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Frage von Thorsten P. •

Frage an Christel Humme von Thorsten P. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Frau Hummel,

als Wähler und Unternehmer in Ihrem Wahlbezirk Hattingen habe ich den Inhalt des ESM Vertrages durchgearbeitet.

Sie selbst haben dem ESM Vertrag zur Gründung der neuen "ESM-Bank" in Luxemburg und der Ausstattung der Bank mit 500 bis 700 Milliarden Euro als Bareinlage von den Mitgliedsländern zugestimmt.

Sie haben zugestimmt, dass die Angestellten in diesem Luxemburger Unternehmen keine Steuern zahlen müssen.

Sie haben zugestimmt, dass der ESM Immunität von gerichtlichen Verfahren jeder Art genießt.

Meine Frage: haben Sie den Vertrag je gelesen und den Inhalt auch verstanden?

Mit freundlichen Grüßen

Thorsten Podlech

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Podlech,
herzlichen Dank für Ihre Mail.

In engem Zusammenhang mit dem von Ihnen "durchgearbeiteten" ESM-Vertrag wurden folgende Gesetze beschlossen: das ESM Ratifizierungsgesetz; ein Ratifizierungsgesetz für den Fiskalpakt; das ESM Finanzierungsgesetz; das Bundesschuldenwesen-Gesetz zur Einführung der CAC’s (Collective Action Clauses), die einen rechtlichen Rahmen für die Beteiligung von Gläubigern an künftigen Umschuldungsmaßnahmen schaffen; das Zustimmungsgesetz zur Änderung der AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der EU) sowie ein Nachtragshaushaltsgesetz. Dazu kommen noch umfangreiche ESM-Durchführungsbestimmungen. Eine umfassende Bewertung des ESM und seiner rechtlichen und finanziellen Konsequenzen, sollte daher auf der Gesamtheit alles Dokumente beruhen und sich nicht auf die Interpretation einiger Bruchstücke zurückwerfen.

Ich selbst bin keine Finanz- oder Haushaltspolitikerin und habe daher die Verträge nicht zur Gänze gelesen, sondern mir durch umfangreiche Diskussionen innerhalb und außerhalb meiner Fraktion meine Meinung gebildet.

Zusammengefasst waren es drei Faktoren, die in der Gesamtschau meine Zweifel deutlich geringer werden ließen als die unkalkulierbaren Konsequenzen einer Ablehnung:
1. Die Wachstumsbeschlüsse des Brüsseler Gipfels, mit denen für insgesamt 130 Milliarden Euro wachstums- und beschäftigungsfördernde Maßnahmen ermöglicht werden, gehen eindeutig in die richtige Richtung. Endlich hat sich die von uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten schon lange vertretene Einsicht durchgesetzt, dass ein reines Spardiktat die Krisensituation in Europa weiter verschärfen würde. Vor allem in Hinblick auf die alarmierend hohe Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland, Spanien und Portugal sind die nun vorgesehenen spezielle EU-Sofortprogramme dringend nötig.
2. Endlich wurde mit der Einführung einer Finanztransaktionssteuer in zehn Partnerländern auch eine unserer Hauptforderungen auf den Weg gebracht. Das entsprechende Gesetzgebungsverfahren soll noch in diesem Jahr abgeschlossen werden.
3. Der Auftrag, konkrete Schritte zu einer europäischen Bankenaufsicht einzuleiten ist ein weiteres wichtiges Signal zu einer echten Fiskalunion.

Die derzeitige europapolitische Bilanz der schwarz-gelben Bundesregierung ist desaströs. Europaweit steigende Schulden, steigende Arbeitslosigkeit vor allem unter Jugendlichen und nun auch erste Auswirkungen in der deutschen Wirtschaft sind die Bilanz dreijährigen Zauderns, Zögerns und falscher Weichenstellungen von Angela Merkel.
Vor diesem Hintergrund war es für meine Fraktion und für mich persönlich eine sehr schwieriger Schritt, den Gesetzespaketen zuzustimmen.
Mit den beschriebenen Fortschritten wurde deutlich: Der ESM und der Fiskalpakt werden also allein – nackt – nicht kommen. Mit Wachstumsprogrammen, mit der Finanztransaktionssteuer und Programmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit werden der Fiskalpakt und der ESM in ein sozial und wirtschaftpolitisches Konzept eingebettet, das die berechtigte Hoffnung nährt, wir können Europa so aus der Krise führen. Gleichzeitig war mein „ja“ zu dem ergänzten ESM und Fiskalpakt keine Zustimmung zur Politik von Angela Merkel sondern ein klares Bekenntnis für ein solidarisches und handlungsfähiges Europa.

Denn was wäre die Alternative gewesen?

Auch in den zahlreichen Zuschriften von Bürgerinnen und Bürgern , die mich zur Ablehnung der Gesetze aufgefordert haben, wurden keine realistischen Lösungsmodelle sichtbar.
Statt dessen wurde deutlich, dass Europa noch allzu oft auf eine rein monetäre Angelegenheit reduziert wird. Diese Auffassung ist sehr bedauerlich, denn es verdrängt die enorme Bedeutung Europas für 60 Jahre Frieden, die friedliche Überwindung der deutschen Teilung und die Entwicklung stabiler Demokratien.

Außerdem lohnt sich in diesem Zusammenhang der Blick auf „harte Fakten“.
Deutschland ist- entgegen vieler Behauptungen- nicht der „Zahlmeister Europas“, sondern der größte Gewinner der Währungsunion. Etwa 40 Prozent der deutschen Exporte gehen in die Eurozone, wodurch in Deutschland mehr als drei Millionen Arbeitsplätze gesichert werden. Im Jahr 2010 belief sich der positive Effekt der Währungsunion für die deutsche Wirtschaft auf 165 Milliarden Euro, das entspricht 6,4 Prozent der Wirtschaftsleistung.
Die Stabilität des Euros und unserer Partnerländer liegt daher auch aus wirtschaftlichen Gründen im deutschen Interesse, weil uns ein Zusammenbruch der Währungsunion am härtesten treffen würde. Der Exportnation Deutschland kann es auf Dauer nicht gut gehen, wenn die Wirtschaft im Rest Europas am Boden liegt. Unser Wohlstand beruht auf den in Deutschland hergestellten Produkten, die auch von unseren europäischen Partnerländern gekauft werden. Wenn es uns nicht gelingt, diese Länder dauerhaft zu stabilisieren, dann droht die Krise auch auf Deutschland überzugreifen. Die Unterstützung von Griechenland oder Spanien sichert letztlich also auch die Arbeitsplätze in Deutschland!

Diese Solidarität ist selbstredend keine Einbahnstraße. Die betroffenen Staaten müssen ihrer Verantwortung gerecht werden, Fehlentwicklungen abstellen und Schulden abbauen. Nur wenn die Eurozone stabilisiert wird, können die Länder die gewährten Kredite zurückzahlen. Wer jetzt aber ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone fordert, beschleunigt damit nur einen Staatsbankrott und vermindert so die Chance auf die vollständige Rückzahlung der deutschen Forderungen. Zudem hätte ein unkontrollierter Staatsbankrott auch verheerende Folgen für andere Krisenstaaten, die dann ebenfalls zur Zielscheibe spekulativer Angriffe würden.

Wie geht es nun weiter mit Europa?

Hier sind alle Politikerinnen und Politiker in der Verantwortung, die Menschen stärker für ein Projekt Europa zu begeistern, dass nicht -wie durch die Regierung Merkel gefördert- eine reine Wirtschaftsgemeinschaft sein darf sondern vielmehr zu einem wirklich sozialen Europa werden muss, mit dem sich die Bürgerinnen und Bürgerinnen der Mitgliedsstaaten identifizieren und zu dem sie sich zugehörig fühlen können.
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen mehr Europa wagen - mit und für die Bürgerinnen und Bürger. Denn nur gemeinsames solidarisches Handeln kann die Antwort auf die neuen Herausforderungen einer immer stärker globalisierten Welt sein.

Mit freundlichen Grüßen nach Hattingen
Christel Humme

P.S.
Auf den Seiten der SPD können Sie sich unter diesem Link http://www.spd.de/aktuelles/kategorie/?tag=13088-Eurokrise weitergehend zum Thema Eurokrise informieren. Auch die SPD-Bundestagsfraktion hat eine Internetseite mit aktuellen Informationen und einer Übersicht aller parlamentarischen Initiativen zum Thema zusammengestellt, die Sie unter diesem Link finden können: http://www.spdfraktion.de/themen/europäische-finanzkrise