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Christine Scheel
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Frage von Christopher H. •

Frage an Christine Scheel von Christopher H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Scheel,

Wie stehen Sie zu der Verschärfung des Waffenrechtes, insbesondere das geplante Verbot von "Paintball"?

Desweiteren, was halten sie von dem Vorschlag, Internetseiten mit kinderpornographischen Inhalten mit (leicht zu umgehenden) Sperren zu indizieren?

Danke im Voraus für Ihre Antwort.

Mit freundlichen Grüßen

Christopher Herteux

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Herteux,

vielen Dank für Ihre Fragen zum geplanten Paintballverbot und zur Sperrung von Internetseiten mit kinderpornographischen Inhalten

zu Frage 1:

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat in ihrem Antrag "Abrüstung in Privatwohnungen - Maßnahmen gegen Waffenmissbauch" vom 25.03.2009, Drucksache 16/12477) eine Reihe von konkreten Forderungen gestellt, die auf eine verbesserte Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger gerichtet sind. Ein Verbot von Paint-Ball und Gotcha-Spielen findet sich nicht in unserem Katalog.

Aus Sicht der grünen Bundestagsfraktion reicht der allgemeine Vorwurf einer möglichen "Sittenwidrigkeit" von Paint-Ball nicht aus, die konkrete Gefährlichkeit dieser - nach unseren Informationen - nicht gefährlichen Freizeitbeschäftigung auch gerichtsfest zu begründen. Wenn der Staat in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger auf diese Weise eingreifen möchte, ist er verpflichtet, die Notwendigkeit und auch die Verhältnismäßigkeit der Verbotsmaßnahme sorgfältig zu begründen.

Der §15 Abs. 6 WaffG verbietet bereits heute, dass auf Abbilder von Menschen geschossen wird. Ob die genannten Spiele den Grad einer derart menschenverachtenden Haltung erreichen, bezweifeln wir. Die bei Paint-Ball eingesetzten "Waffen" sehen nicht wie echte Waffen aus. Und es gibt keine Informationen darüber, dass von den TeilnehmerInnen eine öffentliche Gefahr ausgeht. Entsprechende Belege wären aber die verfassungsrechtliche Voraussetzung für die Bestandskraft einer solchen bußgeldbewehrten Verbotsanordnung.

Es drängt sich bei dem Vorschlag für ein Verbot von Paint-Ball-Spielen vielmehr der Verdacht auf, dass die Bundesregierung und die Mehrheit der Bundesländer von dem eigentlichen Problem ablenken wollen: der notwendigen tiefgreifenden Reform des Waffenrechts.

Wer wirklich eine Verbesserung der Sicherheitslage erreichen möchte, muss die sichere Lagerung von Waffen und Munition außerhalb der Privatwohnungen durchsetzen. Es genügt nicht, biometrische Blockiersysteme vorzuschreiben, von denen niemand weiß, ob sie sich auf absehbare Zeit im Massenbetrieb überhaupt bewähren können.

Es kann nicht angehen, dass die Zahl scharfer Waffen in Privatbesitz durch das Wachstum der "Sportarten" immer weiter steigt. Niemand braucht 15 Schusswaffen und eine größere Menge Munition - schon gar nicht in der eigenen Wohnung.

Für uns hat diese wirksame Abrüstung der Privathaushalte auf jeden Fall Priorität vor einer fragwürdigen Symbolpolitik.

zu Frage 2:

Die Debatte über die richtige und erfolgreiche Bekämpfung von Kinderpornographie im Internet wird sehr emotional geführt. Dies ist mehr als verständlich. Es handelt sich nicht um mehr oder weniger verfängliche Darstellungen der Sexualität Jugendlicher, sondern um Szenen der Vergewaltigung und des Quälens von Kleinkindern. Es sind Darstellungen von verabscheuungswürdigen Verbrechen.

Für uns Grüne ist klar, dass wir eine effektive und konsequente Verfolgung der Kinderpornographie im Internet befürworten. Die Freiheit des Internets gilt es zu verteidigen. Dem Internet drohen Beschränkungen durch Staaten wie China, die grundsätzlich keine freie Kommunikation zulassen wollen. Auch weltweit agierende Firmen, die im Internetgeschäft zu hause sind, wollen die Kontrolle über die Datenautobahnen, ihre Kreuzungen und Einfahrten erringen, um damit zu Lasten einer freien Kommunikation Profit zu machen. Die Verbreitung und der Konsum von Kinderpornographie im Internet haben aber mit seiner Freiheit nichts zu tun. Deshalb kann die Sperrung von Internetseiten, die Zugang zur Kinderpornographie gewähren, nicht als ein Angriff auf die Freiheit des Internets verstanden werden.

Zensur, besonders die durch die Verfassung verbotene Vorzensur, ist der Feind der Presse- und Meinungsäußerungsfreiheit. Auch in Deutschland ist die Pressefreiheit Angriffen ausgesetzt. Die freie Presse zu schützen ist ein Anliegen, dem wir uns ganz engagiert stellen. Mit Anträgen und Gesetzentwürfen haben wir dies unter Beweis gestellt. Aber die Sperrung von Internetseiten, die Kinderpornographie zeigen, ist keine Zensur und beschneidet nicht die Presse- und Meinungsfreiheit.

Wir sind dafür, die Herstellung und Verbreitung von Kinderpornographie effektiv und konsequent zu verfolgen. Es sind Straftaten, die auch hoch bestraft werden. Wir haben in der rot/grünen Koalition dafür gesorgt, dass Strafbarkeitslücken bei der Verbreitung von Kinderpornografie geschlossen wurden. Auch der Besitz, die Besitzverschaffung und die Nachfrage nach Kinderpornografie stehen zu recht unter Strafe. Da die Nachfrage das Angebot nährt, ist auch der Gedanke nicht falsch, auch die Nutzer von Kinderpornografie nicht ungeschoren davonkommen zu lassen.

Genau hier setzt deshalb unsere Kritik an den Vorschlägen der Großen
Koalition an.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung setzt nicht bei den Betreibern von Kinderpornographie-Seiten an. Deren Verfolgung -- oft in entlegenen Winkeln der Welt -- ist schwierig und stößt oft auf tatsächliche Grenzen. Dennoch kann und muss er zum effektiveren Schutz der Opfer und zur Ermittlung der Täter intensiviert werden.

Die Bundesregierung wählt stattdessen den Weg, die Zugangsdienstleister zu verpflichten, potentiellen Nutzern den Zugang zu solchen Angeboten zu versperren. Diese gewählte Technik kann den Zugang nicht verhindern, jedoch erschweren. Die geplanten Sperren sollen wirken, indem die Adressen von Kinderpornographie-Seiten nicht an die Rechner der Benutzer weitergegeben werden oder indem Daten von bestimmten Servern nicht an die Benutzer übertragen werden. Beides ist leicht zu umgehen, auch ohne Informatikdiplom. Entsprechende Anleitungen kursieren bereits im Netz. Wo ein entsprechender Wille ist, ist auch ein sehr kurzer, komfortabler Weg. Sperren im World Wide Web treffen den harten Kern der Kinderporno-Konsumenten auch aus anderem Grunde nicht. Denn diese Szene arbeitet mit Tauschbörsen, schickt sich Fotos und Videos per Email oder nutzt schlicht die Post. Sexueller Missbrauch und die Herstellung kinderpornographischen Materials finden fast immer im privaten Umfeld statt. So treffen die Ausführungen der Familienministerin von der Leyen von einer Industrie, die über kommerzielle Angebote im Netz ihr Geld verdient, nur einen Teil des Problems.

Nach Auskunft des BKA sind 80% der Besucher dieser Seiten "Gelegenheitskonsumenten". Sie werden nach dem Gesetzentwurf in Zukunft auf die Stoppseiten umgeleitet. Da auch heute schon Suchmaschinenbetreiber Kinderporno-Seiten aus den Suchergebnissen filtern, wird dann wohl überhaupt nur der Zufallssurfer getroffen -- der über irgendwelche mehr oder weniger zwielichtigen Seiten oder legale Porno-Angebote durch Anklicken eines Links auf einer Kinderporno-Seite gelandet ist.
Wer vor dem Stoppsignal landet und auch wirklich anhält und keine Umgehung versucht, erhält allerdings -- und das ist einer der Hauptkritikpunkte an diesem Gesetzesentwurf -- keine Garantie, dass das Stoppen ihn vor staatlichen Maßnahmen bewahrt. Dass BKA kann sich laut Gesetzentwurf live auf die Stopp-Seite schalten und sehen, von welchen Rechnern auf gesperrte Seiten zugegriffen werden sollte. Durch die seit dem 1. Januar 2008 stattfindende Vorratsdatenspeicherung lässt sich auch nachvollziehen, um welche Nutzer es sich dabei konkret handelt. Das ist ein Mitschnitt, der einer Telefonüberwachung aufs Haar ähnelt -- aber ohne richterliche Genehmigung. Es können dann auch strafrechtliche Ermittlungen folgen, weil die Staatsanwaltschaft einen Anfangsverdacht auf den Gebrauch von Kinderpornographie sieht. Das droht, wegen der Struktur der Kinderpornoszene und der Umgehbarkeit der Sperren, mehr zufällig Anwesende als aktiv nach Kinderpornographie Suchende zu treffen.

Die Erfahrungen mit Sperrlisten aus anderen Ländern warnen ebenfalls: Sie hatten oft zahlreiche Fehler und sperrten Seiten, die gar keine Kinderpornographie enthielten. Trotzdem müssten Besucher solcher Seiten -- sie landen ja am Stopp-Schild -- dann mit Ermittlungen rechnen. Das Gesetz erfüllt seinen Zweck -- die Bekämpfung von Kinderpornographie -- also nur sehr begrenzt. Es hat aber erheblich Nebenwirkungen: Die geheim gehaltenen Sperrlisten können durch Fehler völlig legitime und legale Angebote sperren. Die Technik, einmal installiert, lässt sich auch für andere Inhalte nutzen -- und manche fordern das auch schon, etwa für Tauschbörsen.

Für den gesamten Bereich der Bekämpfung von Sexuellem Missbrauch und Ausbeutung von Kindern gilt: alle Maßnahmen, die das Internet betreffen können nur flankierende Instrumente in einer nationalen und internationalen Strategie gegen die Kinderpornographie sein. Aufdeckung und Vermeidung von sexuellem Missbrauch und Ausbeutung, die Identifizierung der Opfer, deren Schutz und Rehabilitation, sowie die Strafverfolgung der Täter und ihrer Netzwerke sind dabei die zentralen Ansatzpunkte. Hier hat die Bundesregierung bislang versagt. Sie hat erfolgreiche, unter rot-grün begonnene Arbeit, wie den "Nationalen Aktionsplan zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung" nicht fortgesetzt und keine neuen Maßnahmen in diesem Bereich ergriffen.

Mit freundlichen Grüßen
Christine Scheel