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Frage von Dr. Arndt B. •

Frage an Christine Lambrecht von Dr. Arndt B. bezüglich Familie

Sehr geehrte Frau Lambrecht,

vielen Dank für die ausführliche Antwort zum Unterhalts- und Sorgerecht und insbesondere für die Nachfrage beim BMJ bezüglich 1626a.
Bezüglich des Zusammenwirkens zwischen Unterhalts- und Steuerrecht bin ich jedoch nicht klüger geworden. Ich verstehe zwar das Normenverständnis, dass dem Gesetzentwurf zur Unterhaltsreform zugrunde liegt. Ich verstehe aber nicht, wie der Gesetzentwurf ausgerechnet in dem Zusammenhang, in dem er einem Elternteil den zweifachen Kinderfreibetrag zugeordnet, von einer „weitgehenden Harmonisierung“ mit dem Steuerrecht reden kann, das demselben Elternteil nur den einfachen Kinderfreibetrag zuordnet.
Habe ich hier ein Verständnisproblem oder die Autoren des Gesetzentwurfes?
Unter anderem durch diese explizite Verletzung des Prinzips der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit, zusammen mit einem ähnlichen Effekt beim Kindergeld, ist es zu erklären, dass eine Familie mit Kindern, deren Einkommen unter dem Existenzminimum liegt und die von daher überhaupt nicht steuerpflichtig ist, durch den Verlust der gemeinsamen steuerlichen Veranlagung dennoch 300 Euro monatlich verliert.
Sehen Sie hierin eine der Ursachen für Kinderarmut in Deutschland und sehen Sie die Gefahr, dass ausgerechnet durch den „Vorrang für Kinder“ im Unterhaltsrecht dieser Effekt noch verstärkt wird?
Durch die Einbeziehung von Kindesunterhalt ins Realsplitting würde genau dieser Effekt gezielt kompensiert. Eine Besserstellung gegenüber Naturalunterhalt leistenden Eltern kann ich nicht erkennen, sofern dieses Realsplitting für alle Eltern mit getrennter steuerlicher Veranlagung anwendbar wäre, also auch für unverheiratet zusammenlebende. Können Sie ein Beispiel nennen für einen solchen Fall, in dem Kindesunterhalt im Realsplitting zu einer solchen Besserstellung führen würde?
Vielen Dank für Ihre Mühe!

Mit freundlichen Grüssen,

Arndt Brenschede

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Dr. Brenschede,

nach wiederholter Anfrage beim BMJ möchte ich Ihre letzten Fragen wie folgt beantworten:

Das Steuerrecht stellt das Existenzminimum eines Kindes durch die Kinderfreibeträge bzw. durch das Kindergeld steuerfrei. Dazu verpflichtet die Verfassung. Das sächliche Existenzminimum deckt den Sachbedarf, also insbesondere die Kosten der Ernährung, Bekleidung, persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens und Unterkunft. Dieses Existenzminimum beträgt derzeit 3.648 Euro. Dem entspricht der doppelte Kinderfreibetrag: Da ein Kind Vater und Mutter hat, wird die steuerliche Freistellung des Existenzminimums dadurch bewirkt, dass Vater und Mutter je einen Freibetrag von je 1.824 Euro erhalten. Sind die Eltern verheiratet und werden sie gemeinsam steuerlich veranlagt, so erhalten sie gleichfalls den doppelten Freibetrag. Außerdem erhält ein Elternteil beide Kinderfreibeträge, wenn der andere Elternteil seine Unterhaltspflicht im Wesentlichen nicht erfüllt.

Deshalb ist es bei der beabsichtigten Harmonisierung mit dem Steuerrecht zwingend und folgerichtig, dass das Unterhaltsrecht bei der Bestimmung des Mindestunterhalts das sächliche Existenzminimum des Steuerrechts übernimmt, das aus dem doppelten Kinderfreibetrag besteht. Entsprechend liegt damit auch keine Berechtigung zu der Annahme vor, dass damit das Prinzip der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit bzw. die horizontale Steuergerechtigkeit verletzt wäre.

Der Wunsch, den Kindesunterhalt in das Realsplitting einzubeziehen, setzt eine grundlegende Reform des Splittingverfahrens voraus. Dies wurde schon in der Vergangenheit und wird heute intensiv diskutiert. Insbesondere wird an der Idee eines Familiensplittings gearbeitet. Dabei ist für mich klar: Wenn die heutigen Absetzungsmöglichkeiten des Realsplittings auch auf den Betreuungsunterhalt nicht verheirateter Eltern erstreckt würde, würde sich die steuerliche Absetzungsmöglichkeit im Einzelfall erhöhen und es gäbe dann mehr zu verteilen. Das könnte dann auch dem (nichtehelichen) Kind zu gute kommen.

Zum gemeinsamen Sorgerecht nicht verheirateter Eltern (§ 1626a BGB) hat das das BMJ auf meine Nachfrage wie folgt Stellung genommen:

Mit der Kindschaftsrechtsreform 1998 haben nicht miteinander verheiratete Eltern erstmals die Möglichkeit erhalten, die elterliche Sorge gemeinsam auszuüben. Da nicht verheiratete Eltern aber nicht nur in intakten nichtehelichen Lebensgemeinschaften leben, sondern vielfach auch in flüchtigen oder instabilen Beziehungen, kann nicht in jedem Fall davon ausgegangen werden, dass die Eltern bereit und in der Lage sind, zum Wohl des Kindes zu kooperieren. Aus diesem Grund verlangt die gesetzliche Regelung, dass die Eltern durch die Abgabe übereinstimmender Sorgeerklärungen ihre Bereitschaft dokumentieren, in Angelegenheiten des Kindes zusammenzuwirken.

In der Vergangenheit hat diese Regelung vor allem von Seiten betroffener Väter Kritik erfahren. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 29. Januar 2003 (BVerfGE 107, 150 ff.) den Gesetzgeber verpflichtet, die tatsächliche Entwicklung zu beobachten und zu prüfen, ob die gesetzlichen Annahmen auch vor der Wirklichkeit Bestand haben. Zu diesen Annahmen gehört, dass eine Mutter, die mit dem Vater und dem Kind zusammenlebt und gleichwohl keine Sorgeerklärung abgeben will, dafür schwerwiegende Gründe hat, die von der Wahrung des Kindeswohls getragen werden. Wir haben verschiedene Schritte unternommen, um den Prüfauftrag des Bundesverfassungsgerichts zu erfüllen.

Die SPD-Bundestagsfraktion hat dem Beobachtungsauftrag des Bundesverfassungsgerichts entsprechend in der vergangenen Legislaturperiode eine Expertenanhörung zum Thema "Elterliche Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern - Empfehlen sich Gesetzesänderungen?" durchgeführt. Die Anhörung sollte unter anderem Aufschluss darüber geben, ob die derzeitige Regelung der gesellschaftlichen Wirklichkeit ausreichend Rechnung trägt oder Anpassungen der gesetzlichen Regelung notwendig sind. Mit überwiegender Mehrheit sprachen sich die Sachverständigen für gesetzgeberische Korrekturen beim Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern aus. Demgegenüber gingen die Meinungen über das anzustrebende Neuregelungsmodell auseinander.

Seit dem Jahr 2004 wird die Begründung der gemeinsamen Sorge durch Sorgeerklärung statistisch erfasst. Im Jahr 2004 wurden im gesamten Bundesgebiet 87.400 Sorgeerklärungen abgegeben. Unter Berücksichtigung der Geburtsstatistik 2004, nach der 197.129 Kinder in nichtehelichen Lebensgemeinschaften geboren wurden, ergibt sich für die Begründung der gemeinsamen Sorge eine Quote von 44,34 %. Dies bedeutet einerseits, dass das Rechtsinstitut der Sorgeerklärung zu einem großen Teil gut angenommen wird. Andererseits muss berücksichtigt werden, dass nicht verheiratete Eltern sich immerhin in mehr als der Hälfte der Fälle (55,66%) nicht entschließen können, die gemeinsame Sorge durch Sorgeerklärung zu begründen. Diese Prozentzahlen allein sind jedoch wenig aussagekräftig, weil nicht bekannt ist, ob die Eltern zusammenleben und auf welchen Gründen die Nichtabgabe von Sorgeerklärungen beruht. Eine Praxisbefragung bei Rechtsanwälten und Jugendämtern soll hierüber weiteren Aufschluss geben. Die Auswertung dieser Befragung wird demnächst vorliegen.

Mit freundlichen Grüßen
Christine Lambrecht, MdB