Frage an Christoph Bergner von Thomas P. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Bergner,
da Sie in Ihrer Funktion als Beauftragter für nationale Minderheiten des öfteren in Ungarn sind, möchte ich Sie hiermit fragen, wie Sie zum Abdriften Ungarns in eine Art FIDESZ-Diktatur stehen. Der massive Demokratieabbau in Verbindung mit der Entmachtung des Verfassungsgerichts ist Ihnen sicherlich nicht verborgen geblieben. Dazu kommt eine extreme Radikalisierung der Gesellschaft. Politik wird mit der Diffamierung der politischen Gegner betrieben und Antisemitismus, Antiziganismus und EU-Feindlichkeit sind keine Randerscheinung sondern fest in der Gesellschaft verankert.
Wieso zeigt sich auch hier die deutsche Regierung und die EVP so kriitiklos. Als es um das Mediengesetz und um Sondersteuern für ausländische Unternehmen ging, war etwas Kritik auch von der EVP zu hören. Übrigens hat diese Kritik innerhalb Ungarns zu keinerlei Veränderungen geführt. Bei der Einhaltung der Menschenrechte wird gern auf China oder die Ukraine gezeigt. Ungarn ist aber Teil der EU. Wo bleibt hier die Kritik, wo bleiben die Snaktionen?
mit freundlichen Grüßen
Thomas P.
Sehr geehrter Herr Pölöskei,
vielen Dank für Ihre Mailnachricht und Ihr Interesse! Ich hatte in der Tat wiederholt Gelegenheit Ungarn zu besuchen und politische Gespräche über die aktuelle Situation zu führen. Am 11. März habe ich als Ehrengast mit Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert an der Gedenkstunde der Ungarischen Nationalversammlung teilgenommen und wurde eingeladen, eine Rede zum Gedächtnis der nach dem zweiten Weltkrieg vertriebenen Ungarndeutschen zu halten. Diese Veranstaltung war den tragischen historischen Ereignissen gewidmet und ging auf einen parteiübergreifenden Beschluss des Parlamentes zurück. Obwohl verschiedene empirische Forschungen von einigen Instituten (z.B. Demos UK, Political Capital Institute) sowie Medienberichte zeigen, dass man in Ungarn eine ziemlich starke Polarisierung beobachten kann, ist es sehr wichtig zu betonen, dass diese Änderungen nicht in der ganzen Bevölkerung, sondern nur in einigen Teilen davon existieren. Diese negativen Tendenzen hängen nicht unmittelbar mit dem Regierungswechsel 2010 zusammen, sondern sind Teil eines langfristigen Prozesses, der ungefähr 2001/2002 begonnen hat. Man hat häufiger Anlass den Stil der Auseinandersetzungen zu kritisieren, sollte dabei aber nicht vergessen, dass die widerstreitenden politischen Parteien durch demokratische Wahlen legitimiert sind. Wie viele Volksparteien besitzt auch der Ungarische Bürgerbund Fidesz den Charakter, dass sich innerhalb der Partei einzelne radikale Meinungen (z.B. von Zsolt Bayer) profitieren. Diese gehören aber zu der marginalen Minderheit der Mitglieder. Sowohl während der Regierung Orban I (1998-2002), als auch II (seit 2010) zeigt sich beispielweise, dass für die Mehrheit der Partei die Förderung von Chancengleichheit und die soziale Integration der Roma Minderheiten eine bedeutende Rolle spielt. Es hat sich ein enges Verhältnis zu der Roma-Organisation Lungo Drom etabliert, zusätzlich gibt es viele berühmte Fidesz-Politiker mit Roma Herkunft, z.B. die Europa-Abgeordnete Livia Jaroka. 2011, während der EU-Ratspräsidentschaft, wurde auf Initiative der ungarischen Regierung auch eine Roma Rahmenstrategie vorgelegt. Damit wurde die Roma-Politik auf die europäische Tagesordnung gesetzt. Es fällt auch ins Auge, dass sich die Partei neben den oben ausführten Beispielen, auch für die Bekämpfung von Hass, Antisemitismus und Rassismus eingesetzt hat. Im Dezember 2012 hat neben dem ehemaligen Ministerpräsidenten Gordon Bajnai, dem Vorsitzender der Sozialistischen Partei Attila Mesterhazy auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Fidesz-Fraktion Antal Rogan an einer Massendemonstration gegen Rechtsextremismus und Neonazis teilgenommen und eine Rede gehalten. Justizminister Dr. Tibor Navracsics und der Minister für Menschliche Ressourcen Zoltan Balogh treten auch oft gegen diese negativen Tendenzen auf. Die deutsche Regierung ist nicht kritiklos. Wie Sie vermutlich gehört haben, ist die jüngste Verfassungsänderung Ungarns nicht ohne Kritik geblieben. So äußerten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Guido Westerwelle beim Empfang des ungarischen Staatspräsidenten Janos Ader am 12. März kritisch dazu. Auf Initiative der Oppositionsparteien des Bundestages, wurde auch eine aktuelle Stunde der Diskussion um die Entwicklung Ungarns gewidmet. Trotz der zahlreichen Probleme der letzten drei Jahre gibt es keinen Zweifel daran, dass Ungarn zu den demokratischen Rechtsstaaten gehört: das zeigen auch Analysen von verschiedenen Instituten (z.B. Bertelsmann Stiftung, Freedom House). Obwohl einige Initiativen der Zweidrittelmehrheit im Parlament den Respekt vor der parlamentarischen Minderheit zu Recht vermissen lassen, ist es wichtig festzuhalten, dass sich die ungarische Regierung weiterhin zu Diskussionen bereit zeigt und auf die Anmerkungen der EU-Institutionen und der anderen EU-Mitgliedsstaaten durchaus auch reagiert. Ich warne dennoch vor schulmeisterlichen Gesten, die im Zweifel nur zu mehr Euroskeptizismus in der ungarischen Gesellschaft führen. Deshalb halte ich die allgemeine Linie der Unionsparteien im Umgang mit der ungarischen Regierungsparteien, bei aller Kritik an bestimmenden Entwicklungen in Ungarn, für angemessen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Christoph Bergner