Frage an Christel Riemann-Hanewinckel von Birgit H. bezüglich Familie
Sehr geehrte Frau Riemann-Hanewinckel,
In einer Anfang diesen Jahres stattgefundenen Expertenanhörung Ihrer Partei sagte Prof. Dr. Lipp, dass "das Kindschaftsrechtsreform-Gesetz (1998) sich in § 1626 a,2 BGB dafür entschieden hat, die Alleinsorge bei nicht ehelichen Kindern der Mutter des Kindes in die Hand zu geben. Diese gesetzliche Zuweisung ist mit einem Automatismus derart ausgestattet, dass der Mutter des Kindes quasi ein passives Vetorecht gegen die sorgerechtliche Mitverantwortung des Vater zukommt... Konsequenz dessen ist, dass sich die Mutter bis an die Grenze der Kindeswohlgefährdung gegen eine sorgerechtliche Teilhabe des Vaters sperren kann."
Die Mehrzahl der in der Anhörung Ihrer Partei auftretenden Wissenschaftler plädierten für eine Änderung in Deutschland, auch in Anbetracht der europäischen Rechtsprechung.
1. Frage
Warum steht angesichts dieser erdrückenden Tendenzen, angesichts fortwährender Forderungen - nicht zuletzt auch von Betroffenenverbänden - aktuell keine Änderung des Sorgerechts an?
2. Frage
Wie sollen Ihrer Meinung nach eheliche und nichteheliche Kinder und deren Eltern in der Frage des Sorgerechtes gleichgestellt werden?
3. Frage
Welche Voraussetzungen müssen Ihrer Meinung geschaffen werden, damit den Kindern nach Trennung und Scheidung beide Eltern und Großeltern erhalten bleiben können, wenn § 1666 BGB (Kindesmißhandlung) auszuschließen ist?
4. Frage
Welche gesetzlichen Möglichkeiten müssen Ihrer Meinung nach geschaffen werden, damit Väter auch ohne Zustimmung der Mütter
Vaterschaftstests durchführen lassen können?
5. Frage
Welchen Handlungsbedarf für die Chancengleichheit von Männern
sehen Sie, wenn sie nicht einmal im Namen des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorkommen?
6. Frage
Gibt es Überlegungen in Ihrer Partei, Voraussetzungen dafür zu schaffen, damit die auch in Großstädten erfolgreiche "Cochemer Praxis" bundesweit eingeführt werden kann?
Sehr geehrte Frau Huonker,
auf Ihre Fragen möchte ich Folgendes antworten:
Zu Fragen 1 und 2:
Die Problematik des Sorgerechts wird innerhalb der SPD-Fraktion seit Januar 2005 diskutiert. Das federführende Bundesministerium der Justiz plante als Ergebnis einer Expertenanhörung einen Gesetzentwurf. Hierbei wurden verschiedene Modelle diskutiert. Denkbar ist es, allen Eltern – egal ob verheiratet oder nicht – die gemeinsame Sorge von Anfang an per Gesetz zu ermöglichen. Eine andere Variante ist es, die gemeinsame Sorge an das Zusammenleben der Eltern zu knüpfen. Jedoch ist der Begriff des „Zusammenlebens“ unscharf und schwer zu definieren und wird den heutigen vielfältigen Formen des Zusammenlebens nicht gerecht. Eine dritte Möglichkeit ist denkbar: Das Familiengericht könnte die fehlende oder verwehrte Zustimmung der Mutter zur Übertragung des Sorgerechts ersetzen. Durch die vorgezogene Neuwahl ist die Legislaturperiode nunmehr um ein Jahr verkürzt. Jegliche parlamentarischen Initiativen werden der Diskontinuität anheim fallen, so dass derzeit keine Änderung des Sorgerechts bevorsteht.
Zu Frage 3:
Ich stimme mit Ihnen überein, dass es für ein Kind wichtig ist, neben den Eltern auch den Kontakt zu den Großeltern zu erhalten. Dies sollte bestenfalls auch für andere, der Familie nahe stehende Personen gelten. Wenn nun der betreuende Elternteil den Umgang verweigert, dann kann die Umgangsregelung auf Antrag des anderen Elternteils vollstreckt werden. Dies können Zwangsgeld und Zwangshaft sein. Ich selbst war als Supervisorin und Mediatorin tätig und halte von solchen Zwangsmitteln jedoch nur wenig, da sie dem Kindeswohl meines Erachtens nicht dienlich sind. Es sollte vielmehr auf eine einverständliche und freiwillige Lösung hingearbeitet werden.
Zu Frage 4:
Ich lehne den heimlichen Vaterschaftstest ganz klar ab. Wenn ein Vater Zweifel hat, muss er diese laut äußern. Für mich stellt sich immer die Frage, wie ein Vater mit dem heimlich erworbenen Wissen umgehen will. Ich halte die bestehende gesetzliche Regelung für sinnvoll und ausreichend, nach der auch die Mutter an der Klärung der Vaterschaft beteiligt werden muss.
Zu Frage 5:
Es gibt keine eigenständige „Männerpolitik“, weil die Chancengleichheit von Frauen noch immer nicht hergestellt ist. In den Führungspositionen aller Berufsfelder sind überwiegend Männer vertreten. Nach wie vor sind es die Frauen, die durch das Gründen einer Familie am stärksten in ihrem Erwerbsleben betroffen sind. Darum brauchen wir Frauenpolitik als eigenständiges Politikfeld. Die Interessen der Männer finden sich überwiegend in der Gleichstellungspolitik wieder.
Zu Frage 6:
Unter dem Cochemer Modell versteht man die intensive, auf eine Einigung zielende Zusammenarbeit der mit einem Familienkonflikt befassten Personen. Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) hat einige Elemente des Modells in den Referentenentwurf des FGG-Reformgesetzes übernommen. Beispielsweise sollen Kindschaftssachen, die den Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder seine Herausgabe betreffen, vom Familiengericht vorrangig durchgeführt werden. Der erste Termin soll spätestens einen Monat nach Beginn des Verfahrens stattfinden. Das Gericht soll in diesem Termin und in jeder Lage des Verfahrens auf eine einvernehmliche Regelung hinwirken. Es weist auf Möglichkeiten der Beratung durch die Beratungsstellen hin. In geeigneten Fällen soll es auf die Möglichkeit der Mediation oder der sonstigen außergerichtlichen Streitbeilegung hinweisen.
Darüber hinaus ist die Übernahme der „Cochemer Praxis“ vom BMJ nicht befürwortet worden. Dies wurde damit begründet, dass es Konstellationen gibt, in denen ein konstruktives Miteinander der ehemaligen Partner nicht mehr möglich ist, in denen eine an die Eltern gerichtete Forderung nach Verständigung sinnlos ist. In Fällen, in denen die Betreffenden zu einer Einigung nicht in der Lage sind, ist eine gerichtliche Entscheidung erforderlich.
Mit freundlichen Grüßen
Christel Riemann-Hanewinckel