Frage an Christine Scheel von Jenny M. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Christine Scheel!
Quellen sprechen von 10.000 Fällen contergangeschädigter Kinder weltweit, von denen 4000 auf Deutschland entfielen. Von diesen ist die Hälfte bereits verstorben. Hinzu kommt eine unbekannte Zahl von Kindern, die während der Schwangerschaft gestorben sind. Nach Zeitungsmeldungen hat sich im Januar 2010 die britische Regierung bei den englischen Contergan-Opfern für das Versagen der Aufsichtsbehörden entschuldigt. Zusätzlich erhalten die 466 noch lebenden englischen Opfer eine Entschädigung von umgerechnet 22,5 Mio. Euro. Ein fehlerhaftes Arzneimittelrecht in Deutschland ermöglichte erst, dass Contergan rezeptfrei u.a. als ein nebenwirkungsfreies Mittel gegen die typische, morgendliche Schwangerschaftsübelkeit in der frühen Schwangerschaftsphase von der Verursacherfirma Grünenthal beworben und vertrieben werden konnte. Wie stehen Sie zu Forderungen deutscher Conterganopfer, die eine vergleichbare Geste der Bundesregierung an die deutschen Contergangeschädigten fordern?
Sehr geehrte Frau Müller,
vielen Dank für Ihre Frage nach Entschädigungszahlungen für Contergangeschädigte entsprechend der von Ihnen angesprochenen britischen Regelung. In Deutschland wurde das Conterganstiftungsgesetz letztes Jahr verabschiedet.
Das vom Bundestag verabschiedete Conterganstiftungsgesetz weist zweifellos eine ganze Reihe von Verbesserungen auf. So ist positiv, dass nun auch solche Contergangeschädigten Leistungen in Anspruch nehmen können, die bislang ausgeschlossen wurden. Außerdem ist positiv, dass der Stiftungszweck geändert worden ist: das Stiftungsvermögen kommt fortan ausschließlich den Contergangeschädigten zu. Auch die Dynamisierung, d.h. die Anpassung an die gesetzliche Rente, der monatlichen Entschädigungszahlungen ist im Grundsatz sinnvoll, ebenso die Regelung für die Urwahl der Vertreter der Contergangeschädigten im Stiftungsrat.
Trotz der Schritte in die richtige Richtung bleibt das Conterganstiftungsgesetz an verschiedenen Stellen jedoch leider etwas *halbherzig.* Hierfür zwei Beispiele:
- Zum einen geht es um die *Dynamisierung.* Es handelt sich bei der Conterganrente nicht um eine Rente, die mit der gesetzlichen Rente vergleichbar ist, sondern um eine Entschädigungszahlung, die aufgrund der Haftungsnachfolge der Bundesrepublik Deutschland entstanden ist. Da es sich um eine Entschädigungszahlung handelt, sollte man bei der Dynamisierung nicht der gesetzlichen Rente folgen. Die Anpassung der gesetzlichen Rente ist zum Beispiel politisch durch den Nachhaltigkeitsfaktor, das Verhältnis von Beitragszahlenden zu Rentnern, und den Riester-Faktor für den Aufbau der privaten Ergänzungsversorgung beeinflusst. All dies sind Dinge, die innerhalb des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung zu bewerten sind, systematisch aber nichts mit einer Entschädigungszahlung zu tun haben.
- Zur so genannten *Ausschlussfrist*: Hier geht es um den Fall, dass sich nachträglich Personen melden, die festgestellt haben, dass etwa ihre inneren Organe Schädigungen durch Contergan erlitten haben, von denen sie bislang nichts wussten. Es gibt durchaus einige Geschädigte, die schon in der Vergangenheit Leistungen beantragt hatten, aber mit Verweis auf die Ausschlussfrist keine Leistungen bekommen haben. Diese können sich jetzt wieder melden. Das ist gut so. Aber warum erhalten sie die entsprechende Entschädigung nur ab dem Zeitpunkt der Antragstellung und nicht wenigstens ab dem Zeitpunkt der Erstantragstellung, als sie damals nicht berechtigt waren? Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Koalition an dieser Stelle so kleinlich ist.
Ich bin der Auffassung, dass die Spätfolgen bei einer Neubegutachtung und einer anderen Festsetzung der Entschädigungssumme berücksichtigt werden müssen. Ich hoffe, dass es zu einem anderen Bewertungsmaßstab kommt, wenn die Ergebnisse in dieser Legislaturperiode vorliegen werden. Ich werde auch weiterhin dafür eintreten, die monatliche Entschädigungszahlung den tatsächlichen Bedürfnissen der Contergangeschädigten anzupassen.
Mit freundlichen Grüßen
Christine Scheel