Frage an Christel Humme von Maximilian S. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Humme,
als Mitglied des Deutschen Bundestages haben Sie am kommenden Mittwoch (12.11.2008) eine Entscheidung über die Umsetzung der zur Debatte stehenden "BKA-Novelle" zu treffen.
Eine Umsetzung der Novelle würde dem Bundeskriminalamt weitreichende exekutive Befugnisse zusprechen, darunter auch Befugnisse zu geheimen Ermittlungsmaßnahmen wie der Installation von Wanzen und Kameras in Wohnungen nicht verdächtiger "Kontaktpersonen" oder der heimlichen Installation von Überwachungsprogrammen auf Computersystemen, inklusive der Möglichkeit einer Berufung auf "Gefahr im Verzug". Bürger sollen verpflichtet werden, über verdächtige Personen Auskunft zu erteilen, auch Journalisten erführen davor keinen Schutz. Eine Kontrolle der Überwachungsdaten durch eine dritte Instanz würde nicht erfolgen. Die Erwägung, ob die Überwachung den besonders schützenswerten Kernbereich der privaten Lebensgestaltung berührt, soll von Mitarbeitern des BKA sowie der/dem Datenschutzbeauftragten der Behörde vorgenommen werden. Eine Löschungsfrist der so gewonnenen Daten ist nicht vorgesehen, eine Weitergabe der Daten an andere Behörden, öffentliche Stellen und Geheimdienste wäre rechtmäßig.
Wie beurteilen Sie die Novelle in Hinblick auf den Polizeibrief vom 14.04.1949, dem zufolge das BKA nur die Koordinierung der Verbrechensbekämpfung übernehmen darf und somit keine exekutiven Befugnisse inne hat?
Wie beurteilen Sie die Notwendigkeit der Novelle in Hinblick darauf, dass bisherige terroristische Bedrohungen durch Polizeiarbeit der einzelnen Länder erfolgreich abgewendet werden konnten?
Wie beurteilen Sie die Verfassungsmäßigkeit der Novelle? Ist sie mit den Grundrechten auf Pressefreiheit und - jeweils auch in Bezug auf nicht verdächtige "Kontaktpersonen" - mit dem Fernmeldegeheimnis und der Unverletzlichkeit der Wohnung vereinbar?
Mit freundlichen Grüßen!
Sehr geehrter Herr Stahlberg, herzlichen Dank für Ihre Anfrage zur "BKA-Novelle".
Ich kann Ihre Besorgnis und Ihre Vorbehalte angesichts dieses Gesetzesvorhabens gut nachvollziehen. Ich sehe die SPD sowohl als Partei der Bürgerrechte als auch als Partei einer rechtsstaatlichen Terrorbekämpfung mit Augenmaß. Als Abgeordnete und Bürgerin dieses Landes habe ich genau im Blick, dass die Balance zwischen den Freiheitsrechten der Bürgerinnen und Bürger auf der einen und den Sicherheitsinteressen des Staates bei der Bekämpfung von Schwerstkriminalität gewahrt bleibt.
Fest steht, dass alle getroffenen Regelungen allein vor dem Hintergrund einer latenten Bedrohung Deutschlands durch den internationalen Terrorismus vertretbar sind. Hinzu kommt, dass das BKA in der Praxis schon heute in entsprechenden Fällen ermittelt. Nämlich dann wenn sich bei der Überprüfung herausstellt, dass die Grenze zur Strafbarkeit bereits überschritten war. In einem solchen Fall zieht die Bundesanwaltschaft den Fall an sich und beauftragt das BKA mit den Ermittlungen. Diesem Hin und Her wollten wir ein Ende bereiten. Wir haben deshalb bereits im Rahmen der Föderalismusreform das Grundgesetz in Art. 73 Nr. 9 a GG geändert und dem BKA die ausschließliche Präventivbefugnis zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus übertragen.
Mit dem neuen BKA-Gesetz füllen wir diese grundgesetzliche Kompetenz nun aus. Damit das BKA tatsächlich handlungsfähig ist, übertragen wir ihm mit dem neuen Gesetz die entsprechend erforderlichen polizeilichen Ermittlungsbefugnisse. Dazu gehört auch die Wohnraum- und Telekommunikationsüberwachung. Die Polizei der Bundesländer wenden diese Maßnahmen schon seit Jahren an. Es wäre widersinnig, wenn wir dem BKA angesichts der Schwere einer terroristischen Bedrohung weniger Ermittlungsmöglichkeiten geben würden.
Anders als herkömmlichen Ermittlungsmethoden ist die Online-Durchsuchung natürlich ein Novum. Aus der Praxis des BND wissen wir aber, dass er bei seinen auslandsbezogenen Ermittlungen über die Online-Durchsuchung bereits wichtige Erfolge erzielen konnte. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Kommunikation von Terrorverdächtigen zunehmend konspirativer wird. Computersysteme spielen dabei eine entscheidende Rolle. Die herkömmliche Telefonüberwachung hilft hier leider nicht weiter. Der Bundesparteitag der SPD hat sich deshalb im Herbst 2007 für die Anwendung der Online-Durchsuchung ausgesprochen aber auch eine klare rote Linie gezogen, die staatliches Handeln nicht überschreiten darf.
Natürlich darf das BKA diese neuen Befugnisse nur unter strikter Beachtung unserer verfassungsrechtlichen Grundsätze in eng umgrenzten Fällen anwenden. Hierzu gehört auch, dass besonders eingriffsintensive Maßnahmen nur gegenüber dem Tatverdächtigen bzw. seiner Kontakt- und Begleitperson angeordnet werden dürfen. Außerdem muss der Kernbereich privater Lebenssphäre für das BKA tabu bleiben. Die Verwendung von Informationen aus diesem Kernbereich ist deshalb grundsätzlich verfassungswidrig und nicht gestattet. Daher spielte für uns die Kernbereichskontrolle eine besonders wichtige Rolle. Wir haben daher erreicht, dass abgesehen von der generell erforderlichen richterlichen Anordnung einer Online-Untersuchung jeweils drei Mitarbeiter des BKA über etwaige Verletzungen des Kernbereichs zu befinden haben. Der weisungsunabhängige Datenschutzbeauftragte des Bundeskriminalamtes hat hier eine Schlüsselrolle. Denn nicht erst bei seinem begründeten Verdacht, sondern auch schon bei Zweifeln muss ein Richter hinzugezogen werden. Diese Regelung wurde auch durch den Bundesdatenschutzbeauftragten für Datenschutz, Peter Schaar, für geeignet befunden.
Durch diese besonderen Hürden bleiben wichtige Bürgerrechte gewahrt und die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes im Gesetz erfüllt.
Die von Ihnen angesprochene Relativierung der Zeugnisverweigerungsrechte bei Anwalten, Notaren, Ärzten, Journalisten, Therapeuten gegenüber der nach wie vor geschützten Gruppe der Geistlichen, Strafverteidiger und Abgeordneten halte ich allerdings ebenfalls für problematisch. Von Fachleuten wird hier mit der Analogie zur Strafprozessordnung argumentiert. Nichtsdestotrotz wird bei der Umsetzung besonders sorgfältig darauf zu achten sein, dass der notwendige Berufsgeheimnisschutz für alle Gruppen gewahrt bleibt. Im Übrigen wird die Online-Durchsuchung alle fünf Jahre von einem unabhängigen Sachverständigen auf seine Angemessenheit und Erforderlichkeit hin überprüft und ausgewertet.
In der Gesamtschau und nach den mir vorliegenden Informationen der Fachexperten meiner Fraktion werde ich dem Gesetzesentwurf mit einigen Bauchschmerzen zustimmen. Mit ausschlaggebend für diese Entscheidung ist für mich, dass bei dem erzielten Kompromiss wesentliche Forderungen des Hamburger Parteitages, wie etwa die Sicherstellung einer besonders hohen Eingriffsschwelle oder die Miteinbeziehung der engen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes, umgesetzt werden konnten.
http://parteitag.spd.de/servlet/PB/show/1731336/B%DC%2B21%2B_%2BIA%2B5%2BSicherheit%2Bin%2BFreiheit.pdf
Mit freundlichen Grüßen
Christel Humme
Ihre Bundestagsabgeordnete für den nördlichen EN-Kreis