Es ist bekannt, dass sich durch die jetzt anstehende Bundestagswahl die Anzahl der Abgeordneten von 709 erheblich erhöhen wird. Wozu brauchen wir so viele Abgeordnete?
Wann wird endlich mal eine vernünftige Reform beschlossen? Auch wenn einzelne Parteien Mandate einbüßen. Seit Jahren werden uns Ankündigungen präsentiert. Als Wähler fühlt man eine gewisse Ohnmacht und verliert den Glauben an eine „glaubwürdige“ Politik.
Sehr geehrter Herr Ehlebracht,
vielen Dank für Ihre Nachricht und Ihr Interesse am Wahlrecht für den Deutschen Bundestag. Erst einmal halte ich eine Verkleinerung des Deutschen Bundestages ebenfalls für dringend notwendig, da dieser nicht ungebremst weiter wachsen kann. Seitens der Union wollen wir schon seit längerer Zeit das Wahlrecht reformieren. Aus diesem Grund haben wir in der Vergangenheit verschiedene Vorschläge unterbreitet, das Wahlrecht so zu verändern, dass sich die Anzahl der Mandate im Deutschen Bundestag verringert. Unsere Vorschläge wurden allesamt von den Vertretern der anderen Fraktion abgelehnt und nicht einmal ergebnisoffen diskutiert.
Bei der letzten Sitzung des Koalitionsausschusses am 25. August 2020 haben sich CDU, CSU und SPD auf eine Reform des Wahlrechts geeinigt. Einige Maßnahmen werden schon für die nächste Bundestagswahl greifen.
Die Reform setzt an drei Stellschrauben an:
1. die Anzahl der Wahlkreise wird von derzeit 299 auf 280 reduziert,
2. Überhangmandate werden künftig teilweise mit Listenmandaten in anderen Ländern verrechnet und
3. bis zu drei Überhangmandate werden ausgleichslos bleiben.
Diese Maßnahmen zusammen führen dazu, dass ein weiteres Anwachsen der Größe des Deutschen Bundestages verhindert werden kann. Danach wären mit dem Wahlergebnis von 2017 sechzig Abgeordnete weniger, also statt 709 nur 649 Abgeordnete im Deutschen Bundestag vertreten. Die Wahlreform wird in zwei Stufen vollzogen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion war bereit, eine Reduzierung der Anzahl der Wahlkreise bereits für die nächste Bundestagswahl 2021 umzusetzen, um die Größe des nächsten Deutschen Bundestages wirksam zu begrenzen. Dem hätten weder rechtliche noch praktische Gründe entgegengestanden, wie Staatsrechtslehrer und der Bundeswahlleiter bestätigt haben. Der Kompromiss sieht nun vor, dass die Reduzierung der Wahlkreise erst zur übernächsten Bundestagswahl (2025) erfolgt. Die gesamte Wahlrechtsreform auf diese Zeit zu verschieben, war für uns keine tragbare Alternative.
Zu Punkt a):
Durch die Verringerung der Anzahl der Wahlkreise wird auch die Anzahl der Überhangmandate reduziert. Denn weniger Überhangmandate reduzieren den Ausgleichsbedarf zugunsten anderer Parteien. Durch die von uns vorgeschlagene moderate Reduzierung der Wahlkreise von 299 Wahlkreisen auf 280 Wahlkreise bleibt die für die demokratische Willensbildung notwendige Nähe der Wählerinnen und Wähler zu ihrem direkt gewählten Vertreter erhalten. Diese Verbindung und die Repräsentanz durch die unmittelbar im Wahlkreis gewählten Abgeordneten ist uns besonders wichtig.
Der Unionsfraktion ist die Entscheidung für eine Wahlkreisreduzierung nicht leichtgefallen, da unsere überwiegend direkt gewählten Mitglieder fest vor Ort verankert sind und größere Wahlkreise den Austausch vor Ort mit den Bürgerinnen und Bürgern erschweren.
Zu Punkt b):
Darüber hinaus wird der sogenannte "erste Zuteilungsschritt", der die Mindestsitzkontingente in den Ländern garantiert, modifiziert und damit eine teilweise Verrechnung von Überhangmandaten einer Partei mit Listenmandaten dieser Partei in anderen Ländern ermöglicht. Auch das reduziert den Ausgleichsbedarf. Da diese faktische Verrechnung nur teilweise erfolgen soll, wird ein "Leerlaufen" ganzer Landeslisten ausgeschlossen und damit eine föderal ausgewogene Verteilung auch innerhalb der Parteien noch gewahrt.
Eine vollständige Abschaffung garantierter Mindestsitzkontingente kam für uns auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht in Betracht. Denn der "erste Zuteilungsschritt" wurde als Reaktion auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eingeführt, um das Entstehen von negativem Stimmgewicht - also, dass eine Partei trotz mehr Stimmen weniger Sitze oder trotz weniger Stimmen mehr Sitze erhält - zu verhindern.
Zu Punkt c):
Ausgleichslose Überhangmandate sind ein weiteres wirksames Mittel, um den Ausgleichsbedarf zu reduzieren. Das ist auch verfassungsgemäß: Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 25. Juli 2012 ausdrücklich festgestellt, dass die mit der ausgleichslosen Zuteilung von Überhangmandaten verbundene Differenzierung des Erfolgswertes - also eine Beeinflussung der proportionalen Sitzverteilung auf der Grundlage des Ergebnisses der Zweitstimmen - durch das besondere Anliegen einer mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl gerechtfertigt werden kann. Das Bundesverfassungsgericht sieht selbst bei ausgleichslosen Überhangmandaten im Umfang einer halben Fraktionsstärke keine Verzerrung des Zweitstimmenproporzes, sondern lediglich eine durch die Bedeutung der Direktmandate zu rechtfertigende Beeinträchtigung.
Die drei Stellschrauben der Wahlrechtsreform ergänzen sich gegenseitig in ihrer Wirkung. Wir reformieren das Wahlrecht ausgewogen und wirksam - ohne das bewährte System der personalisierten Verhältniswahl insgesamt zur Disposition zu stellen. Wir haben und uns nach beharrlichen Verhandlungen mit unserem Koalitionspartner - und auch intensiven internen Diskussionen - auf dieses ausgewogene, gestufte Kompromissmodell geeinigt.
Mit freundlichen Grüßen
Christoph Ploß