Frage an Christel Humme von Thomas K. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Humme,
ich bitte Sie, zu folgender Praxis Stellung zu nehmen, die darauf hinausläuft, dass einige Arbeitsagenturen versuchen Ausgaben zu reduzieren, indem eine Verschlechterung der Gesundheit risikoschwangerer Frauen sowie eine Erhöhung der Rate von Fehlgeburten in Kauf genommen wird? Das Problem beginnt, wenn ein Arzt für eine ALG I beziehende Risikoschwangere ein mutterschutzrechtliches Beschäftigungsverbot ausspricht. Dies tut er guten Gewissens, da in ärztlichen Medien unter Verweis auf die Rechtsprechung kommuniziert wird, dass in solchen Fällen eine Weitergewährung von ALG I verpflichtend ist. So hat das Hess. Landessozialgerichts (L 9 AL 35/04) ausgeführt: "Zum Schutz der werdenden Mutter und des Kindes ist bei Fällen der vorliegenden Art – Beschäftigungsverbot bei arbeitslosen Schwangeren nach § 3 Abs. 1 MuSchG – die Beklagte im Wege der lückenfüllenden Auslegung zur Weitergewährung von Arbeitslosengeld verpflichtet, indem das Vorliegen von Verfügbarkeit fingiert wird." Während z.B. in Frankfurt a.M. in diesen Fällen ALG I weitergewährt wird, wird z.B. in Witten (wie uns widerfahren) versucht, die Frau dazu zu bringen, sich krankschreiben zu lassen. Verweigert sie sich dieser Umgehung des Mutterschutzes (was mit erheblichen finanziellen Einbußen einherginge), wird die Bewilligung von ALG aufgehoben, Widersprüche dagegen abgewehrt. Da die Frau auch nicht "krank" ist, verliert sie ihre Einkünfte und u.U. ihre Krankenversicherung(!). So werden die Frauen auf den Klageweg gezwungen. Da es sich hier IMMER um Frauen in einer extrem prekären Lage handelt, ist offensichtlich, dass dies geeignet ist, die Gesundheit der Frauen zu verschlechtern und Fehlgeburten wahrscheinlicher zu machen. In beiden Fällen hätte die BA das Problem gelöst, wenn auch extrem zynisch. Zudem ist wahrscheinlich, dass viele dieser Frauen nicht das Konfliktpotenzial aufbringen, den Rechtsweg zu beschreiten. Halten Sie diese Praxis für ethisch vertretbar?
MfG
T. Kleinsorge
Sehr geehrter Herr Kleinsorge,
herzlichen Dank für Ihre Anfrage zum Umgang der Agentur für Arbeit mit risikoschwangeren arbeitssuchenden Frauen, die ich Ihnen gerne beantworten möchte.
Als Bundestagsabgeordnete und langjährige frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion ist mir sehr daran gelegen, für werdende Mütter möglichst gesundheitsfördernde Arbeitsbedingungen zu schaffen. Das gilt insbesondere für Frauen, die während einer Risikoschwangerschaft zusätzlichen körperlichen und psychischen Belastungen ausgesetzt sind.
Insofern teile ich Ihre Kritik an der Praxis der BA gegenüber dieser Personengruppe, aufgrund des medizinisch begründeten Beschäftigungsverbotes die Zahlung des Arbeitslosengeldes einzustellen.
Hierbei handelt es sich allerdings keineswegs um eine eigenmächtige Auslegung durch die Wittener Agentur für Arbeit, da sie auf einer bundesweit gültigen Durchführungsanweisung basiert. Ihr zufolge ist eine Person, die durch ein Beschäftigungsverbot von einer Arbeitsaufnahme ausgeschlossen wird, objektiv nicht auf dem Arbeitsmarkt vermittelbar und als solche auch nicht zu fördern. Die Entscheidungen der hessischen Sozialgerichte haben hier nach meinen Recherchen lediglich zu Einzelfallentscheidungen geführt, die sich nicht generell übertragen lassen.
So einleuchtend mir die eben erläuterte Anweisung im normalen Vermittlungsprozess der BA auch erscheint, so unangemessen halte ich sie in Ihrem geschilderten Fall.
Daher unterstütze ich Sie in Ihrem Anliegen, das derzeit auch das Bundessozialgericht beschäftigt und hoffe mit Ihnen auf einen Ausgang, der den fortgesetzten Bezug von Arbeitslosengeld für risikoschwangere Arbeitssuchende auch während des Beschäftigungsverbotes grundsätzlich regelt. Sollte das Bundessozialgericht eine solche Entscheidung aus der bestehenden Gesetzeslage nicht ableiten können, wird hier eine politische Überarbeitung des Gesetzes nötig sein. Dafür würde ich mich in diesem Fall nach Kräften einsetzen.
Da sich hieraus für Ihren Fall noch keine konkrete Hilfe ergibt, freue ich mich darüber, dass auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf meine Anfrage zu diesem Sachverhalt schnell reagiert hat. Es wird nach meiner Kenntnis die BA in Kürze anweisen, bis zur bevorstehenden gerichtlichen Klärung für risikoschwangere, arbeitsuchende Frauen in Vorleistung zu treten und das Arbeitslosengeld fortzuzahlen. Eine dementsprechende Zusage wird Ihnen die Hagener Agentur für Arbeit in Kürze erteilen.
Ich bin zuversichtlich, dass sich bereits durch das noch in diesem Jahr erwartete Urteil des Bundessozialgerichts eine grundsätzliche Lösung ergeben wird. Andernfalls werde ich mich im Sinne der betroffenen Frauen engagieren. Ich danke ich Ihnen abschließend sehr für Ihren Hinweis und Ihr Engagement in dieser Sache.
Ich wünsche Ihnen alles Gute und Ihrer Frau von ganzem Herzen einen möglichst sorglosen und angenehmen Verlauf Ihrer Schwangerschaft.
Mit den besten Wünschen
Christel Humme
Ihre Bundestagsabgeordnete für den nördlichen EN-Kreis