Frage an Christine Lambrecht von Gudrun E. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung
Sehr geehrte Frau Lambrecht,
nachdem das Thema Tierschutz im o. a. Themenkatalog nicht vorgesehen ist, erlaube ich mir, meine Frage unter dem Stichwort "Landwirtschaft" zu stellen:
Seit mehr als zwei Jahren liegt dem Bundestag eine vom Bundesrat eingereichte Gesetzesinitiative zur Änderung des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG (religiös motiviertes betäubungsloses Schächten) vor, ohne dass es zu einer Entscheidung gekommen wäre, obwohl die Bundesregierung nach eigenem Bekunden "dem Tierschutz einen hohen Stellenwert beimisst".
Mit Ablauf der jetzigen Amtsperiode fällt die o. a. Gesetzesinitiative automatisch dem sogenannten Diskontinuitätsprinzip zum Opfer, obwohl eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung, jüdische und muslimische Mitbürgerinnen und Mitbürger eingeschlossen, diese besonders grausame Art der Tötung aus Tierschutzgründen ablehnt und seit Jahren eine vorherige Betäubung fordert.
Das ist besonders enttäuschend, da es sich bei der geplanten Änderung (Elektrokurzzeitbetäubung) lediglich um eine Minimallösung für den Tierschutz handelt, die keinerlei Auswirkung auf das Recht der freien Religionsausübung hat, da das Tier dabei nur betäubt, aber nicht getötet wird.
Wie stehen Sie als Bundestagskandidaten zu diesem Thema, und was werden Sie im Falle Ihrer Wahl tun, um sicherzustellen, dass auch den Schächttieren das inzwischen in der Verfassung verbriefte Recht auf Schutz vor vermeidbaren Schmerzen und Leiden gewährt wird?
Gudrun Enders
Sehr geehrte Frau Enders,
vielen Dank für Ihre Frage vom 13.08.2009.
lassen Sie mich auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom Februar dieses Jahres (A.:10 L 80/09.GI) hinweisen. Es ist festzuhalten, dass die Richter mit ihrem Urteil der Intention des § 4 a des Tierschutzgesetzes in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung folgen.
Wie Sie wissen, lässt der Gesetzgeber das Schächten nur in Ausnahmefällen zu. Das Bundesverwaltungsgericht hat am 23. November 2006 (AZ: BVerwG 3 C 30.05) entschieden, dass der gleiche Kläger eine Ausnahmegenehmigung vom generellen Verbot des betäubungslosen Schlachten (§ 4 a TierSchG) aus folgendem Grund erteilt wird:
„… die zuständige Behörde eine Ausnahmegenehmigung für ein Schlachten ohne Betäubung (Schächten) erteilt hat; sie darf die Ausnahmegenehmigung nur insoweit erteilen, als es erforderlich ist, den Bedürfnissen von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften im Geltungsbereich dieses Gesetzes zu entsprechen, denen zwingende Vorschriften ihrer Religionsgemeinschaft das Schächten vorschreiben oder den Genuss von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagen oder […]“
Damals hat das Bundesverwaltungsgericht eine Revision mit der Begründung zurückgewiesen, dass das Gesetz beabsichtige, sowohl den betroffenen Grundrechten als auch den Zielen des ethischen Tierschutzes Rechnung zu tragen. Dem diene die an enge Voraussetzungen zum Schutz der Religionsfreiheit geknüpfte Ausnahmevorschrift für ein betäubungsloses Schlachten. Hieran habe sich durch die Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz nichts geändert.
Gemäß dem Gerichtsbeschluss des Gießener Verwaltungsgerichts darf der Kläger zukünftig nur eine geringfügige Anzahl an Tieren betäubungslos schlachten. Diese Ausnahmegenehmigung wurde umfangreich beauflagt: So muss der muslimische Schlachter dafür Sorge tragen, dass den Tieren beim Transport, beim Ruhigstellen und der Schächtung alles vermeidbare Leiden und Schmerzen erspart werden. Die Schlachtung muss darüber hinaus von einem Amtstierarzt überwacht werden.
Die Ausnahmegenehmigung hat der Kläger nur deshalb erhalten, weil er 624 Einzelerklärungen für 2.652 Menschen muslimischen Glaubens vorgelegt hat. Damit beabsichtigte er, den Bedarf für das Fleisch geschächteter Tiere nachzuweisen. Nicht alle Erklärungen konnte das Gericht direkt nachvollziehen, gleichwohl sind die Richter davon überzeugt, dass ein berechtigter Bedarf besteht und der Kläger daher aus religiösen Gründen betäubungslos schächten darf. Wichtig ist auch, dass der Schlachter das Fleisch der geschächteten Tiere nur an Endverbraucher abgeben darf. Damit soll sichergestellt werden, dass nur wirklich Anspruchsberechtigte das Fleisch erhalten. Ich begrüße es sehr, dass das Verwaltungsgericht mit dem aktuellen Urteil die Auslegung des Tierschutzgesetzes präzisiert und dadurch auch einen sinnvollen Ausgleich zwischen den betroffenen Rechtsgütern vorgenommen hat.
Sie wenden voraussichtlich ein, dass es keinen Interessenausgleich bedeute, wenn ein Grundrecht betäubungsloses Töten von Tieren ermöglicht, das durch ein Staatsziel eigentlich geschützt werden sollte.
Mir ist bewusst, dass es trotz des Austauschs von Argumenten hier schwierig sein wird eine gemeinsame Position zu finden. Ich möchte aber auch festhalten, dass wir als Gesetzgeber eine Neuordnung des § 4a TierSchG weiterhin prüfen werden, um diesen Interessenausgleich möglicherweise besser ausbalancieren zu können.
Ich glaube zudem, dass wir in vielen Bereichen noch mehr als bisher für den Tierschutz tun müssen!
Selbstverständlich wird sich die SPD auch in der nächsten Wahlperiode für die Interessen landwirtschaftlicher Nutztiere und unsere Haustiere einsetzen. Die Reduzierung unnötiger Tierversuche und die Verbesserung der Haltungsbedingungen liegen uns besonders am Herzen.
Mit freundlichen Grüßen
Christine Lambrecht, MdB