Frage an Christine Kamm von Johannes S. bezüglich Familie
Starthilfe statt Kindergeld
Sehr geehrte Frau Kamm,
vor kurzem führte ich ein äußerst spannendes und aufschlussreiches Gespräch mit einer Hebamme, die 20 Jahre lang ihren Beruf hauptsächlich in den sozialen Brennpunkten Hamburgs durchführte.
Ihr Vorschlag auf meine Frage wie sie die derzeitige Kindergeldpolitik sehe und welche sinnvolle Alternative es gäbe war folgender:
Für sie ist das wichtigste die Selbstverantwortung der Eltern bei der Entscheidung Kinder zu fördern.
Nicht das Denken, dass sie von einer muslimischen Familie hörte: Ab dem siebten Kind lohnt es sich finanziell, dann bleibt am Ende auch noch was über.
Sondern wie viel Aufmerksamkeit, Liebe und welche Ausbildungsmöglichkeiten kann ich meinem Kind in Zukunft schenken, bzw. geben?
Ihr Lösungsvorschlag: STARTHILFE statt steigendes Kindergeld! Denn die größten Kosten fallen beim ersten Kind an! Meistens wechselt das Paar in eine größere Wohnung, kauft sich ein Auto und kleidet das erste Kind ein. Die nachfolgenden Kinder haben von all diesen Schritten ebenfalls Nutzen.
Das bedeutet für das erste Kind sollte es viel mehr Geld geben! Für das zweite weniger und ab dem dritten Kind kein Geld mehr. Warum das?
Stattdessen wird dieses Geld in Kindergärten, Schulen und Jugendclubs gesteckt!
Es geht nicht um die Quantität, sondern darum, jedem Menschen in unserem Land eine Lebensgrundlage zu vermitteln, auf der er als freier, sozialisierter, unabhängiger Mensch für sich und die Gesellschaft Verantwortung tragen kann.
Müssen wir uns nicht genauer überlegen wie wir dem demographischen Wandel begegnen wollen, anstatt einfach nur Familien mit vielen also 5-7 Kindern finanziell zu unterstützen? Eine Mutter, die so viele Kinder bekommt ist oftmals weit entfernt von der Möglichkeit der Gleichberechtigung und die Kinder weit entfernt von einer Sozialisation, die eine gute Bildung und Erziehung auf der Basis freier Kultur beinhaltet.
Mit freundlichen Grüßen und größtem Dank
Johannes Seemann
Sehr geehrter Herr Seemann,
es ist sicher sehr interessant, die unterschiedlichen sozialen Wirklichkeiten in unserem Lande wahrzunehmen. Ich glaube aber, dass die (verrückte ) Hamburgerin, die mit dem Kindergeld von 7 Kindern ein auskömmliches Auskommen zu erzielen möchte, ein (höchst bedauerlicher und problematischer) Ausnahmefall ist. Vermutlich ist diese Familie längst dem Jugendamt als Problemfamilie bekannt. Das Kindergeld beträgt für das erste und zweite Kind 190 Euro, ab dem 4. sind es 221 Euro. Auch 221 Euro reichen heutzutage nicht aus, um die Kosten eines Kindes zu finanzieren.
Es ist jedoch für unsere Gesellschaft höchst problematisch, wenn viele junge Familien glauben, sich nur ein, höchstens 2 Kinder leisten zu können. Ein Normalverdienerehepaar mit 4 Kindern hat es schwer, und findet kaum eine Wohnung.
Die Zahl der Kinder, die vor allem in kinderreichen Familien und bei Alleinerziehenden von Armut betroffen sind, muss uns betroffen machen. Die aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt, dass viele der armutsgefährdeten Kinder in Familien mit drei und mehr Kindern aufwachsen. Politik und Gesellschaft haben diese Gruppe zu wenig im Blick. Kinderreichtum ist in Deutschland ein Armutsrisiko, und zwar schon ab drei Kinder!
Für Deutschlands Zukunft ist diese Kinderarmut ein Problem: Fast zwei Millionen Kinder sind auf Hartz IV angewiesen. Das höchste Armutsrisiko hat den Daten zufolge der Nachwuchs von Alleinerziehenden oder aus kinderreichen Familien. 141 256 Kinder sind im reichen Bayern betroffen, wo die Kinderarmut in den letzten Jahren sogar zugenommen hat. Kinder, die in Hartz-IV Familien aufgewachsen, haben in der Schule Nachteile, können kaum Sportangebote und Musikunterricht nutzen, haben schlechtere Startchancen, ein Skandal für die Kinder, ein Problem für unsere Zukunft.
Christine Kamm