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Christine Lambrecht
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Frage von Volker U. •

Frage an Christine Lambrecht von Volker U. bezüglich Recht

Sehr geehrte Frau Lambrecht,

zunächst darf ich Ihnen zu Ihrer Ernennung zur Bundesministerin für Justiz und Verbraucherschutz sehr herzlich gratulieren.
Nun zu meiner Frage:
Der "Wirtschaftswoche" vom19.7.2019 konnte ich in einem Interview mit dem Präsidenten des Bundesrechnungshofs Herrn Kay Scheller (S. 30ff) entnehmen, daß die Rechtsgrundlage für die Erhebung des Solidaritätszuschlages zum 31.12.2019 entfällt. Der Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) beabsichtigt jedoch, diesen erst ab 2021 und für lediglich 90% der Steuerzahler abzuschaffen. Herr Scheller hält dies nicht für verfassungskonform.
Wie bewerten Sie als Bundesjustizministerin diesen Sachverhalt?
Vielen Dank für Ihre Antwort.

Mit freundlichen Grüßen

Volker Ultes

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr U.,

mit dem Ende des Solidarpaktes wird der Soli nicht automatisch verfassungswidrig. Seine Erhebung kann allerdings nicht mehr im bisherigen Umfang mit den Sonderlasten des Bundes für den Aufbau der neuen Länder begründet werden. Im Koalitionsvertrag wird als erster Schritt eine Abschaffung für 90 Prozent aller Zahler des Soli ab dem Jahr 2021 angekündigt. Daraus folgt, dass sich weitere Schritte anschließen werden. Es gibt aber keinerlei Festlegungen hinsichtlich des Umfangs oder des Zeitpunkts weiterer Abbauschritte.

Prof. Tappe hat in einer Stellungnahme für ein Fachgespräch zum Soli zum Zusammenhang des Solidarpakts II mit dem Soli folgende Ausführungen gemacht:

Es gibt keinen direkten rechtlichen Zusammenhang zwischen dem Solidaritätszuschlag und dem Solidarpakt II.
Die Ergänzungsabgabe und damit auch der aktuelle Solidaritätszuschlag sei mit Blick auf die historische Verfassungsinterpretation, der auch das Bundesverfassungsgericht gefolgt sei, dazu gedacht, „anderweitig nicht auszugleichende Bedarfsspitzen im Bundeshaushalt zu decken“. Bei der Schaffung der Gesetzgebungskompetenz für die Einführung einer Ergänzungsabgabe sei man davon ausgegangen, dass ein zusätzlicher Finanzbedarf des Bundes gedeckt, eine Erhöhung der Verbrauchsteuern aber vermieden werden sollte. (Seiten 5/6).
Für die Frage, was einen solchen Bedarf bilde und wann ein solcher Bedarf anzunehmen sei, bestünden allerdings sehr weite Einschätzungs- und Beurteilungsspielräume des Gesetzgebers. (Seite 6).
Es komme also nur darauf an, dass der Bund einen entsprechenden Ausgabebedarf habe. Es sei aber nicht erforderlich, dass es der gleiche Bedarf sei (d.h. für gleiche Zwecke), der zur Einführung des Solidaritätszuschlags geführt habe. Auch ein anderer Bedarf des Bundes könne die Ergänzungsabgabe im Steuersystem weiter als sinnvoll erscheinen lassen. (Seite 6).

Es besteht kein Gebot für den Gesetzgeber, zu einem bestimmten Zeitpunkt Gesetzesänderungen vorzunehmen, etwa mit dem Ende des Solidaritätspakts II mit dem Abbau des Solidaritätszuschlags zu beginnen. Dies lasse sich nicht aus dem Gebot der Folgerichtigkeit ableiten (Seite 7).
Die Folgerichtigkeit nach der Rechtsprechung des BVerfG habe ihren Ursprung im allgemeinen Gleichheitssatz des Grundgesetzes. Dies habe zwingend zur Folge, dass sich aus der „Folgerichtigkeit“ keine Aussagen zu richtigen Zeitpunkt einer Steuersenkung ableiten ließen. Denn es gebe keine „Gleichheit in der Zeit“. Gleichheit sei etwas Statisches. Zu einem bestimmten Zeitpunkt müsse derselbe Rechtsträger zwei vergleichbare Personen oder Sach-verhalte gleich behandeln, wenn sich eine Ungleichbehandlung nicht sachlich rechtfertigen ließe. Wäre dies andern, müsste man jede Gesetzesänderung als Ungleichbehandlung (vor-her/nachher) verstehen, die rechtfertigungsbedürftig wäre. Diese sei aber ersichtlich nicht die Vorstellung des Grundgesetzes von Demokratie und auch nicht ansatzweise aus dem Gleichheitssatz herauszulesen (Seite 8).

Wenn der Gesetzgeber im Rahmen seines Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums ab 2021 von einem geminderten Finanzbedarf ausgehe und die Abschaffung des Solidaritätszuschlags zunächst bei den unteren und mittleren Einkommensgruppen beginnen möchte, stehe dem mit Blick auf den „Bedarf“ oder den Finanzierungszweck nichts entgegen. (Seite 10).
Die im Grundgesetz enthaltene Gesetzgebungskompetenz decke die Ergänzungsabgabe auch ab, wenn diese eine soziale Staffelung vorsehe. Dies belege die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der die Abgabe eine Ergänzung der Einkommen- und Körperschaftsteuer darstelle; sie ähnelte in der Struktur diesen Steuern und baue auf ihrer Systematik auf. Bei Steuern, die wie die Einkommensteuer an der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen ausgerichtet sei, sei die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte zulässig und geboten (BVerfGE 32, 333 [339]). (Seite 10).

Mit freundlichen Grüßen
Christine Lambrecht, MdB