Frage an Christian Kühn von Achim L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Kühn,
Prism, Tempora und XKeyscore bedeuten die völlige Überwachung der Internetaktivitäten jedes einzelnen Bürgers. Dies stellt einen massiven Eingriff in die in GG Art. 10, Abs. 1 zugesicherte Unverletzlichkeit des Fernmeldegeheimnisses dar, so dass im Widerspruch zu GG Art. 19, Abs. 2 dieses Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet wird. Verschärft wird dies dadurch, dass nicht nur ausländische Dienste, sondern auch BND und BfV das Überwachungstool XKeyscore einsetzen. Laut der vom "Guardian" veröffentlichten Präsentation der NSA gilt auch jeder, der dagegen Verschlüsselungsmaßnahmen einsetzt, prinzipiell als verdächtig.
Daher meine Fragen:
1. Auf welches Maß konkret(!) sollte die Überwachung Ihrer Meinung nach beschränkt werden - zum einen die durch ausländische Dienste, zum anderen die durch inländische Dienste?
2. Durch welche konkreten(!) Handlungen werden Sie sich als MdB dafür engagieren, dass unser Grundrecht wiederhergestellt und vor neuen Angriffen geschützt wird? Welche konkreten(!) Maßnahmen werden Sie empfehlen bzw. fordern?
Im Voraus vielen Dank für Ihre Antwort!
Mit freundlichen Grüßen,
Achim Lorenz
Sehr geehrter Herr Lorenz,
vielen Dank für Ihre Frage.
Die Überwachung durch PRISM und TEMPORA von deutschen Privatpersonen und Unternehmen durch die USA und Großbritannienverstößt eklatant gegen mein Verständnis von Datenschutz, gegen EU-Grundrechte und das Völkerrecht.
Diese Überwachungsprogramme sind nicht nur ein Frontalangriff auf den Datenschutz und die geschützte Kommunikation von Verfassungsorganen und der Wirtschaft. Sie bedrohen unseren freiheitlichen und demokratischen Grundrechtsschutz und damit Fundamente des Rechtsstaates. Die schwarz-gelbe Bundesregierung und insbesondere Bundeskanzlerin Merkel und Kanzleramtsminister Pofalla, haben den Grad der Bedrohung der Freiheit nicht erkannt. Noch immer sind keinerlei Aktivitäten zur Aufklärung oder Eindämmung ersichtlich.
Ich fordere von der Bundesregierung eine umfassende Aufklärung über die Ausspähung durch PRISM, TEMPORA und etwaige ähnliche Programme. Ich möchte offengelegt haben, ob es eine mögliche Mitwisserschaft deutscher Behörden gab. Es geht um Merkels politische Verantwortung, warum sie Cyberangriffe von befreundeten Nationen nicht auf dem Schirm hatte oder haben wollte. Es ist zu klären, ob Merkels Regierung fehlerhaft gehandelt und damit den Schutz ihrer eigenen Daten und die ihrer BürgerInnen vernachlässigt hat und warum Cyberangriffe der USA als solche nicht gewertet wurden. Es muss auch geklärt werden, ob die bei uns verbotene Vorratsdatenspeicherung von einem befreundeten Geheimdienst ausgeführt wird, der dann Ergebnisse u.a. auch an unsere Dienste weiterleitet.
Ich fordere von der Bundesregierung, mit allen verfügbaren Mitteln auf eine Beendigung dieser Praxis (PRISM, TEMPORA) hinzuwirken. Dabei ist zu prüfen, ob rechtliche Schritte gegen Großbritannien (Vertragsverletzungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof oder Anrufung des Internationalen Gerichtshofes) und gegen die USA eingeleitet werden können. Es ist zu prüfen, ob angesichts der Spähangriffe und des Verdachts der Spionage in EU-Vertretungen die Verhandlungen mit den USA zum Freihandelsabkommen TTIP ausgesetzt werden, ebenso wie der Vollzug existierender Abkommen wie SWIFT (Weitergabe von Bankdaten an US-Behörden), PNR (Passenger Name Record, Weitergabe von Fluggastdatensätzen an US-Behörden) .
Ich will, dass das Datenschutzrecht modernisiert wird, die Vorratsdatenspeicherung verhindert wird und dass der Datenschutz ins Grundgesetz geschrieben wird. Mit uns GRÜNEN wird es die Vorratsdatenspeicherung von Telefonverbindungsdaten oder andere anlasslose Massenspeicherungen nicht geben. Stattdessen kämpfen wir GRÜNE für ein wirksames und modernes Datenschutzrecht in Deutschland und in Europa. Der Datenschutz muss als Grundrecht in der Verfassung verankert werden.
Ich lehne bürgerrechtsfeindliche Maßnahmen wie die heimliche Online-Durchsuchung von Computern durch Staatstrojaner und die massive Ausweitung der Bestandsdatenauskunft ab. Unter dem Deckmantel der sogenannten „Cybersicherheit“ darf nicht der Abbau eines freien und offenen Internets vorangetrieben werden. Die umfassende und anlassloseTotalüberwachung des Internetverkehrs (ob E-Mail, Voice-over-IP (Skype) oder soziale Netzwerke (Facebook)) durch PRISM und TEMPORA zeigt deutlich, dass Forderungen nach einem soliden Datenschutz und die Erweiterung des Kommunikationsgeheimnisses zwingend nötig sind. Ohne Datenschutz gibt es kein freies Internet.
Mit freundlichen Grüßen
Chris Kühn