Frage an Christine Scheel von Josef H. bezüglich Öffentliche Finanzen, Steuern und Abgaben
Erst einmal vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort.
Betrachtet man allein die Summe von 15-20 Milliarden Euro, die dem Staat durch die Umsatzsteuer-Betrügereien entgehen, wundert man sich als Steuerzahler über die geringe mediale Wirkung dieses Tatbestandes. Man erinnere sich an den Fall von "Florida-Rolf", welcher in wenigen Tagen zu einer Gesetzesänderung führte. Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass es den Anschein hat, als ob dies niemanden - wenige Fachleute einmal ausgenommen - richtig interessiert und mit großer Langmut geduldet wird? Ist es
- die unvorstellbare Summe (die Bundes- und Länderfinanzen wären einigermaßen im Lot, die Maastrichtkriterien könnten eingehalten werden, Reformen könnten sozialverträglicher umgesetzt werden, Steuern gesenkt werden ...),
- die Tatsache, dass es Niemanden direkt betrifft (anders als bei der Eigenheimzulage oder Pendlerpauschale) und man das was man nicht hat auch nicht vermisst,
- die Komplexität de Problems,
- die Tatsache, dass sich das Thema für keinen politischen Streit eignet, da sowohl Bund, Länder als auch alle Parteien in gleicher Weise involviert sind und keiner dem anderen die Schuld zuweisen kann
oder ist es einfach ein Zeichen dafür, dass Politik und Gesellschaft der Maßstab für Wichtiges und Unwichtiges verlorengegangen ist?
Mit freundlichen Grüßen
Josef Högl
Sehr geehrer Herr Högl,
ich möchte Ihnen widersprechen, dass die Politik sich generell für das Thema nicht interessiert bzw. der "Maßstab für Wichtiges und Unwichtiges verlorengegangen ist". Am 10.11.2004 fand im Finanzausschuss des Bundestages eine Öffentliche Anhörung von Sachverständigen zum Thema Umsatzsteuerbetrug auf Einladung der Ausschussvorsitzenden Christine Scheel von Bündnnis 90/Die Grünen statt. Das Protokoll dieser Anhörung können Sie bei Interesse unter Bundestag.de Finanzausschuss lesen. Bund und Länder sind so stark von den Steuermindereinnahmen betroffen, dass sie unabhängig von der politischen Farbe der Partei handeln müssen. Sie tun dies leider unterschiedlich stark und wenig koordiniert insb. auf dem Gebiet der Datenvernetzung (Software).
Am 2.8.2005 stand im Handelsblatt die Rüge des Bundesrechnungshofs, dass "die Betrüger bei sog. Karusellgeschäften die mangelnde Zusammenarbeit der Finanzverwaltungen von Bund und Ländern sowie das Zugständigkeitsgerangel unterschiedlicher Staatsanwaltschaften" ausnutzen können. Das Bundesamt für Finanzen in Bonn (Behörde des BMF) baut eine zentrale Datenbank und eine zentrale Koordinierungsstelle für Umsatzsteuerprüfungen auf. Die Zusammenarbeit mit den Ländern ist aber wegen vielfältiger Probleme nicht professionell geklärt.
In einem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 17.08.2005 schreibt der Journalist Klaus Ott, "dass in vielen Bundesländern Sonderprüfer, die solche Delikte aufspüren fehlen.".."Lt. einer Übersicht des BMF sollte bei den Finanzämtern der Personalbestand bis Mitte 2004 auf 2.374 Ermittler aufgestockt worden sein, tatsächlich waren aber nur 2.120 Spezialisten im Einsatz. Am schlimmsten sah es in Bayern aus. Statt der vorgesehenen 289 waren hier nur 220 Sonderprüfer tätig, fast jede vierte Stelle blieb unbesetzt." "In Hamburg habe jeder Sonderprüfer in Schnitt zusätzliche Umsatzsteuern in Höhe von 852.691 Euro eingetrieben." Diese Sonderprüfter finanzieren sich mehr als selbst zu Gunsten des Fiskus. Wir fordern schon lange, dass endlich die Stellen besetzt werden. Vielleicht fragen Sie einmal Herrn Stoiber oder den Finanzminister Faltlhauser aus Bayern, warum sie sich die Steuereinnahmen entgehen lassen. Unterlassen von Umsatzsteuersonderprüfungen zu Gunsten von Unternehmen ist auch Politik! Wirtschaftskriminalität ist häufig weiße Kragen Kriminalität. Sie muss unserer Meinung nach schärfer bekämpft werden.
Mit freundlichen Grüßen
Peter Sellin, Büro Christine Scheel