Frage an Christoph Strässer von Martin B. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Strässer,
Sie haben bei der Abstimmung für den Euro-Stabilisierungsfonds EFSF mit JA gestimmt.
Meine Fragen sind:Warum haben Sie so abgestimmt und damit einen Teil der Arbeitskraft der
gegenwärtigen und zukünftigen Generation verpfändet? Würden Sie das mit Ihrem eigenen Geld für Ihren Nachbarn auch tun?
Klar, Rettungsschirm und Bürgschaft klingen besser als Schuldschein. Aber ein Schuldschein ist es!
Warum hat Ihre Partei eine Zustimmung nicht an Bedingungen geknüpft, die endlich die Banken, die ja in Wirklichkeit gerettet werden sollen, stärker zu regulieren?
Ist es nicht so, dass Banken anderen Geld leihen, das sie "erschaffen", indem sie eine Zahl auf einen Kontoauszug schreibt und vorgibt, dieses Geld zu haben.
Für diese großartige unternehmerische Entscheidung werden Gebühren und Zinsen berechnet. Geht das Geschäft schief, hat der kleine Mann mit Steuerabgaben für die Verluste zu haften, da es alternativlos ist und Banken "systemrelevant" seien.
Nach der reinen ordnungspolitischen Lehre darf so etwas nicht sein. Die Politik müsste Krisenbanken einfach pleitegehen lassen - wie jedes andere Unternehmen auch .
Heißt das nicht im Umkehrschluss, dass die Marktwirtschaft am Ende ist, wenn die Gesetze des Marktes nicht mehr gelten sollen, gerade für die, die sonst am meisten davon profitieren. Ist die Lösung vielleicht die Abschaffung eines privaten Bankensektors.
Sehr geehrter Herr Brinkmann,
bevor ich auf die Frage der Abstimmung zu sprechen komme, möchte ich auf Ihre Forderung eingehen, nach der sogenannten ordnungspolitischen Lehre die Banken einfach pleite gehen zu lassen. Dazu ein kleines Bild. Stellen Sie sich vor, sie sitzen auf einem Schiff. Dieses Schiff ist über Drahtseile, die Sie nicht kappen können, mit vielen anderen Schiffen verbunden. Die einen Schiffe repräsentieren Banken, die anderen repräsentieren Staaten. Wiederum andere repräsentieren internationale Organisationen, wie z.B. die EU. Nun hat ein ziemlich großes Schiff ein Leck und beginnt zu sinken. Wenn dieses Schiff nun tatsächlich untergeht, droht es alle anderen Schiffe aufgrund der gegenseitigen Verbindungen und dem Strudel, der beim Untergehen entsteht, mit in die Tiefe zu reißen. Was sollen jetzt Ihrer Meinung nach die Besatzungen der anderen Schiffe tun. Vielleicht sollten sie dabei helfen, das untergehende Schiff zu retten? Es ist nicht sicher, dass alle mitgerissen werden. Aber auszuschließen ist es auch nicht. Sie sitzen auch auf einem dieser Boote.
Was machen Sie jetzt? So stellt sich die reale Situation tatsächlich dar. Und die von Ihnen sogenannte ordnungspolitische Lehre, die sich an den wirtschaftpolitischen Theorien von Adam Smith und den daraus entwickelten Ideen der Neoliberalen orientiert, geben auf diese Vernetzung aller Akteure keine konstruktive und brauchbare Antwort. Weil es Ihnen nicht um das per se vernetzte Allgemeinwohl geht, sondern nur um den Profit. Reines Profitstreben und die geradezu glaubensorientierte Doktrin des notwendigen Bankrottes desjenigen, der auf dem Markt nicht besteht, hat mit der Lebenswirklichkeit der Menschen und der Folgen für diese aber absolut nichts mehr zu tun. Die „unsichtbare Hand“ des Marktes steuert, wie wir gerade heute wieder erleben, den Markt eben nicht zugunsten aller im Sinne des Allgemeinwohles. Vielmehr schlägt die „unsichtbare Hand“ ihrem Besitzer geradezu mit unbändiger Kraft ins eigene Gesicht.
Deshalb ist es, wie Sie richtig angesprochen haben, an der Zeit, aus der Perspektive des Allgemeinwohls zu denken und zu handeln. Auch und gerade im wirtschaftlichen und finanzpolitischen Bereich. Dafür braucht es langfristig globale Regeln zur Bändigung des Raubtierkapitalismus und kurzfristig der Rettung der Opfer dieser bisherigen Regellosigkeit, damit wir nicht alle in den Strudel gezogen werden. Insofern ist Ihre Forderung, Bedingungen an die Zustimmung zu knüpfen, grundsätzlich nicht falsch. Jedoch gehören diese Bedingung zu den langfristigen politischen Forderungen, die wir erkämpfen müssen, ohne uns durch kurzfristiges Ablehnen eines Rettungsschirmes, die Grundlagen zu nehmen, diese langfristigen Regelungen auch noch durchsetzen zu können. Kurz: Ganze Länder innerhalb der EU Bankrott gehen zu lassen, gefährdet nicht nur die Demokratie in Griechenland, sondern den sozialen und demokratischen Zusammenhalt in der ganzen EU.
Außerdem gibt es schon immer Transferleistungen innerhalb der EWG/EG/EU, von denen auch Deutschland profitiert hat. Der Begriff "Transferunion" soll wohl vorgaukeln, Deutschland müsse unbegründete, unnötige Verantwortung zum eigenen Schaden übernehmen. Deutschland ist aber nicht nur der größte Nettozahler, sondern insbesondere als Exportnation auch einer der größten Profiteure der EU.
Am Vorgehen der Bundesregierung gibt es viel zu kritisieren, denn sie hat immer wieder blockiert, gezögert und damit die Krise verschleppt und verteuert anstatt mit einem umfassenden Gesamtkonzept zu ihrer Lösung beizutragen. Und insbesondere um die derzeitigen Probleme zu meistern, brauchen wir nicht weniger, sondern mehr Europa. Nur mit einer starken Europäischen Union wird Deutschland in einer immer mehr globalisierten Welt auch in Zukunft wirtschaftlich und politisch eine Rolle spielen.
Deshalb bin ich grundsätzlich für die europäischen Rettungsschirme. Sie sind Ausdruck der innereuropäischen Solidarität. Diese Solidarität ist selbstredend keine Einbahnstraße. Die von der Refinanzierungskrise betroffenen Staaten müssen ihrer Verantwortung für den Abbau ihrer Verschuldung gerecht werden. Wir werden uns auch weiterhin für eine Wachstumsstrategie stark machen, denn ohne wirtschaftliches Wachstum in den Krisenstaaten kann die notwendige Konsolidierung ihrer Haushalte nicht gelingen.
Die getroffenen Maßnahmen reichen jedoch bei weitem nicht aus. Insofern sind wir für die Umgestaltung des Bankensektors. Und zwar, indem das Investmentbanking und das Kundenkreditgeschäft wieder voneinander getrennt werden, damit die Risikohaftung, wie Sie es gefordert haben, wieder primär beim Verursacher des Risikos landen. Risiko und Haftung dürfen nicht mehr auf Kosten der Steuerzahler auseinanderfallen. Wir brauchen außerdem endlich auch die von uns bereits seit Jahren geforderte Finanztransaktionssteuer, eine stärkere Beteiligung der Gläubiger, an Auflagen geknüpfte Gemeinschaftsanleihen, Regeln für die geordnete Insolvenz von Banken und Wachstumsprogramme für die notleidenden Staaten. Wir lehnen es ab, dass in erster Linie stets die Steuerzahler, nicht die Krisenverursacher die Zeche zahlen.
Mit freundlichen Grüßen
Christoph Strässer, MdB