
eingefügten Antworttext an uns zurück (als wenn Sie eine normale Mail
beantworten würden).
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Sehr geehrter Herr Strässer,
meine Frage dreht sich um das Instrument einer
Finanzmarkttransaktionssteuer (FTS). Diese ist ja bereits seit geraumer
Zeit in der öffentlichen Diskussion (siehe zB
http://www.attac.de/kampagnen/finanztransaktions-steuer/materialien/ )
Es geht darum, Börsengeschäfte wie jede andere gewerbliche Aktivität
einzuschätzen und die dabei entstehenden Umsätze in einem wenigstens
minimalen Umfang (0,1%) zu besteuern. Befürworter der FTS - ich zähle
mich dazu - versprechen sich davon zum einen beachtliche Steuererträge,
die zur Finanzierung dringender sozialer Aufgaben sehr wünschenswert sind.
Zum anderen soll damit der hochriskante, rein spekulative Handel mit immer
"fantastischeren" Finanzprodukten, die keinen Bezug mehr zur Realwirtschaft
haben oder ihr sogar erheblich schaden, eingedämmt werden.
Wenn ich mich richtig erinnere hatten SPD und Grüne in der vergangenen
Legislatur ihre Zustimmung zu den Rettungspaketen für Zockerbanken und von
ihnen in Mitleidenschaft gezogene Volkswirtschaften an die Bedingung
geknüpft, zeitnah eine wirksame FTS einzuführen.
Wie ist da der aktuelle Stand? Welche konkreten Inhalte hat die SPD in die
Koalitionsverhandlungen eingebracht und welche werden voraussichtlich
umgesetzt? Vor allem: Wie nicht anders zu erwarten haben Lobbygruppen aus
der spekulativen Finanzwirtschaft zuletzt intensiv Stimmung gegen das
Konzept der FTS gemacht bzw. versucht, zahlreiche Abschwächungen,
Verwässerungen und Ausnahmen durchzusetzen. Wurden Sie diesbezüglich
kontaktiert? Wie stehen Sie persönlich zu der klarsten Umsetzungsoption
"0,1% auf ALLE Börsengeschäfte"? Welches konkrete Handeln zum Wohl der
Allgemeinheit können Ihre Wähler/innen aus Münster von Ihnen
diesbezüglich erwarten?
Danke für Ihre Antwort!
Mit freundlichen Grüßen,
A. Beck
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Um die Frage direkt einzusehen, können Sie auch diesem Link folgen:
http://www.abgeordnetenwatch.de/frage-778-78509--f410801.html#q410801
Mit freundlichen Grüßen,
www.abgeordnetenwatch.de
(i.A. von Andreas Beck)
Ich erkläre mich durch Beantwortung dieser e-Mail mit der
Veröffentlichung meiner Antwort auf www.abgeordnetenwatch.de und mit der
dauerhaften Archivierung im digitalen Wählergedächtnis einverstanden.
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