Frage an Christian Ahrendt von Sirko F. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
hallo herr ahrendt. ich bin jura-student im 5. semester und mein studienschwerpunkt liegt im bereich völker- und europarecht. sehr aufmerksam verfolge ich, was unsere parlamentarier so treiben, die sich auf dem gebiet der eu-politik tummeln. ein blick auf ihre homepage verrät mir, dass sie in ihrer fraktion mittlerweile wohl als sowas wie ein experte für die sprachenfrage in den institutionen der eu gelten. also: wie IST denn ihre meinung zu diesem thema?
mfg
sirko fuhrmann
Sehr geehrter Herr Fuhrmann,
vielen Dank für Ihre Anmerkung zur Sprachenfrage in den Institutionen der EU. Ich bin mir zwar nicht so sicher, ob ich tatsächlich –wie Sie es schreiben- als Experte der FDP-Bundestagsfraktion gelten darf, jedoch kann ich Ihnen versichern, hierzu eine abschließende Meinung zu haben, die ich Ihnen nachfolgend gerne mitteile.
Ausgangspunkt meines Auftretens –übrigens allein in der akademischen Öffentlichkeit- als „Experte“ war ein Schreiben an den derzeitigen Kommissionspräsidenten José Manuel Barosso im September 2006. Seinerzeit wandte ich mich schriftlich an diesen und beklagte mich über die jede andere Sprache weit überwiegende Verwendung der englischen Sprache in den offiziellen und inoffiziellen Dokumenten der EU.
Grundsätzlich habe ich nichts gegen das Englische einzuwenden, jedoch musste ich mich gerade zu der Zeit, als ich noch Mitglied des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union war (seit Ende März 2007 bin ich Mitglied des Innenausschusses), schnell und ausführlich mit dem Inhalt einer für den Wähler unvorstellbaren Menge teilweise hochkomplizierter Kommissionsdokumente vertraut machen. Dies gelang und gelingt mir gerade mit Blick auf rechtstechnische Begriffe immer noch am besten in meiner Muttersprache Deutsch. Es ist mir deshalb ein besonderes Anliegen, dass das europäische Modell der Vielsprachigkeit auch tatsächlich umgesetzt wird, und ich nicht weiterhin nur mit überwiegend englischsprachigen Fassungen konfrontiert werde.
Die Sprachenregelungen in den Institutionen der EU sind nach dem egalitären Prinzip festgelegt, d.h. alle Amtssprachen der Mitgliedsstaaten erhalten diesen Rang auch im supranationalen Verband. Das Gleichheitsprinzip muss sicherstellen, dass offizielle Beschlüsse des Rates oder der Kommission für alle Bürger der Gemeinschaft in der jeweiligen Amtssprache ihres Landes zugänglich sind. Nur so kann es ihnen gelingen, die Politiken der Organe auf europäischer Ebene nachzuvollziehen.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf Art. 217 des EWG-Vertrages hinweisen, der allgemein als rechtliche Grundlage für die sprachpolitischen Grundsätze Europas betrachtet wird. Darin heißt es „Die Regelung der Sprachenfrage für die Organe der Gemeinschaft wird unbeschadet der Verfahrensordnung des Gerichtshofes vom Rat einstimmig getroffen.“ Demnach fällt es in den Aufgabenbereich des Europäischen Rates, Sprachenregelungen für die europäischen Institutionen zu erlassen. Vor diesem Hintergrund nahm der Rat 1958 die Verordnung Nr. 1 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft an. Art. 1 legt fest, dass die „Amtssprachen und die Arbeitssprachen der Organe der Gemeinschaft […] Deutsch, Französisch, Italienisch und Niederländisch“ sind. Im Zuge der Erweiterungspolitik wurde diese Verordnung jeweils aktualisiert und um die Nationalsprachen der neuen Mitgliedsstaaten ergänzt. Die Verordnung macht bewusst keinen funktionalen Unterscheid zwischen Amts- und Arbeitssprachen, so dass alle 20 Nationalsprachen nach dem Grundsatz der Gleichberechtigung gleichermaßen als Arbeitssprachen einsetzbar sind. Dabei handelt es sich nicht nur um die Möglichkeit, alle Sprachen einsetzen zu können, sondern auch um die Pflicht, wichtige Dokumente für alle Mitgliedsstaaten zur Beratung bereitzuhalten.
Art. 6 der Sprachenverordnung Nr. 1 räumt den einzelnen Gemeinschaftsorganen zusätzlich einen gewissen Spielraum hinsichtlich des Gebrauchs der faktischen Amtssprachen ein. Vor diesem Hintergrund hat die Kommission im Jahre 1993 eine Ausführungsbestimmung zu ihrer Geschäftsordnung erlassen, in der die Sprachenregelung genauer erfasst wird. Ich zitiere: „Soweit Dokumente für den internen Gebrauch der Kommission vorgelegt werden, werden sie in den Arbeitssprachen Deutsch, Englisch und Französisch verfasst.“ Wenn die Kommission selbst die deutsche Sprache als Arbeitssprache hervorhebt, stellt sich für mich zwangsläufig umso mehr die Frage, weshalb mir viele Informationen in meiner Landessprache unzugänglich bleiben.
Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass die EU eine Politik der Sprachenvielfalt betreibt. Die Grundidee der europäischen Integration ist das Streben nach Einheit in der Vielfalt und eben nicht die Suche nach Einheitlichkeit. Deshalb kann ich es nicht hinnehmen, dass der Grundsatz der Sprachengleichheit aus Gründen der Effizienz und Kostenersparnis unterwandert wird. Es ist mir schleierhaft, dass die Europäische Kommission über den größten Übersetzungsdienst der Welt verfügt und dennoch nicht in der Lage ist, wichtige Dokumente in den jeweiligen Landessprachen bereitzustellen.
Ich appelliere deshalb dafür, dass die Sprachengleichstellung nicht nur ein Papiertiger bleibt, sondern auch konsequent umgesetzt wird. Den Nationalparlamenten wird ansonsten die Möglichkeit genommen, sich in den politischen Entscheidungsprozess wirksam und vor allem rechtzeitig (!) einzubringen.
Mit anderen Worten: Durch die derzeitige Sprachenpolitik werde ich in der Wahrnehmung meiner Pflichten als Abgeordneter des Deutschen Bundestages behindert.
Mit freundlichen, liberalen Grüßen
Ihr Christian Ahrendt