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Frage von Theo H. •

Frage an Christine Lambrecht von Theo H. bezüglich Finanzen

Warum wird einem noch nicht geschiedenen, getrennt lebenden Ehemann, sein Gehalt nach Steuerklasse 1und nicht bis zur Scheidung nach Steuerklasse 3 versteuert? Unterhaltszahlungen an Frau und Kind müssen doch weiterhin bezahlt werden.

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Sehr geehrter Herr Helbig,

vielen Dank für ihre Frage vom 1.5.2008.

Die bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vom Arbeitslohn zu zahlende Einkommensteuer wird im laufenden Jahr im Wege des Abzugs vom Arbeitslohn erhoben (Lohnsteuer) und vom Arbeitgeber einbehalten. Erst nach Ablauf des jeweiligen Jahres wird gegebenenfalls zuviel erhobene Lohnsteuer erstattet bzw. zuwenig erhobene Steuer nachgefordert.

Im Lohnsteuerabzugsverfahren werden durch die Lohnsteuerklassen einkommensteuerrechtliche Vorgaben umgesetzt. Einkommensteuerrechtlich wird grundsätzlich jeder Steuerpflichtige mit seinem zu versteuernden Einkommen nach dem Einkommensteuertarif besteuert. Das entspricht der Lohnsteuerklasse I im Lohnsteuerabzugsverfahren. Nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten können zwischen den Lohnsteuerklassenkombinationen III/V und IV/IV wählen. Den Ehegatten wird es so ermöglicht, die Belastung mit Lohnsteuer im Jahresverlauf dem einkommensteuerrechtlichen Jahresergebnis anzupassen. Denn nur für nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten besteht die Möglichkeit der Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer unter Anwendung des Splittingverfahrens. Dabei werden die Ehegatten so gestellt, als ob jeder Ehegatte die Hälfte des gemeinsam zu versteuernden Einkommens erzielt und als Alleinstehender nach dem für jeden Steuerpflichtigen geltenden Einkommensteuertarif zu versteuern hätte. Dieses Splittingverfahren führt zu einer Milderung der Tarifprogression, wenn nur ein Ehegatte Einkünfte hat oder die Ehegatten unterschiedlich hohe Einkünfte haben. Diese Wirkung des Splittings ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass unabhängig von der Verteilung des Erwerbseinkommens auf die Ehegatten die verfassungsrechtlich gebotene Freistellung des Existenzminimums beider Ehepartner gesichert wird, indem der im Einkommensteuertarif eingearbeitete Grundfreibetrag beiden Ehegatten gewährt wird. Der Splittingeffekt nimmt jedoch rasch ab, wenn der andere Ehepartner zunehmend zum Einkommen des Haushalts beiträgt. Tragen beide mit gleichen Teilen zum gemeinsam zu versteuernden Einkommen bei, ist der Splittingeffekt gleich Null.

Das Ehegattensplitting ist geschlechtsneutral gestaltet. Es ermöglicht den Ehegatten - ohne eine ertragsteuerliche Schlechterstellung befürchten zu müssen - die freie Entscheidung darüber, ob nur ein Ehepartner einen möglichst hohen Beitrag zum Familieneinkommen erwirtschaften will, während der andere Partner den Haushalt führt, oder ob beide Partner sowohl im Haushalt als auch im Beruf tätig sein wollen. Eine Schlechterstellung je nach Aufteilung der Berufstätigkeit zwischen den Ehegatten wäre im Hinblick auf den in Artikel 3 Grundgesetz (GG) verankerten Gleichheitsgrundsatz und Artikel 6 GG (Schutz von Ehe und Familie) unzulässig.

Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seiner Entscheidung vom 3. November 1982, Bundessteuerblatt (BStBl) II 1982 S. 717, ausgeführt, dass das Splittingverfahren keine beliebig veränderbare Steuervergünstigung ist, sondern eine an dem Schutzgebot des Artikels 6 Abs. 1 GG und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Ehegatten nach Artikel 3 Abs. 1 GG orientierte, sachgerechte Besteuerung, durch die auch die gegenseitigen Unterhaltsverpflichtungen der Partner im Rahmen der Ehe berücksichtigt werden. Das Splittingverfahren beruht auf der Überlegung, dass die Ehegatten das Haushaltseinkommen gemeinsam erwirtschaften und über die Verwendung des Einkommens im Rahmen der nach zivilrechtlichen Vorgaben bestehenden ehelichen Wirtschafts- und Verbrauchsgemeinschaft gemeinsam entscheiden.

Das Einkommensteuergesetz knüpft damit nicht willkürlich an das zivilrechtliche Institut der Ehe an. Es greift vielmehr die bürgerlich-rechtliche Vorstellung von Ehe als eine auf Dauer ausgerichtete Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft mit umfangreichen gegenseitigen Verpflichtungen auf. Nur die Form des Zusammenlebens in der Ehe wird unter den besonderen Schutz des Grundgesetzes gestellt. Leben die Ehepartner auf Dauer getrennt, ist die Ehe geschieden oder lebt ein Paar ohne Trauung zusammen, gibt es keinen Grund, die Steuerbelastung nach dem Splittingverfahren zu ermitteln, da die für das Ehegattensplitting maßgebenden Grundannahmen des Gesetzgebers zu den Lebensverhältnissen in der zivilrechtlichen Ehe nicht mehr bzw. nicht gegeben sind. Das BVerfG hat die Beschränkung der Zusammenveranlagung und damit der Besteuerung nach dem Splittingverfahren auf zusammen lebende Ehegatten als sachgerecht und verfassungsgemäß anerkannt. Es führt hierzu aus, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen insbesondere nicht verpflichtet sei, die für zusammen lebende Ehegatten geltende Splittingbesteuerung auf dauernd getrennt lebende oder geschiedene Ehegatten oder auf andere Alleinstehende mit Kindern auszudehnen. Folglich können Geschiedene und unverheiratete Paare im Lohnsteuerabzugsverfahren auch nicht auf die Steuerklassenkombinationen IV/IV bzw. III/V für Ehegatten zugreifen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass Unterhaltspflichtige und Alleinerziehende „…wie Singles behandelt…“ würden, weil ihre Unterhaltsverpflichtungen gegenüber dem getrennten Partner oder den Kindern einkommenssteuerrechtlich nicht berücksichtigt würden.

Unterhaltsleistungen an den geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden unbeschränkt steuerpflichtigen Ehegatten sind unabhängig von der Lohnsteuerklasse des Unterhaltsverpflichteten (das kann z.B. die Lohnsteuerklasse I für Alleinstehende sein) nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) bis zu 13.805 Euro im Kalenderjahr als Sonderausgaben abziehbar, wenn der Unterhaltsverpflichtete dies mit Zustimmung des Empfängers beantragt. Der Unterhaltsempfänger muss Einkünfte aus Unterhaltsleistungen, soweit sie vom Geber als Sonderausgaben abgezogen werden können, als sonstige Einkünfte versteuern. Mit dieser Regelung, dem sog. begrenzten Realsplitting, wird entsprechend den tatsächlichen Verhältnissen bewirkt, dass die Unterhaltsleistungen das Einkommen des Verpflichteten mindern und das Einkommen des Berechtigten erhöhen. Wegen der möglichen Auswirkungen des Realsplittings auf den zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch verweise ich auf die Zuständigkeit des Bundesministeriums der Justiz. Wird der Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht wirksam beantragt, so können die Unterhaltsleistungen an den geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden Ehegatten in begrenztem Umfang als außergewöhnliche Belastung nach § 33a Abs. 1 EStG abgezogen werden. Der Empfänger hat die Unterhaltsleistungen in diesem Fall nicht zu versteuern.

Diese Unterhaltsverpflichtungen gegenüber dem geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden Ehegatten können bereits im laufenden Jahr im Lohnsteuerabzugsverfahren berücksichtigt werden. Hierzu kann der Unterhaltspflichtige nach Maßgabe des § 39a EStG einen Freibetrag auf seiner Lohnsteuerkarte eintragen lassen.

Aber auch die Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern bleiben ertragsteuerlich nicht unberücksichtigt. Wie aus den Ausführungen zum Splittingverfahren bei Ehepaaren deutlich wird, sind weder das Ehegattensplitting noch die entsprechenden Lohnsteuerkombinationen als Instrumente zur ertragsteuerlichen Berücksichtigung von Kindesunterhalt gedacht bzw. geeignet. Dem Umstand, dass Eltern ihren Kindern zum Unterhalt verpflichtet sind, wird im Rahmen der Einkommensteuer durch den so genannten Familienleistungsausgleich (§ 31 EStG) Rechnung getragen. Dies geschieht unabhängig vom Familienstand der Eltern und damit auch unabhängig von der Lohnsteuerklasse des Unterhaltspflichtigen.

Der Familienleistungsausgleich vollzieht sich wie folgt:

Bei den Eltern wird unabhängig vom Familienstand ein Einkommensbetrag in Höhe des Existenzminimums ihrer Kinder steuerfrei belassen, und zwar entweder durch die Zahlung von Kindergeld oder durch Abzug der entsprechenden Freibeträge bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens.

Bei getrennten Eltern wird das Kindergeld in voller Höhe an den Elternteil gezahlt, in dessen Haushalt das Kind lebt (Obhutsprinzip, § 64 EStG). Bei minderjährigen Kindern hat der barunterhaltspflichtige Elternteil am Kindergeld - soweit er ausreichend Unterhalt leistet - dadurch Anteil, dass er seine Unterhaltszahlungen um das halbe Kindergeld kürzen kann (zivilrechtlicher Ausgleich gemäß § 1612b Bürgerliches Gesetzbuch - BGB). Dadurch erhält letztlich jeder Elternteil das halbe Kindergeld, das nach seiner Zielsetzung der Entlastung beider Elternteile dienen soll. Dies entspricht dem Zivilrecht, das Barunterhalt und Betreuungsunterhalt als gleichwertig behandelt (§ 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB).

Bei der Veranlagung zur Einkommensteuer prüft das Finanzamt bei jedem Elternteil, unabhängig von der Behandlung beim anderen Elternteil, ob durch den Anspruch auf das halbe Kindergeld die gebotene Steuerfreistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des halben Existenzminimums eines Kindes bewirkt wird. Ist dies nicht der Fall, werden zu Gunsten des Steuerpflichtigen grundsätzlich die halben Freibeträge für Kinder (§ 32 Abs. 6 EStG) abgezogen und der Anspruch auf das halbe Kindergeld der sich dann ergebenden Einkommensteuer hinzugerechnet. In den Fällen, in denen das Kindergeld für die verfassungsrechtlich gebotene Steuerfreistellung ausreicht, haben die Freibeträge für Kinder nur noch Auswirkung auf die Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag und die Kirchensteuer (§ 51a EStG).

Da im geltenden Einkommensteuerrecht Unterhaltsverpflichtungen gegenüber gemeinsamen Kindern und getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten verfassungskonform berücksichtigt werden, kann ich eine Änderung der angesprochenen gesetzlichen Regelungen nicht in Aussicht stellen.

Mit freundlichen Grüßen
Christine Lambrecht