Frage an Christine Scheel von Lothar S. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Frau Scheel.
Auf Grundlage einer EU-Vorschrift müssen alle Kapitalgesellschaften bis hin zu Kleinstunternehmen die jährliche Rechnungslegung im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlichen. Wer nicht rechtzeitig oder unvollständig eingereicht hat, erhält vom Bundesjustizamt eine Ordnungsgeldandrohung zwischen 2.500 und 25.000 Euro. Ein Betrag dem es an jeder Verhältnismäßigkeit fehlt.
Für Kleinstunternehmen bedeutet die Veröffentlichung einen erheblichen bürokratischen und wirtschaftlichen Aufwand.
In Anbetracht dieser Schwierigkeiten hat EU-Kommissar McCreevy Ende September 2008 eine Initiative angekündigt, sog. kleine Kapitalgesellschaften („micro entities“) vom Anwendungsbereich des EU-Bilanzrechts auszunehmen. Gerade bei Kleinstunternehmen sei diese Vorschrift unsinnig und nicht zu vertreten.
Auf eine kleine Anfrage vom 10.12.08 (Drucksache 16/11120) gab die Bundesregierung bekannt, dass das Bundesamt für Justiz bisher 456.488 (!) Ordnungsgeldverfahren in Höhe von 2.500 Euro gegen Unternehmen eingeleitet hat, die nicht rechtzeitig oder unvollständig ihre Rechnungslegung eingereicht hatten.
In seiner Entschließung vom 18.12.08 zu Rechnungslegungsvorschriften für Kleinstbetriebe rief das Europäische Parlament die Kommission auf, einen Legislativvorschlag vorzulegen, der es den Mitgliedstaaten gestattet, Kleinstunternehmen vom Anwendungsbereich der Richtlinie 78/660/EWG auszunehmen.
Mittlerweile versendet das Bundesjustizamt massenweise Vollstreckungsankündigungen und lässt infolge die Geschäftskonten pfänden. Für viele Kleinstunternehmen bedeuten die Pfändungsbeträge von 2.500 bis 5.000 Euro das sofortige Aus ihrer Existenz.
Meine Frage an Sie als zukünftiges Mitglied des Bundestages:
a) Unterstützen Sie „Kleinstunternehmen vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen?
b) Wenn ja, würden Sie sich dafür einsetzen, das rigorose Vorgehen des Bundesjustizamtes gegen Kleinstunternehmen auszusetzen?
Es grüßt
Lothar Schedereit
Sehr geehrter Herr Schedereit,
vielen Dank für Ihre Fragen, die ein Thema berühren, mit dem ich mich intensiv beschäftige. So habe ich z.B. auch die von Ihnen erwähnte Kleine Anfrage vom 10.12.08 (Drucksache 16/11120) selbst an die Bundesregierung gestellt. Die Antwort der Bundesregierung mit in 456.488 Fällen angedrohten Ordnungsgeldern von in der Regel 2.500 Euro war in der Tat schockierend, denn dies bedeutete angedrohte Ordnungsgelder von rund einer Mrd. Euro. Deshalb haben mein Fraktionskollege, Jerzy Montag, und ich umgehend Kulanzregelungen von der Bundesregierung eingefordert. Die Pressemitteilung finden Sie auf meiner Homepage: http://www.christine-scheel.de/aktuell/presse/2009924.html . Auf meine weiteren Nachfragen antwortete die Regierung, dass „nur“ rund 51 Millionen Ordnungsgelder per 31. Dezember 2008 tatsächlich festgesetzt wurden. Das ist zwar deutlich weniger als ursprünglich angedroht aber immer noch eine erhebliche Summe, die vor allem von kleinen und mittleren Unternehmen aufgebracht werden muss. Ich trete hier weiterhin für ein kulantes Vorgehen und eine Evaluierung der Offenlegungspflicht ein. Maßnahmen, die bürokratische Belastungen für kleine Unternehmen vermindern, begrüße und unterstütze ich grundsätzlich. Allerdings müssen Transparenz und Gläubigerschutz natürlich gewährleistet sein, insbesondere bei Unternehmen mit beschränkter Haftung.
Mit freundlichen Grüßen
Christine Scheel