Frage an Christel Riemann-Hanewinckel von Nicolle P. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Riemann-Hanewinckel,
ehrlich gesagt: ich bin über Ihr Abstimmungsverhalten bei der Vorratsdatenspeicherung total entsetzt. Als ehemalige treue Wählerin frage ich mich wirklich, wie Sie als ehemalige DDR-Bürgerin und DDR-Kritikerin für dieses unausgegorene Gesetz stimmen konnten, in dem analog zur Stasi-Kultur der DDR alle Einwohner unseres Landes unter Generalverdacht gestellt werden.
Macht das Beispiel des Berliner Wissenschaftlers Dr. Anrej Holm nicht deutlich genug, worum es hier geht? Um die Stilllegung von demokratischer Kritik und die Befriedigung wirtschaftlicher Interessen. Rechtfertigt das einen solch radikalen Perspektivwandel in der Sicht des Staates auf seine Bürger?
Sie sind den Bürgern DIESES Landes verpflichtet, die Sie wählen, nicht Wirtschafts- und außenpolitischen Interessen und auch nicht den paranoiden Vorstellungen des gegenwärtigen Innenministers. Bei der Gelegenheit will ich es auch gleich einmal wagen zu fragen, warum dessen zutiefst antidemokratische Haltung (z.B. http://www.heise.de/newsticker/meldung/98718
http://www.zeit.de/online/2007/45/bnd-schaeuble?page=all
http://futurezone.orf.at/it/stories/228455/
http://www.stokar.de/show/751026.html )
in der SPD nicht zu einem Hauch von Kritik führt.
Herzlichen Dank für eine Antwort.
Nicolle Pfaff
Sehr geehrte Frau Pfaff,
vielen Dank für Ihre Frage vom 12. November 2007, in der Sie mein Abstimmungsverhalten bei der Beschlussfassung über die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung kritisieren.
Zuerst einmal bitte ich Sie, zu bedenken, dass EU-Richtlinien zwingend in deutsches Recht umzusetzen sind. Daraus folgt, dass es in solchen Fällen darauf ankommt, bei den Vereinbarungen auf EU-Ebene seine Positionen möglichst weitgehend durchzusetzen. Das ist im vorliegenden Fall in einem hohen Maße gelungen.
Denn dem Beschluss im Deutschen Bundestag waren lange und zähe Verhandlungen auf europäischer Ebene vorausgegangen, in deren Verlauf es Bundesjustizministerin Brigitte Zypries gegen den Widerstand vieler Mitgliedstaaten gelang, möglichst grundrechtsschonende Regelungen zu vereinbaren. So wurde die Mindestspeicherdauer auf 6 Monate (statt der ursprünglich auf EU-Ebene diskutierten 36 Monate) beschränkt. Auch bei der Frage, welche Daten gespeichert werden, hat sich Deutschland mit seiner restriktiven Linie durchgesetzt. So wurde verhindert, dass Angaben über aufgerufene Internetseiten gespeichert werden müssen. Ebenso hat die Bundesregierung erfolgreich verhindert, dass Verkehrsdaten bei erfolglosen Anrufen stets gespeichert werden müssen. Gleiches gilt für die von vielen EU-Mitgliedstaaten geforderte umfassende Speicherpflicht von Standortdaten bei der Mobilfunktelefonie, um bei längeren Telefonaten mit Ortswechseln Bewegungsbilder von Mobiltelefonierenden erstellen zu können. Die Bundesjustizministerin hat dagegen durch intensive Verhandlungen erreicht, dass nur das Standortdatum bei Beginn des Mobiltelefonats gespeichert werden muss. Es werden also ausschließlich Verkehrsdaten gespeichert, keine Telekommunkationsinhalte. Telekommunikationsverkehrsdaten sind Daten aus denen sich ergibt, von welchem Anschluss aus zu welchem Anschluss hin wann und wie lange telekommuniziert wurde, also die genutzten Rufnummern und Kennungen, die Uhrzeit und das Datum der Verbindungen. Viele TK-Unternehmen speichern diese Daten schon heute zu geschäftlichen Zwecken; für Abrechnungszwecke ist das nach geltendem Recht 6 Monate lang zulässig, § 97 Abs. 3 Satz 3 Telekommunikationsgesetz (TKG). Neu hinzu kommt nur, dass bei der Mobilfunktelefonie auch der Standort (angewählte Funkzelle) bei Beginn der Mobilfunkverbindung gespeichert wird. Daten, die Aufschluss über den Inhalt der Kommunikation geben, dürfen dagegen nicht gespeichert werden.
Zu den Telekommunikationsverkehrsdaten gehören neben Telefonverbindungen auch bestimmte Verkehrsdaten, die bei der Kommunikation über das Internet anfallen. Diese müssen nach der EU-Richtlinie künftig ebenfalls gespeichert werden. Deutschland nutzt die Umsetzungsfrist, deshalb müssen erst ab dem 1.1.2009 gespeichert werden:
• von den Internetzugangsanbieter: die zugewiesene IP-Adresse, Beginn und Ende der Internetnutzung und die Anschlusskennung (Rufnummer oder DSL-Kennung); nicht aber, welche Seite besucht wurde;
• von den Anbietern von E-Mail-Diensten: im Wesentlichen die Kennungen der elektronischen Postfächer (E-Mail-Adressen) und die IP-Adressen von Absender bzw. Empfänger nebst Zeitangaben;
• von Internettelefonieanbietern (VoIP): die Rufnummern, Zeitpunkte der Kommunikation und die IP-Adressen.
Auch in diesem Bereich werden also nur Daten über den Internetzugang und die E-Mail-Kommunikation gespeichert.
Die Daten werden - wie bisher – nur beim Telekommunikationsunternehmen gespeichert. Wie bisher schon können Polizei und Staatsanwaltschaft grundsätzlich nur dann auf die Daten zugreifen, wenn dies in einem Ermittlungsverfahren zur Aufklärung einer konkreten Straftat zuvor durch einen richterlichen Beschluss erlaubt wurde. In diesem Beschluss legt der Richter genau fest, welche Daten das Unternehmen aus seinem Bestand herausfiltern und den Strafverfolgungsbehörden übermitteln muss. Niemand wird unter Generalverdacht gestellt. Eine Analogie zur „Stasi-Kultur“ der DDR kann ich nicht erkennen. Herzlichen Dank für Ihr Interesse und Ihre Frage.
Mit freundlichen Grüßen
Christel Riemann-Hanewinckel