Frage an Christel Humme von Jenny M. bezüglich Familie
Sehr geehrte Frau Humme,
1955 bis 1957 wurde bei der Firma Chemie Grünenthal GmbH in Stolberg bei Aachen die Substanz Thalidomid entwickelt. Sie bildete die Grundlage des ab 1. Oktober 1957 in den Handel gebrachten Schlaf- und Beruhigungsmittels Contergan. Grünenthal deklarierte „Contergan“ als allgemein ungefährlich, ohne die Einnahme während der Schwangerschaft auszuschließen.
Weder die Warnungen anerkannter Wissenschaftler und Chefs bedeutender Kliniken wegen der von diesen diagnostizierten Nebenwirkungen noch die bei Grünenthal immer offenkundiger gewordene Tatsache der Unüberschaubarkeit der mit der Einnahme von Contergan verbundenen Gefahren noch der im November 1961 bekannt gewordene begründete Verdacht eines deutschen (Dr. Lenz) und eines australischen Oberarztes, die unabhängig voneinander Contergan mit schweren Missbildungen Neugeborener in Zusammenhang brachten, bewogen Grünenthal zu einer Rücknahme von Contergan aus dem Handel.
In diesem Zusammenhang interessiert mich, ob Sie sich bei der Verursacherfirma Grünenthal für weitere Entschädigungen der Conterganopfer einsetzen wollen.
Mit freundlichen Grüßen
Jenny Müller
Sehr geehrte Frau Müller,
herzlichen Dank für Ihre Mail.
Gerne informiere ich Sie über den aktuellen Stand im Gesetzgebungsverfahren zu den weiteren Hilfen für Contergangeschädigte. Wie Sie sicherlich bereits wissen, wurde am 26. März der Gesetzentwurf von SPD und CDU/CSU zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes in 1. Lesung beraten. Dazu findet am 4. Mai eine ausführliche Anhörung vor dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Deutschen Bundestag statt.
http://www.bundestag.de/ausschuesse/a13/anhoerungen/anhoerung18/index.html
Geplant ist, dass das Gesetz bereits am 1. Juli 2009 in Kraft treten kann. Die Drucksache des Gesetzentwurfes mit der Nummer 16/12413 finden Sie auch im Internet: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/124/1612413.pdf
Mit diesem Entwurf wollen wir die Entschädigung contergangeschädigter Menschen auf eine zukunftsfähige Basis stellen. Deshalb haben wir nach ausführlichen Beratungen und intensiven Gesprächen eine Änderung des Conterganstiftungsgesetzes vorgelegt. Wir haben die Probleme und Sorgen der Betroffenen aufgegriffen und dafür so weit es möglich war, Lösungen gefunden, die deutliche Verbesserungen beinhalten. Daran haben viele Personen mitgewirkt.
So haben wir gemeinsam monatelang an dem Gesetzentwurf arbeiten und ihn entsprechend ausgestalten können. Auf ausdrücklichen Wunsch der Betroffenen haben wir dafür gesorgt, dass die monatliche Unterstützung künftig dynamisiert und somit automatisch an die Steigerung der gesetzlichen Renten angepasst wird. Außerdem wurde der zunächst geplante Auszahlungszeitraum der jährlichen Sonderzahlung – ebenfalls auf Wunsch der Betroffen – auf 25 Jahre reduziert.
Insgesamt sollen nach diesem Gesetz künftig 100 Millionen Euro, zusätzlich zu den jetzigen Leistungen, als jährliche Sonderzahlungen ausgeschüttet werden. Denn das Gesetz sieht vor, dass die Grünenthal GmbH 50 Millionen Euro in die Conterganstiftung einbringt und zusätzlich weitere Mittel in gleicher Höhe aus dem Kapitalstock der Stiftung an die Betroffenen ausgezahlt werden.
Aus den Erträgen des restlichen Stiftungsvermögens sollen nur noch Projekte gefördert werden, die ausschließlich contergangeschädigten Menschen zugute kommen. Dafür ist eine Änderung des Stiftungszwecks nötig, denn bisher bezog sich die Projektförderung generell auf Menschen mit einer Behinderung.
Außerdem sollen die Strukturen der Conterganstiftung gestrafft werden, weshalb künftig der Bund die finanziellen Mittel für alle Verwaltungskosten der Stiftung aufbringen soll. Außerdem ist geplant, den Stiftungsrat aufgrund der Änderung des Stiftungszwecks auf maximal sieben Mitglieder zu verkleinern. Davon werden zwei Mitglieder aus dem Kreis der Betroffenen stammen und durch eine Wahl von den Contergangeschädigten selbst bestimmt werden.
Neu ist auch, dass die bisher von der Ausschlussfrist betroffenen contergangeschädigten Menschen künftig Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz geltend machen können. Bisher mussten Anträge bis zum 31. Dezember 1983 eingereicht worden sein. Zu einem späteren Zeitpunkt gestellte Anträge mussten wegen Fristversäumnis abgelehnt werden. Nun wird die Ausschlussfrist vom 1. Juli 2009 bis Ende 2010 geöffnet. Damit erhalten die Betroffenen in diesem Zeitraum die Möglichkeit, Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz zu beantragen.
Ich freue mich, dass wir mit dieser umfassenden Regelung einen Beitrag dazu leisten konnten, die Lebenssituation der contergangeschädigten Menschen zu verbessern.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre
Stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion
Christel Humme