Frage an Christine Scheel von andrea b. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Scheel,
bei der Abstimmung zum sogenannten „Zugangserschwerungsgesetz“ bzgl. Kinderpornographie im Internet haben Sie sich der Stimme enthalten.
Die diesbezügliche Persönliche Erklärung nach §31 GOBT der 15 Grünen Abgeordneten dazu ist mir bereits bekannt, beantwortet aber nicht mein grundsätzliches Problem mit Ihrem Verhalten, das da lautet:
Wann ist ein Thema dringlich genug, um mit einem klaren NEIN beantwortet zu werden?
Ihr Engagement bzgl. KiPo ist mehr als löblich, aber das verabschiedete Gesetz beendet die grundgesetzlich verbürgte Gewaltenteilung und öffnet der Zensur Tür und Tor. Hingegen wurde von mehreren kompetenten Seiten wiederholt verdeutlicht, dass das Z.-Gesetz nicht nur kein einziges Kind schützt sondern im Gegenteil die Täter/Seitenbetreiber warnt. Alle Bedenken, die Sie in der Persönlichen Erklärung formulieren, sind durch Expertenaussagen mehrfach widerlegt.
Sie lassen nun also ein Gesetz passieren, dass keinerlei Nutzen bringt, im Gegenzug aber die Rechte eines jeden Internetnutzers empfindlich einschränkt und ihn potentiell kriminalisiert. Mit Ihrer Ein-Punkt-ansonsten-egal-Position der Enthaltung nehmen Sie solche Kollateralschäden billigend in Kauf.
Darum noch einmal meine - generelle -Frage zur Urteilsfindung:
Wie dramatisch muß sich ein Szenario darstellen, damit Sie bei einer Güterabwägung wirklich klar Stellung beziehen und deutlich mit NEIN abstimmen?
Sehr geehrte Frau Baranski,
vielen Dank für Ihre Frage wegen meines Abstimmungsverhaltens zum sog. "Zugangserschwernisgesetz". Richtig ist, dass das Gesetz keine absolute Sperre gegen die Verbreitung von Kinderpornographie im Netz bewirken kann. Tatsächlich geht es darum, die Schwelle für den Abruf solcher Seiten höher zu legen. Das ist nicht gering zu schätzen. Die forensischen Untersuchungen, die in der Ausschussanhörung vorgestellt worden sind, betonen, dass gerade die Erschwerung des Abrufs einen Nutzen habe. Die Uni Regensburg, die zu Täterprofilen von pädosexuellen Menschen (zumeist Männern) arbeitet, führt aus, dass der Konsum von kinderpornographischen Materialien stimulierend wirkt und zunehmend zu der Verwischung von Realität und Phantasie führt. Im Volksmund nennt man das "Anfixen". Die Erhöhung der Zugangsschwelle sei wünschenswert, weil deren Umgehung ein erhöhtes Maß an krimineller Energie erfordere und damit vermutlich ein Teil der potentiellen Täter vom Einstieg in diese Welt abgehalten werden könne.
Insofern komme die Forensik der Uni Regensburg auch zu dem Schluss, dass eine technische Sperrung derartiger Seiten einen wichtigen Beitrag zum Opferschutz bieten würde (siehe Stellungnahme Prof. Osterheider in der Anhörung des Wirtschaftsausschusses vom 25.05.09).
Niemand behauptet im übrigen, dass das access-blocking die Antwort auf den Missbrauch von Kindern in der Pornographie sein könne. Es ist immer nur von einem Baustein, einer flankierenden Maßnahme die Rede. Strafrechtlich ist Kinderpornographie ganz eindeutig normiert. Insofern halte ich auch den Begriff Zensur für falsch, denn es kann nicht um das Recht auf eine Straftat gehen.
Mir ist immer wieder das Argument begegnet, man könne - ähnlich wie die Banken, die mit dem Phishing zu kämpfen haben - durch das Löschen weit erfolgreicher sein als durch das access-blocking. Mir wurde sowohl aus dem Haus des Bundesdatenschutzbeauftragten als auch von anderen Technikern erklärt, dass hier keine Vergleichbarkeit der Sachverhalte vorliege.
So können die Banken, wenn es einen illegalen Zugriff auf ihre Rechner oder websites gibt, von dort aus die Spur auch ins Ausland zurück verfolgen. Das gelte aber nicht, wenn von im Ausland gelegenen Servern Bilder ins deutsche Netz gestellt werden. Und eine wirkungsvolle Zusammenarbeit ist mit manchen Ländern nicht einfach, insbesondere dort, wo es kaum belastbare rechtsstaatliche Strukturen gibt.
Der Datenschutzbeauftragte hat in seiner Stellungnahme zur Ausschussanhörung gegen die Erhebung, Speicherung und Verarbeitung personenbezogener Daten argumentiert und die ersatzlose Streichung des § 8a Abs.5 S. 2 TMG-E gefordert. Dieser Forderung wurde im nun vorliegenden Gesetz nachgekommen.
So bleibt die große Frage nach der Gefährlichkeit dieser Struktur, die nun beim BKA aufgebaut wird, hinsichtlich ihrer Potenz zu einer Einschränkung von Bürgerrechten. In der Tat ist jeder kontrollierende Zugriff von Staatsorganen auf das Netz - erst recht wenn er sich nicht in rechtsstaatlichen Bahnen bewegt - eine hochgefährliche Angelegenheit. Der Schlüssel liegt dabei in der Frage, wie weit auf die politische Kontrolle solcher Organe und die Einhaltung rechtsstaatlicher Normen und Verfahren vertraut werden kann.
Wenn wir chinesische Verhältnisse hätten, gäbe es die von uns kontrovers geführte Debatte nicht, weil jedes autoritäre Regime zu unterbinden und ohne rechtliche Basis ins Internet eingreifen würde, wie wir es im Iran gerade erleben.
Der springende Punkt ist also nicht die potentielle Gefahr eines technischen Instruments, sondern die Gewährleistung rechtsstaatlicher Verfahren und Kontrollen. Das schließt die Überprüfung von Eingriffen wie der Sperrung von Internet-Seiten ebenso ein wie die Möglichkeit, sie rechtlich anzufechten.
Natürlich ist der Missbrauch technischer Überwachungsmöglichkeiten durch die staatliche Exekutive auch in einem Rechtsstaat nie auszuschließen.
Ich bin der Überzeugung, dass weite Teile von Politik und Gesellschaft noch gar nicht erfasst haben, in welch tiefgreifender Weise das Internet in unser aller Leben eingreift. Und dabei geht es nicht nur um das Verhältnis zwischen Bürger/innen und Staat sondern auch um das Verhältnis der Bürger/innen untereinander. Die Debatte wird sich
sicherlich fortsetzen.
Mit freundlichen Grüßen
Christine Scheel