Frage an Christine Scheel von Andreas F. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Frau Scheel,
vielen Dank, dass Sie meine Frage so kurzfristig beantwortet haben.
Ich muss Sie enttäuschen, „eine Stärkung der individuellen Eigenvorsorge“ unterstütze ich nicht – die Zustimmung dazu adressieren Sie besser an Ihre Freunde von der Arbeitgeberlobby (INSM) .
Konkret stört mich an der Privatvorsorge:
- die unsoziale Ausgestaltung (bei der Absicherung der Lebensrisiken sollten m.E. die Starken für die Schwachen einstehen – bei der „individuellen Eigenvorsorge“ wird das Leistungsfähigkeitsprinzip einfach ausgeschaltet),
- die im Vergleich zur Sozialversicherung hohen Kosten für Vertrieb und Gewinne,
- die verbraucherunfreundliche Produktgestaltung (bspw. Rückkaufswerte in der LV – überlegen sie mal, wie hoch die Renditeerwartung bei einer lang laufenden Lebensversicherung aus Kundensicht ist, wenn man die Wahrscheinlichkeit (über 50%), dass die Police vor Ablauf gekündigt wird berücksichtigt) und
- die Frage, wer die aufgebauten Vermögenswerte denn einmal aufkaufen wird, wenn die alternde Gesellschaft die heute kollektiv aufgebauten Vermögensreserven aufzehren wird (Mackenroth-These, Asset Meltdown).
Ich finde es sehr schade, dass Sie in Ihrer Antwort nicht auf die von mir vorgeschlagenen Kriterien - Wachstum und Arbeitsplätze - eingegangen sind.
Ihre Argumentation für mehr Eigenverantwortung (=Entsolidarisierung) war mir ebenso bekannt wie der löbliche Einsatz bei steuerlich subventionierten privaten Vorsorgeprodukten für etwas Transparenz bei den Anlagekriterien zu sorgen („ob und wenn ja wie“).
Was halten Sie von den Anlagekriterien Arbeitsplätze und Wachstum? Mögen Sie meiner Kritik an der Privatvorsorge etwas entgegensetzen?
Viele Grüße
Andreas Falken
Sehr geehrter Herr Falken,
vielen Dank für Ihre Nachfragen. Ihre Idee, dass die Anbieter von Altersvorsorgeverträgen einen Wettbewerb um Wachstum und Arbeitsplätze austragen sollen, ist durchaus interessant. Gerade durch die von den Grünen durchgesetzte Wahlfreiheit der Altersvorsorgesparer zwischen verschiedenen Sparmöglichkeiten wie Banksparplänen, Fonds und Versicherungen wird ein solcher Wettbewerb ja erst ermöglicht. Und wenn Geld gespart wird - bei der Bank, in Anleihen, Investmentfonds oder auch in Lebens- und Rentenversicherungen ? so steht es natürlich als Kapital zur Verfügung, Investitionen und damit Wachstum und Arbeitsplätze zu finanzieren.
Nun zu Ihrer Kritik an der geförderten privaten Altersvorsorge:
Ausgestaltung der Förderung nach sozialen Kriterien: Die Förderung ist so ausgestaltet, dass auch ganz kleine Einkommen oder auch Familien mit Kindern, die sich eine private Altersvorsorge sonst nicht leisten könnten, die vollen Zulagen bekommen. So flossen im Jahr 2005 knapp 51 Prozent der Zulagen an Sparende mit kleinen Jahreseinkommen von weniger als 20.000 Euro brutto. Bis zum 30.6. letzten Jahres sind bisher rund 1 Mrd. Euro Zulagen ausgezahlt worden. Da die Zulagen aus Steuermitteln finanziert werden, zahlen hier durchaus die ökonomisch Stärkeren für die ökonomisch Schwächeren. Die private Altersvorsorge ist auch insofern höchst sozial ausgestaltet, als dass breiten Bevölkerungsschichten dadurch die Teilhabe an den deutlich gestiegenen Gewinnen der Unternehmen ermöglicht wird. Aber es wird auch keiner dazu gezwungen, private Vorsorge zu betreiben. Die private Altersvorsorge ist auch kein Ersatz für die gesetzliche Rente.
Kosten für Vertrieb und Gewinne im Vergleich zur Sozialversicherung: In der Tat müssen bei der privaten Absicherung die Kosten für Vertrieb und Gewinn beachtet werden. Aber gerade deshalb setzen wir Grünen uns für mehr Transparenz ein, damit der Kunde weiß, wie viel von seinem Beitrag an den Anbieter der privaten Altersvorsorge geht. So haben wir z.B. bei der Riester-Rente durchgesetzt, dass die Kosten jedes Jahr dem Sparer auf Heller und Pfennig genau mitgeteilt werden. Das ist im Übrigen bei den Sozialversicherungen bisher nicht der Fall. Aber auch dort fallen erhebliche Verwaltungskosten an, die von den Beitragszahlern getragen werden müssen.
Verbraucherunfreundliche Produktgestaltung: Die Verbraucherfreundlichkeit bei den Lebensversicherungen lässt sicherlich noch zu wünschen übrig, denn hier mangelt es weiterhin erheblich an Transparenz. Sinnvoll wäre deshalb, wenn die Lebensversicherungen generell künftig genau ausweisen müssen, welcher Teil der Beiträge für die Gesellschaft (also Verwaltung und Gewinn), für den Todesfallschutz und für das Ansparen aufgebracht werden müssen. Dafür wollen wir uns einsetzen. Kundenfreundlichere Produkte erreichen wir sowohl durch klare gesetzliche Vorschriften für mehr Transparenz dieser Produkte als auch durch mehr Wettbewerb zwischen den Anbietern. Deshalb haben wir Grünen uns dafür eingesetzt, dass Vorsorgesparer nicht nur in ein Anlageprodukt gedrängt werden, sondern ein breites Anlagespektrum aus Fonds, Banksparplänen und Versicherungen vorfinden. Außerdem machen sich die Grünen seit langem stark dafür, dass es Fortschritte in Sachen Verbraucherfreundlichkeit bei den Versicherungen gibt. Das betrifft z.B. die Beteiligung der Versicherten an den stillen Reserven der Versicherungen.
Wertentwicklung und Demografie: Aufgebaute Vermögenswerte sollten sich ja nicht nur auf Deutschland konzentrieren. Heutzutage investieren Versicherungen und Investmentfonds - gerade auch Dank der sich immer weiter öffnenden Grenzen - die Gelder ihrer Versicherten und Anleger auch im Ausland - wie eben auch das Ausland in Deutschland investiert. Das zeigt auch, dass Globalisierung durchaus sehr positive Aspekte hat: Es macht die Altervorsorge ein Stück demografiesicherer. Denn die Weltbevölkerung wächst noch, viele Staaten sind erst am Anfang ihrer wirtschaftlichen Entwicklung, die Hälfte ihrer Bevölkerung oft noch nicht einmal im Erwachsenenalter. Demgegenüber kann die deutsche gesetzliche Rentenversicherung nur auf Deutschland begrenzt bleiben. Und dass bei Eintritt der Babyboomer in den Industrieländern in das Rentenalter sämtliche Vermögenswerte aufgebraucht werden (asset meltdown), wird inzwischen doch erheblich bezweifelt. Man denke nur an die aufstrebenden BRIC-Staaten.
Mit vielen Grüßen
Christine Scheel