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Frage von Carsten K. •

Frage an Christoph Strässer von Carsten K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Strässer,

ich zitiere Ihren Kollegen Thomas Jurk, SPD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Sachsen:

"Wenn wir gegen das Grundgesetz verstossen, weil wir Pädophilen unmöglich machen kinderpornografische Bilder aus dem Internet herunterzuladen, dann nehme ich das in Kauf."

Siehe http://www.freiepresse.de/NACHRICHTEN/HINTERGRUND/HINTERGRUND26/1554595.html

Ist diese fragwürdige Haltung dem Grundgesetz gegenüber Konsens in der SPD oder ist Herr Jurk ein bedauerlicher Einzelfall?

Mit freundlichen Grüßen,
Carsten Kosthorst

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Kosthorst,

vielen Dank für Ihre Anfrage vom 03.08.2009.

Selbstverständlich ist es nicht die Haltung der SPD, Grundgesetzverstöße in Kauf zu nehmen oder zu tolerieren. In diesem Punkt widerspreche ich in aller Deutlichkeit Herrn Jurk. Ich möchte aber auch an dieser Stelle bereits darauf hinweisen, dass die Freiheitsrechte unseres Grundgesetzes, auf die wir stolz sind und die immer wieder verteidigt werden müssen, nicht uneingeschränkt gelten. So enthalten nahezu alle Grundrechte, namentlich auch der Art. 5, einen sog. Gesetzesvorbehalt. Damit ist klar gestellt, dass diese Grundrechte auch im alltäglichen Rechtsverkehr an Grenzen stoßen. Dies gilt zum einen in der Konkurrenz einzelner Grundrechte untereinander, aber genauso auch dort, wo Grundrechtsbeschränkungen erforderlich sind, um Rechte Dritter durchzusetzen. Allerdings gilt auch: Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbar, immer wieder bestätigt durch die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts, das die „Wesensgehaltsgarantie“ entwickelt hat. Unter diesem Aspekt sind immer wieder gesetzliche Maßnahmen zu bewerten, die unterhalb der Schwelle des Verfassungsrechts entwickelt werden. Dies gilt natürlich auch und gerade für den Bereich des Strafrechts, der in all seinen Sanktionsmaßnahmen von der Geld- bis zur Freiheitsstrafe Einschränkungen von Freiheitsrechten des Einzelnen beinhaltet. Auch das Grundrecht aus Art. 5, das die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit schützt, unterliegt solchen Schranken.

Ich bin nach wie vor der Auffassung, dass das von Ihnen beanstandete Gesetz mit unserer Verfassung vereinbar ist, insbesondere dass es sich nicht um eine Maßnahme der Zensur handelt, die in jedem Fall unzulässig wäre.

Die Pflicht des Staates und somit auch der Legislative ist es, strafbare Sachverhalte, wie in diesem Fall den Besitz, die Herstellung oder die Konsumtion von kinderpornographischem Material, auf dem virtuellen Markt wirksam zu bekämpfen. Nach heutiger Rechtslage werden Internetseiten mit Kinderpornographischem Inhalt von den Providern aus dem Internet genommen. Nicht in Deutschland situierte Server erschweren diesen direkten Zugriff. Deshalb soll, anhand von Stopp-Schildern und themenbezogenen Informationen, der Handel mit Kin-derpornographie und dessen Konsumtion nach rechtsstaatlichen Grundsätzen gehemmt werden.

Der SPD-Bundestagsfraktion war sich bereits zu Beginn dieser Diskussion voll bewusst, dass wir uns in einem Spannungsfeld zwischen dem notwendigen Kampf gegen Online-Kinderpornographie und den hierdurch betroffenen Freiheitsrechten der Bürgerinnen und Bürger bewegen. Aus diesem Grund werben wir dafür, sowohl das Thema Kinderpornographie als auch das freie Internet mit der gebotenen Sensibilität zu behandeln. Der wichtige Kampf gegen Kinderpornographie im Internet und die Rechte der Internet-Nutzer müssen sich dabei nicht ausschließen.

Obwohl die Grund- oder Menschenrechte "unverletzlich und unveräußerlich" sind (Artikel 1 Absatz 2 des Grundgesetzes), müssen diese Rechte in der Gemeinschaft aufrechterhalten werden, was die Rücksicht auf die Würde der Mitbürger erfordert. Niemand darf somit seine eigenen Grundrechte absolut setzen, wenn dadurch Rechte anderer gefährdet werden.

Bei der Kinderpornographie im Internet tritt die Freiheit im Internet, die ein hoher Wert und für Zukunftsdebatten unverzichtbar ist, dann an ihre Grenzen, wenn die Würde und die Rechte anderer verletzt werden. Damit das Internet nicht unbeirrt als rechtsfreier Raum verstanden wird, müssen Recht und Gesetz auch im Internet umgesetzt werden. Der Verstoß gegen Strafgesetze ist grundsätzlich nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Das verabschiedete Gesetz stellt eine zulässige und verhältnismäßige Schranke zum Schutze der Jugend dar.

Ich räume allerdings ein, dass mir die Zustimmung zu diesem Gesetz aus einem anderen Grund sehr schwer gefallen ist und meine diesbezüglichen Bedenken sich durch die Debatten der letzten Wochen noch verstärkt haben. Gesetze, die Grundrechte beschränken, sind nicht nur an ihrer materiellen Übereinstimmung mit geltendem Verfassungsrecht zu messen. Hinzutreten muss generell auch ihre Geeignetheit, den zu regelnden Sachverhalt zu erfassen und die inkriminierten Tatbestände tatsächlich zu beeinflussen, hier also einen wirksamen Beitrag zur Bekämpfung der Kinderpornografie und des Missbrauchs von Kindern zu verhindern. Dass dies mit dem verabschiedeten Gesetz gelingen kann, ist vor der Verabschiedung bezweifelt worden. Diese Zweifel haben sich zumindest bei mir verstärkt, insbesondere durch die jüngsten Äußerungen von Bundesinnenminister Schäuble. Deshalb ist es gut und richtig, dass das Gesetz mit einer sog.: Verfallklausel versehen worden ist. D.h., dass dieses Gesetz aufgehoben werden muss, wenn sich die behauptete Wirkungslosigkeit bestätigen sollte. „Placebos“ in der Bekämpfung der Kinderpornografie können und dürfen wir uns nicht leisten!

Sie können deshalb sicher sein, dass ich die entsprechende Entwicklung weiterhin sorgfältig begleiten werde und mich gegebenenfalls für entsprechende Initiativen einsetzen werde.

Mit freundlichen Grüßen

Christoph Strässer