Was halten Sie als ehemalige Lehrkraft von den Empfehlungen der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) für Schritte gegen den Lehrermangel?
In einem informellen Zusammenschluss niedersächsischer Lehrkräfte aller Schulformen und Regionen kam die Idee auf, Sie und die anderen sieben Landtagsabgeordneten mit Lehrererfahrung dazu zu befragen, was sie mit der Doppelperspektive und -expertise von Schule und Politik von den Empfehlungen der SWK halten.
Sie finden den Text unter https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/KMK/SWK/2023/SWK-2023-Stellungnahme_Lehrkraeftemangel.pdf. Praktischerweise gibt es auf Seite 4 eine Kurzzusammenfassung der Empfehlungen.
Ich bitte Sie um eine begründete Antwort auf zwei Fragen:
Welche drei Maßnahmen der Kommission halten Sie für besonders geeignet?
Welche drei Empfehlungen sehen Sie besonders kritisch?
Danke im Voraus für Ihre Antwort.
Christian H., Wendland
Sehr geehrter Herr W.,
vielen Dank für Ihre Anfrage!
Um den Lehrermangel anzugehen, halte ich folgende Maßnahmen für sinnvoll:
1. Erschließung von Beschäftigungsreserven bei qualifizierten Lehrkräften mittels Anpassung des Ruhestandseintritts (...)
Wir müssen das Potenzial an vorhandenen Lehrkräften, über das wir verfügen, so effizient wie möglich nutzen. Dazu gehört es natürlich auch, so viele Lehrer:innen wie möglich von einer Vollzeitbeschäftigung zu überzeugen und auch ältere Lehrkräfte noch bestmöglich in den aktiven Schuldienst einzubinden. Das Konzept der Vorgriffsstunden ist dabei sinnvoll, weil Lehrer:innen in den aktuellen Zeiten des Lehrkräftemangels zu mehr Schulstunden motiviert werden, während sie ihre Pflichtstunden später reduzieren können. Weiterhin ist zu betonen, dass die Kapazitäten der Lehrer:innen vor allem den Schüler:innen zugutekommen sollen. Deswegen ist es sinnvoll, den Organisations- und Verwaltungsumfang für Lehrkräfte zu verringern.
2. Ausweitung des Potenzials an qualifizierten Lehrkräften durch die Weiterqualifizierung von Gymnasiallehrkräften für andere Schulformen (...)
Viele Lehramtsstudierende entscheiden sich für eine Lehrtätigkeit am Gymnasium. Im Vergleich zu anderen Schulformen gibt es hier einen geringeren Lehrkräftemangel. Es ist daher sinnvoll, Gymnasiallehrer:innen für eine Tätigkeit an anderen Schulformen zu qualifizieren, damit sie dort im Bedarfsfall eingesetzt werden können. Im Angesicht des Mangels an bestimmten Schulformen und in bestimmten Fächern muss der Einsatz von Lehrkräften flexibilisiert werden. Eine Nachqualifizierung von Lehrkräften für Mangelfächer ist daher ebenfalls ein gangbarer Weg, insbesondere wenn diese mit den bereits von einer Lehrkraft unterrichteten Fächern verwandt sind.
3.
Vorbeugende Maßnahmen zur Gesundheitsförderung mittels Achtsamkeitstrainings (...)
Es ist nicht nur wichtig, neue Lehrkräfte zu gewinnen, sondern auch, bereits in dem Beruf arbeitende Lehrer:innen zu halten. Die Förderung der physischen und psychischen Gesundheit von Lehrkräften ist dafür unerlässlich. Wie in vielen anderen sozialen Berufen ist die Gefahr eines Burn-Outs für Lehrer:innen nicht unerheblich. Maßnahmen zur Stressbewältigung und weitere Hilfsangebote zu schaffen, damit Lehrer:innen gesund bleiben und langfristig ihren Beruf ausüben, ist daher sinnvoll.
4. Bestandsaufnahme, Bewertung und Weiterentwicklung von Modellen des Quer- und Seiteneinstiegs
Lehrkräfte, die über den Quer- und Seiteneinstieg den Weg in den Schuldienst finden, können den Unterricht oft zusätzlich durch ihre individuellen Erfahrungen und Perspektiven bereichern, die sie aus ihren vorherigen Berufen mitbringen. Quereinsteiger:innen sind also nicht nur eine gute Verstärkung für das Lehrpersonal, sondern auch wertvoll für die Schüler:innen. Deshalb sollte ein Seiteneinstieg für mehr Menschen attraktiv gemacht und erleichtert werden.
Für weniger geeignet halte ich:
5. Entlastung und Unterstützung qualifizierter Lehrkräfte durch Studierende und andere, formal nicht (vollständig) qualifizierte Personen
An unseren Schulen soll qualitativ hochwertiger Unterricht angeboten werden. Personen als Lehrkräfte einzustellen, die nicht im notwendigen Umfang qualifiziert sind, halte ich deshalb nicht für erstrebenswert. Der Lehrberuf ist sehr anspruchsvoll, Lehrer:innen sollten deshalb bestmöglich ausgebildet sein.
6.
Flexibilisierung des Einsatzes von Lehrkräften durch Hybridunterricht (...)
Ich denke nicht, dass es die Schüler:innen voranbringt, wenn die Unterrichtszeit reduziert wird oder verstärkt auf Hybridunterricht gesetzt wird. Aus meiner Erfahrung weiß ich: Nichts geht über den Unterricht vor Ort in der Schule unter Anleitung einer Lehrkraft. Im Klassenraum können die Lehrer:innen viel besser auf die Schüler:innen eingehen als vor dem Bildschirm. Eine unmittelbare und direkte Kommunikation zwischen Lehrer:in und Schüler:innen ist sehr wichtig für die Vermittlung des Schulstoffs. Ich bin ebenfalls kein Freund von zu großen Klassen, da auch dies die Unterrichtsqualität für jede:n einzelne:n Schüler:in senkt und zu große Gruppen mehr Stress für die Lehrkräfte bedeuten, die man ja langfristig motiviert halten möchte.
Ich hoffe, ich konnte Ihre Fragen zufriedenstellend beantworten!
Freundliche Grüße
Christoph Bratmann