Frage an Christel Humme von Julian T. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sie werden in wenigen Tagen darüber abstimmen, ob die Bundeswehr weitere Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan einsetzen soll. Sicher kennen Sie die militärische Situation genau. Aber wissen Sie auch, dass neben den regulären Soldaten aus USA, Großbritannien, Deutschland usw. ein Heer von 130 000 bis 160 000 schwer bewaffneter Söldner militärisch tätig ist? Es sind die privaten militärischen Dienste der Firma Blackwater und ihrer Nachfolgerfirmen, z. B. Xe Services, die zu allem fähig, zu allem bereit sind und vor allem das größte berufliche Interesse daran haben, dass dieser Konflikt noch lange anhält, ungeachtet welche Menschenrechte dabei verletzt werden (siehe beispielsweise LE MONDE diplomatique vom Februar 2010).
Können Sie uns erklären, warum trotz dieser großen militärischen Übermacht noch mehr Soldaten anstelle ziviler Wiederaufbauhelfer entsandt werden sollen, wo doch das zentrale Ziel des Einsatzes der zivile Wiederaufbau Afghanistans ist.
Mit freundlichen Grüßen
Das Wittener Friedensforum:
Ursula Bösken, Dr. Heide Dahlmann, Sabine Newetzky-Weiner, Christa Thierig, Lukas Anacker, Joachim Schramm, Dr. Detlef Thierig, Julian Toewe, Dr. Werner Will.
Sehr geehrter Herr Toewe, sehr geehrte Mitglieder des Wittener
Friedensforums,
herzlichen Dank für Ihre Mail.
Ich kann Ihre Sorge und Ihre Bedenken um die militärische Beteiligung Deutschlands in Afghanistan sehr gut verstehen. Es hat sich gezeigt, dass die Bundeswehr zunehmend in kriegerische Aktivitäten verwickelt wird. Die Organisation der früheren Taliban, die über zwanzig Jahre lang ein Schreckensregime geführt haben, ist zwar weitgehend zerstört, doch gibt es immer wieder Anschläge auf zivile Einrichtungen, wie Schulen, Kraftwerke, Polizeieinrichtungen, mit denen die Gegner des Aufbaus versuchen, die Bevölkerung zu zermürben und erste Erfolge wieder zunichte zu machen. Die Bundeswehr leistet vor Ort einen unverzichtbaren Dienst zur notwendigen militärischen Absicherung des Stabilisierungs- und Wiederaufbauprozesses.
Ein ziviler Aufbau ist jedoch ohne militärische Schutzkomponente immer noch nicht zu erreichen. Sofort nach Abzug der ISAF-Schutztruppe würden Taliban, Al-Quaida-Anhänger und Warlords das Land unter sich aufteilen und die Verhältnisse von vor 2001 wieder herstellen. Die zivilen Projekte würden sofort eingestellt oder untergehen.
Daher hat Deutschland in der Afghanistanpolitik von Beginn an einen umfassenden und ganzheitlichen Ansatz verfolgt, der darauf abzielt, die zivilen Unterstützungsleistungen beim Wiederaufbau und der Demokratisierung mit den notwendigen militärischen Instrumenten abzusichern. Es geht in Afghanistan darum, in einem schwierigen regionalen Umfeld die Lebensbedingungen der Bevölkerung zu verbessern. Wir wollen Regierung und Bevölkerung dabei helfen, einen Staat zu errichten, der mittels effektiver Sicherheits- und Justizorgane in der Lage ist, sich erfolgreich selbst gegen die (noch) bestehenden Herausforderungen durch Terrorismus und organisierte Kriminalität zur Wehr zu setzen.
Dieses Ziel kann natürlich nicht von heute auf morgen erreicht werden. Der Aufbau effektiver selbsttragender afghanischer Sicherheitsstrukturen ist die wichtigste Voraussetzung für die Reduzierung und schließlich den Abzug der internationalen Truppen. Für mich und meine Partei war eine Zustimmung zur Verlängerung des Afghanistan-Mandates an klare Bedingungen geknüpft. Die Bundesregierung hat den Anforderungen der SPD an das neue Mandat fast vollständig entsprochen: Die Verstärkung der zivilen Aufbaumittel und der Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte, der Beginn des Abzugs deutscher Soldaten ab 2011 und der Abschluss ihres Einsatzes im Einklang mit den Plänen der afghanischen Regierung zwischen 2013 und 2015 wurden aufgenommen. Vor diesem Hintergrund habe ich der Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes zustimmen können. Auf der Homepage der SPD-Bundestagsfraktion http://www.spdfraktion.de/cnt/rs/rs_dok/0,,50993,00.html finden Sie eine Zusammenstellung aller relevanten Dokumente zur Verlängerung des ISAF-Mandats für Afghanistan.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Christel Humme