Frage an Christoph Strässer von Christoph R. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Strässer,
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gehört gewiss zu den bedeutendsten Errungenschaften im Bereich der Menschenrechte, die Europa vorzuweisen hat. Ein Gerichtshof für Menschenrechte mit obligatorischer Jurisdiktion über alle Mitgliedsstaaten ist in dieser Form weltweit einmalig und beredtes Vorbild für andere regionale Menschenrechtsschutzsysteme.
In offensichtlichem Widerspruch zu seiner Wichtigkeit und Bedeutung aber leidet der Gerichtshof unter schwerwiegender anhaltender Unterfinanzierung. 119.000 anhängige Individualbeschwerden zum Ende des Jahres 2009 liefern ein eindringliches Zeugnis von der Arbeitsbelastung des Gerichtshofes, die die Bearbeitung von Beschwerden innert angemessener Frist praktisch aussichtslos werden lässt und mithin Verlässlichkeit als auch Qualität des Gerichtshofes als Kernstück europäischen Menschenrechtsschutzes gehörig in Frage stellt.
Auch die endgültige Ratifikation des 14. Zusatzprotokolls wird die Effizienz des Gerichtshofes nur geringfügig, nicht aber in erforderlichem Maße steigern. Das Grundproblem der immensen Unterfinanzierung hingegen bleibt bestehen. Selbst nach Erweiterung des Europarates in Folge des Endes des Kalten Krieges hin zu einer wahrhaft paneuropäischen Organisation verfolgten die Mitgliedsstaaten konsequent eine ‚zero growth policy‘ im Hinblick auf die Finanzierung des Gerichtshofs, welche den EGMR entscheidend geschwächt und beschädigt hat. Mit einem Jahresbudget von knapp 57 Millionen Euro ist europäischer Menschenrechtsschutz bislang zu einem „Schnäppchenpreis“ zu haben. Wenn man Stimmen aus dem Ministerkomitee glauben mag, soll ebendem bei der Interlaken-Konferenz im Februar an der Politik des pekuniären Nullwachstums festgehalten werden.
Daher möchte ich Sie fragen, ob Sie sich persönlich dafür einsetzen werden, die finanzielle Ausstattung des Gerichtshofs seiner Bedeutung angemessen voranzutreiben.
Mit vorzüglichen Grüßen,
Christoph Rostig, LL.M.
Sehr geehrter Herr Rostig,
ich danke Ihnen herzlich für Ihre Anfrage zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg, mit der Sie die Aufmerksamkeit auf eine, meines Erachtens, wesentliche Frage lenken.
Leider muss ich auch Ihrer Einschätzung zustimmen, dass das Inkrafttreten des 14. Zusatzprotokolls nicht ausreichen wird, die Handlungsfähigkeit des EGMR in Zukunft so zu stärken, dass er erfolgreich weiterarbeiten kann. Daher bedarf es der Zusammenarbeit aller Staaten und Akteure, diese Situation schnellstmöglich zu verändern und dem Gerichtshof alle notwendigen Mittel zu verleihen, welche er für einen nachhaltigen und effektiven Menschenrechtsschutz benötigt. Ich begrüße ausdrücklich, dass sich Russland erst kürzlich entschlossen hat, das 14. Zusatzprotokoll zu ratifizieren und das Protokoll damit in Kraft treten kann. Wir erhoffen uns von diesem Schritt erste Verfahrensvereinfachungen und durch die Einführung von Einzelrichterentscheidungen und der Übertragung neuer Kompetenzen für Ausschüsse mit drei Richtern weitere Entlastungen für den Gerichtshof.
Deutschland leistet seit einiger Zeit freiwillige Beiträge an den EGMR, um flexibel auf die Bedürfnisse des EGMR eingehen zu können und unterstützt die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Gerichtshofes mit finanziellen Mitteln. In den vergangenen neun Jahren erhöhte sich darüber hinaus der Anteil des EGMR-Haushaltes am Europarat-Gesamthaushalt von circa 18 Prozent im Jahr 2001 auf 27 Prozent im Jahr 2010.
Erfreulich ist weiterhin, dass es auf Initiative der SPD hin gelungen ist, die Finanzierung von Übersetzungen Deutschland-relevanter Entscheidungen des EGMR ins Deutsche zu sichern. Damit kann ein wertvoller Beitrag zur stärkeren Rezeption der EGMR-Urteile in der wissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Landschaft geleistet werden. Ein erster Erfolg ist die wesentlich intensivere Abdeckung von EGMR-Themen und -Urteilen in den deutschsprachigen Medien.
Auf der Ministerkonferenz des Europarates am 18. und 19. Februar 2010 in Interlaken hat sich Deutschland ebenfalls dafür eingesetzt, politische Entscheidungen für mittel- und langfristige Strukturreformen zu realisieren. Die im Anschluss verabschiedete Deklaration bekräftigen die Vertreter der 47 Europarats-Mitgliedstaaten ihren Willen, die langfristige Zukunft des EGMR zu sichern.
Auf meiner Homepage unter http://www.christoph-straesser.de/meldung.php?meldung=2552&page=0 können Sie dazu auch eine aktuelle Pressemitteilung finden. Den Text der Deklaration von Interlaken finden Sie auf der Internetseite des EGMR unter http://www.echr.coe.int/echr/Homepage_EN .
Ich kann Ihnen versichern, mich im Rahmen meines Bundestagsmandates, aber auch als Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, nach Kräften und Möglichkeiten dafür einzusetzen, dass der Gerichtshof als bedeutendste Einrichtung des individuellen Menschenrechtsschutzes reformiert wird und unterstütze ausdrücklich alle Reformbemühungen, die ihm einen institutionellen Rahmen geben, in dem er seine menschenrechtlichen Aufgaben erfüllen kann.
Mit freundlichen Grüßen
Christoph Strässer (MdB)