Frage an Christian Ehler von Marie A. bezüglich Menschenrechte
Sehr geehrter Herr Ehler,
die EU sollte sich zum Zeichen eines solidarischen Miteinanders klar positionieren und ein System aufbauen, in dem Schutzsuchenden eine menschenwürdige Aufnahme gewährt wird.
Es wird deutlich, dass wir aktuell in keinem Fall solidarisch sind, weder mit den Geflüchteten noch mit Griechenland. Die EU trägt mit ihrer Klima- und Geopolitik weiterhin dazu bei, dass Menschen flüchten müssen und entzieht sich dann der daraus resultierenden Verantwortung. Wie wird dieses Handeln im Parlament gerechtfertigt?
Seit nun fast 5 Jahren wird die Lage in den griechischen Camps von der EU aus der Ferne beobachtet. In „Moria“, dem größten Camp auf Lesbos, leben derzeit fast 20.000 Menschen. Ausgelegt ist das Lager für gerade einmal 3.000 Personen. Ursprünglich diente es als erste Anlaufstelle, von der aus Geflüchtete schnellstmöglich auf europäische Mitgliedsstaaten verteilt werden sollten, um ihnen dort anständige Asylverfahren zu bieten. Inzwischen ist es zu einem Freiluftgefängnis verkommen, in dem die Menschen teilweise über Jahre ausharren müssen. Wie stellen Sie das Recht eines jeden Menschen auf körperliche und geistige Unversehrtheit im Camp Moria sicher? Empfinden Sie die Lebensbedingungen als menschenwürdig?
Sind dies nicht elementare Grundrechte, welche durch die Grundrechtecharta der EU geschützt und gestärkt werden sollen? Und sind es nicht die Werte die wir als Zivilgesellschaft und Sie als Abgeordneter vertreten?
Seit Monaten ist bekannt, dass einige EU Mitgliedstaaten sich der Aufnahme von Geflüchteten verweigern. Warum wird nicht nach einer alternativen Beteiligungsformen gesucht? Die EU ist vor allem anderen eine Wirtschaftsunion. Wieso wird dann nicht eine Lösung in Form von finanzieller Unterstützung der aufnahme-willigen Staaten durch die anderen Mitglieder angestrebt? Welche Lösungsansätze gibt es seitens der EU, die sich um die Aufnahme und die Verteilung der Geflüchteten auf die europäischen Mitgliedstaaten bemüht?
Warum sorgt die EU, bis es eine Lösung gibt, nicht wenigstens für menschenwürdige Bedingungen innerhalb der Camps? In den völlig überfüllten Camps fehlt es an Essen, nicht einmal fließend Wasser ist zu jeder Zeit sichergestellt. Auch die medizinische Versorgung ist absolut mangelhaft und nur durch den Einsatz von Organisationen wie “Ärzte ohne Grenzen” überhaupt noch gegeben. Zu was diese Situation in Zeiten von Corona führen kann, brauche ich Ihnen nicht zu erklären.
Unter diesen katastrophalen Bedingungen, stellen sich weitere Fragen für mich.
Warum werden 70-80% der Familienzusammenführungs-Anträge abgelehnt? Warum hat Deutschland bisher nur 47 Kinder geholt, obwohl die EU bereits vor Monaten die Aufnahme von 1.600 Geflüchteten zugesagt hatte?
Für mich ist diese Situation unverantwortlich. Was würden Sie tun, wenn Mitglieder ihrer Familie dort festsitzen?
Mit freundliche Grüßen
M. A.
Sehr geehrte Frau Abel,
ich bedanke mich bei Ihnen für Ihren Beitrag und die Fragen. Die Lage an der griechisch-türkischen Grenze ist besorgniserregend. Ich verstehe Ihre Bedenken und nehme Ihre Anmerkungen ernst, dass die Europäische Union ihren humanitären Rechten und Pflichten nachkommen muss. Die Folgen des Zustroms von Geflüchteten vor 5 Jahren haben gezeigt, dass eine umfassende, grenzüberschreitend relevante Migrationspolitik auf europäischer Ebene unabdingbar ist.
Humanität und Ordnung an den EU-Grenzen stehen nicht im Gegensatz zueinander, sondern bedingen sich gegenseitig. Nur mit einer geordneten Migrationspolitik können wir den besonders schutzbedürftigen Menschen nachhaltig helfen. Ich stimme Ihnen zu, dass die Europäische Union solidarisch handeln muss. Die Unterstützung Griechenlands durch die Europäische Union ist von besonderer Bedeutung für die Sicherung und das Funktionieren der EU-Außengrenzen. Außerdem kann nur so in einem Raum ohne Binnengrenzkontrollen das Engagement für humanitäre Maßnahmen vor Ort gewährleisten werden. Diese Maßnahmen schaffen Vertrauen zwischen den EU-Mitgliedsstaaten und ermöglichen konstruktive Debatten über gemeinsames Vorgehen in Asyl- und Migrationsfragen.
Sie sprechen die Werte, die ich als Abgeordneter der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament vertrete, an. Uns ist es unter anderem wichtig, dass Menschen nicht als Drohpotenzial an Grenzen benutzt werden dürfen. Deswegen müssen wir der Türkei geschlossen gegenüberstehen und den Weg für gemeinsame Verhandlungen ebnen. Im Falle einer Einigung können EU-Mittel weiter wie bisher direkt an die Organisationen gehen, die sich vor Ort um die Versorgung der Geflüchteten kümmern.
Mit den Artikeln 79 und 80 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union werden der EU im Bereich von legaler und illegaler Migration weitgehende gesetzgeberische Zuständigkeiten eingeräumt. Als Antwort auf das Leid Tausender von Migranten wurde die Europäische Migrationsagenda durchgesetzt, die erzielte, dass die Zahl illegaler Grenzüberschritte sank und die Zahl von Asylanträgen in der Europäischen Union im Vergleich zu den Vorjahren stieg. Neben ökonomischen Gründen (Zugang zu Arbeitsmärkten) ist die Schaffung von legalen Migrationsmöglichkeiten auch aus humanitären Gründen essentiell. Um Fluchtursachen nachhaltig anzugehen, muss Entwicklungspolitik mit Herkunftsländern auf Augenhöhe betrieben werden und weitere europäische Politikbereiche, wie die Handels-, Agrar- und Sicherheitspolitik, integriert werden.
Kontroversen über Verteilungsmechanismen sorgten für Blockierungen in den Verhandlungen. Gemeinsam mit meinen Kollegen setze ich mich für eine faire Verteilung der Flüchtlinge und Fortentwicklung eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ein.
Ich hoffe, Ihre Frage damit zufriedenstellend beantwortet zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Christian Ehler