Frage an Christian Ahrendt von Sophie M. bezüglich Recht
Wie weit ist jetzt der Rahmenbeschluss über eine Europäische Beweisanordnung?
Sehr verehrte Frau Marion,
ich danke Ihnen für Ihre Frage. Dank der großartigen Hilfe des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages schreibe ich Ihnen das folgende.
Hintergrund:
Der Rahmenbeschluss über die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafsachen (EBA) ist auf eine Kommissionsinitiative aus Jahr (KOM (2003) 688) zurückzuführen.
Das Europäische Parlament wurde zum Rahmenbeschluss gehört (Art. 39 Abs. 1 EUV). Eine entsprechende Stellungnahme des EP wurde am 22. April 2004 (A5-0214/2004) abgegeben.
Der Deutsche Bundestag hat auf der Grundlage der vom federführenden zuständigen Rechtsausschuss erstellten Beschlussempfehlung und des Berichts vom 29. September 2004 seine Stellungnahme nach Art. 23 Abs. 3 S.1 des Grundgesetzes zu dem Vorschlag eines Rahmenbeschluss über die EBA abgegeben (Drucksache 15/3831).
Anlässlich der Tagung der Justiz- und Innenminister (JI-Rat) am 1./2. Juni 2006 legte der Rat unter österreichischer Ratspräsidentschaft eine allgemeine Ausrichtung zu dem Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über die EBA (11235/06; 11234/06) fest. In der Zwischenzeit waren verschiedene Entwurfsvorschläge für den Rahmenbeschluss erarbeitet worden. Der österreichische Entwurf klärte zwei bis dahin umstrittene Themen:
- Territorialität: Die Beweisanordnung kann in den Fällen versagt werden, in denen die betreffende Straftat ganz oder zum großen oder zu einem wesentlichen Teil im Hoheitsgebiet des Vollstrechungsstaates begangen wurde (Art. 15 Abs. 2c des aktuellen Entwurfes 9913/07). Die Entscheidung über die Versagung muss gleichwohl auf Einzelfallbasis getroffen werden (Art. 15 Abs- 2b). Erwägt eine zuständige Behörde, die Territorialität als Versagungsgrund für die Vollstreckung einer Europäischen Beweisanordnung heranzuziehen, so konsultiert sie Eurojust, bevor sie ihre Entscheidung trifft. Ist die zuständige Behörde nicht mit der Stellungnahme von Eurojust einverstanden, so stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass sie ihre Entscheidung begründet, und dass der Rat unterrichtet wird (Art. 15 Abs. 2c).
- Beiderseitige Strafbarkeit: Im Hinblick auf die Definition von Straftaten ist im Entwurf des Rahmenbeschlusses vorgesehen, dass der Vollstreckungsstaat bei 32 Kategorien von Straftaten die Vollstreckung einer Europäischen Beweisanordnung nicht unter Berufung auf den Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit versagen kann, wenn die betreffende Straftat im Anordnungsstaat mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestes drei Jahren bedroht ist (Art. 16 des Entwurfes 9913/07). "Dieser Ansatz steht im Einklang mit den bisherigen Instrumenten wie dem Europäischen Haftbefehl, Sicherstellungsentscheidungen, finanziellen Sanktionen oder dem Entwurf über Einziehungsentscheidungen." Gemäß Art. 25 Abs. 2b des Entwurftextes 9913/07 kann sich Deutschland im Wege einer Erklärung das Recht vorbehalten, die Vollstreckung einer Europäischen Beweisanordnung bei den Straftaten Terrorismus, Cyberkriminalität, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Sabotage, Erpressung und Schutzgelderpressung sowie Betrug von der Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit abhängig zu machen, sofern für die Vollstreckung der Europäischen Beweisanordnung eine Durchsuchung oder Beschlagnahme erforderlich ist, es sei denn, die Anordnungsbehörde hat erklärt, dass die betreffende Straftat nach dem Recht des Anordnungsstaats die in der Erklärung Deutschlands enthaltenen Kriterien erfüllt.
Die allgemeine Ausrichtung von Juni 2006 war Ausgangspunkt der Arbeit der Gruppe der JI-Referenten für die Ausarbeitung eines endgültigen Entwurftextes. Klärungsbedarf gab es hier unter anderem im Bereich der Erwägungsgründe sowie zum gemachten Vorschlag über das EBA-Formblatt (9913/07, S.28ff.).
Die Arbeiten am Entwurf für den Rahmenbeschluss wurden mit dem Dokument 9913/07 vom 25. Mai 2007 abgeschlossen und an den Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) zu Abstimmung übergeben. Der Entwurfstext (ohne Erwägungsgründe und Formblatt) von 2007 weist gegenüber demjenigen aus 2006 geringen Änderungen im Wesentlichen redaktioneller Art auf.
Aktueller Sachstand
Fernmündlich durch den zuständigen Referenten des Bundesministeriums der Justiz sowie der Ständigen Vertretung wurde bestätigt, dass die inhaltliche Einigung auf den Text des Rahmenbeschlusses erfolgt sei, und der ASTV insoweit seine Arbeit abgeschlossen habe. Der Text des Rahmenbeschlusses in der genannten Fassung befinde sich nunmehr im Stadium der Übersetzungsprüfung. Außerdem haben die Mitgliedstaaten Schweden und Dänemark Parlamentsvorbehalte eingelegt. Erst wenn diese beseitigt sind, wurde der JI Rat über die Annahme des Rahmenbeschlusses EBA entscheiden können. Die Annahme muss einstimmig erfolgen (Art. 34 Abs 2 EUV), wobei Enthaltungen der Einstimmigkeit nicht im Wege stehen (Art. 41 Abs 1 S 1 EUV i.V.m. Art. 205 Abs.3. EGV). Die Beseitigung der Parlamentsvorbehalte könnte nach Auskunft des BMJ einige Zeit in Anspruch nehmen. Es sei wohl eher nicht davon auszugehen dass bereits der kommende JI-Rat (unter portugiesischer Präsidentschaft) über den Rahmenschluss abstimmen werde.
Hintergrund und Inhalt des Rahmenbeschlusses zum EBA
Der bisherige Rechtshilfeverkehr zwischen den EU-Mitgliedstaaten im Bereich der Beschlagnahme von Sachen, Schriftstücken und Daten soll durch den Rahmenbeschluss zum EBA ersetzt werden. Derzeit richtet sich Rechtshilfeverkehr in diesem Bereich der sonstigen Rechtshilfe nach Regelungen des Europarates (Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen von 1959 (EuRhÜbk) sowie dessen Zusatzprotokollen von 1978 und 2001 und dem Europäischen Übereinkommen über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten von 1999)) und der Europäischen Union (Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) für die meisten Mitgliedstaaten). Durch den Rahmenschluss zum EBA soll ein Mechanismus eingeführt werden, der die Erlangung von Beweismitteln in grenzübergreifenden Rechtssachen auf der Basis des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung erleichtert und so "zügige Verfahren und eindeutige Garantien für den Erlass einer Beweisanordnung und deren Vollstreckung" gewährleistet.
Die EBA zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten bezieht sich grundsätzlich auf bereits vorhandene uns jederzeit verfügbares Beweismaterial. In einem zweiten Schritt wird die Kommission einen Vorschlag für einen Rechtsakt unterbreiten, mit dem das weitere Beweismaterial erfasst werden soll. In Art. 3 Abs. 2a-e des Entwurfstextes 9913/07 werden diejenigen Beweise benannt, die aufgrund der EBA zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten nicht angefordert werden dürfen (bspw. Durchführung von Vernehmungen und Anhörungen oder Durchführungen körperlicher Untersuchungen).
Der Entwurfstext zu Rahmenbeschluss Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafsachen in der aktuellen Fassung vom 25. Mai 2007 (9913/07) ist auf der Internetseite des Rates abrufbar.
Mit freundlichen, liberalen Grüßen
Ihr Christian Ahrendt