Frage an Christel Happach-Kasan von Holger Isabelle J. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung
Sehr geehrte Frau Happach-Kassan,
in ihrer zu Protokoll gegebenen Rede zur 1. Lesung der Novelle zum Gentechnikgesetz behaupten sie von "umfangreichen Untersuchungen" zu wissen, "dass die Ablehnung oder Befürwortung eines Produkts nicht unbedingt einen Niederschlag auch im Kaufverhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher findet." Können Sie die Untersuchungen und deren Quelle nennen?
Mit freundlichen Grüßen
Holger Isabelle Jänicke
Sehr geehrter Herr Jänicke,
die Fragestellung, ob und wieweit Verbraucherumfragen auch das tatsächliche Kaufverhalten von Verbraucherinnen und Verbrauchern widerspiegeln, ist sehr spannend. Es sind dazu insbesondere Untersuchungen hinsichtlich der Bereitschaft, Bioprodukte zu kaufen, gemacht worden. In der Tendenz zeigten diese Untersuchungen, dass deutlich mehr Verbraucherinnen und Verbraucher sich für Bioprodukte ausgesprochen haben als nachher auch diese Produkte gekauft haben. Im Jahr 2005 z.B. ergaben Meinungsumfragen, dass 80% der Bundesbürger Bioprodukte befürworten, der Marktanteil lag unter 5%.
Prof. Dr. Wolfgang Wagner von der Universität Linz sagte auf dem Symposium "Gentechnik in der Nahrungskette" 2002 in Wien: "Natürlich erheben Meinungsumfragen nur Meinungen und Einstellungen und nicht tatsächliches Verhalten. Dadurch kann auch aus solchen Umfragen nicht auf das Kaufverhalten von GM-food (gentechnisch veränderte Nahrungsmittel) geschlossen werden. Das tatsächliche Kaufverhalten wird in jedem Fall davon abhängen, welche tatsächlichen Vorteile (utility) sie für den Konsumenten bieten und ob diese Vorteile auch wahrgenommen werden können." (1)
Im Herbst 2005 wurden 25.000 EU-Bürgerinnen und Bürger für die Eurobarometer-Umfrage gefragt, wie sicher Lebensmittel seien. Lediglich 8% der Befragten erwähnten die Gentechnik als einen Punkt, der ihnen beim Nachdenken über Gefahren bei Lebensmitteln spontan einfiel. Sehr viel mehr Personen äußerten Bedenken, wenn sie spezifisch nach ihrer Einstellung zur Gentechnik bei Nahrungsmitteln gefragt wurden. Hier gaben 62% an, über dieses Thema besorgt oder sehr besorgt zu sein. In Österreich führte die Gentechnik die Liste der möglichen Sorgen sogar an: 69% der Befragten äußerten Bedenken zu diesem Thema, deutlich mehr als zu Krankheitserregern oder Rückständen in Lebensmitteln. Dieses Resultat stimmt mit den Marktforschungs-Umfragen in Österreich überein, bei denen mehr als 70% der österreichischen Konsumentinnen und Konsumenten angaben, dass sie bereit wären, für gentechfreie Produkte einen Aufpreis von 10% zu zahlen.
Die Agrarmarkt Austria Marketing GmbH untersuchte anschließend in einem großen Supermarkt, ob Fleischprodukte bevorzugt wurden, welche etwas teurer (6-10%), aber deutlich als "aus gentechnikfreier Fütterung" gekennzeichnet waren. Das Resultat: Die "gentechnikfreien" Produkte machten nur etwa ein Fünftel der verkauften Schnitzel und 30% des Hackfleischs aus. Bei genauerer Nachfrage durch das Personal gab die Hälfte der Konsumenten, die "gentechnikfreie" Produkte auswählte, an, dass die Art der Fütterung für ihren Kaufentscheid keine Bedeutung gehabt hatte. Lediglich ein kleiner Teil der Kunden hatte also bewusst das "gentechnikfreie" Produkt gewählt. Ein weiterer Versuch mit Milch führte zu ähnlichen Ergebnissen. Hier hatten die Kunden die Wahlmöglichkeit zwischen normaler Milch und einer etwas preiswerteren Variante, die deutlich mit "aus gentechnischer Fütterung" gekennzeichnet war. Auch hier bevorzugten die Konsumenten eindeutig das preiswertere Produkt. (2)
Das bedeutet, dass für die überwiegende Mehrheit der Kunden die Frage der Fütterung der Tiere für ihr Kaufverhalten ohne Bedeutung war. Die Ergebnisse von Meinungsumfragen, die eine Ablehnung der Gentechnik im Nahrungsmittelbereich ergeben, können daher nicht als Beleg dafür gewertet werden, dass diese Produkte nicht gekauft würden.
Es gibt verschiedene Umfragen, die nach der Bewertung von Produkten fragen, die unter Anwendung gentechnischer Methoden hergestellt wurden und spezifische Vorteile aufweisen. Ein Beispiel dafür ist die Studie von Frau Prof. Roosen der Universität Kiel. Diese zeigt deutlich auf, dass die Befragten die Anwendung gentechnischer Methoden befürworten, wenn sie sich einen Nutzen vom Produkt versprechen. Auf einzelne mögliche Produkte angesprochen befürworteten unter anderem:
75% die Herstellung von Humaninsulin (Ablehnung 10%)
71% die Stärkekartoffel (Ablehnung 10%)
49% einen vitaminangereicherten Reis (Ablehnung 33%). (3)
Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat aus Anlass seines fünfjährigen Bestehens am 7. November 2007 einen Kongress veranstaltet unter dem Thema: "Rechtfertigen gefühlte Risiken staatliches Handeln?". In der Pressemitteilung schreibt das Institut: "Gefühlte, also nicht wissenschaftlich begründete Risiken, gehören zum gesellschaftlichen Leben und prägen das Verhalten der Menschen im Alltag. Für die Politik sind sie real und dürfen nicht ignoriert werden. Um Krisen zu vermeiden, ist deshalb auch bei einem gefühlten Risiko staatliches Handeln nötig. Eine offene und verständliche Risikokommunikation, welche die Position der Wissenschaft auf der einen und die Positionen der verschiedenen Stakeholder auf der anderen Seite in die Diskussion eines Risikos einbezieht, ist hierbei von zentraler Bedeutung." (4)
Es gibt zahlreiche Beispiele, dass gefühlte Risiken zu Fehleinschätzungen der Verbraucher führen. Prof. von Alvensleben hat auf einem Kongress der FDP-Landtagsfraktion Schleswig-Holstein anhand zahlreicher Beispiele dargestellt, dass Lebensmittelrisiken häufig von Verbrauchern überschätzt, andere Risiken unterschätzt werden. Ein dramatisches Beispiel ist das Ergebnis der Verbraucherbefragung 2002, in der der Verzehr von Fleisch von BSE-kranken Rindern als genauso gefährlich eingeschätzt wurde wie das Rauchen. Rauchen ist sehr gefährlich, pro Jahr sterben etwa 140 000 Menschen am Rauchen. (5) Prof. Dr. Andreas Hensel hat in seiner Pressemitteilung zum 5jährigen Bestehen des BfR ein anderes Beispiel genannt: "So ist beispielsweise das gefühlte Risiko bei Rückständen von Pestiziden in Lebensmitteln bei deutschen Verbrauchern groß. Selbst wenn gesetzliche Rückstandshöchstmengen eingehalten werden, befürchten viele Menschen gesundheitliche Schäden, wenn sie solche Lebensmittel verzehren. Aus wissenschaftlicher Sicht ist hingegen selbst bei sporadischen Überschreitungen der Höchstmengen kein gesundheitliches Risiko erkennbar. Wird dagegen auf bestimmte Pflanzenschutzmittel wie zum Beispiel auf Fungizide beim Anbau von Getreide verzichtet, können durch Pilzbefall Schimmelpilzgifte ins Korn gelangen. Von diesen Pilzgiften ist bekannt, dass sie Krebs auslösen. Aus wissenschaftlicher Sicht sind daher Getreideprodukte aus pestizidfreiem Anbau wegen der möglichen Belastung mit diesen Giften keineswegs automatisch frei von gesundheitlichen Risiken. Viele Verbraucher empfinden sie aber dennoch als sicher." (6)
Für Politiker bedeutet dies, dass die Ergebnisse von Verbraucherumfragen nicht geeignet sind, als Richtschnur für staatliches Handeln zu dienen. Die Widersprüchlichkeit von Verbraucherumfragen wird auch an folgenden Beispielen deutlich: So meinen über 50%, dass "gentechnikfrei" gleichbedeutend damit sei, dass ein Produkt keine Gene enthalte und 75% der Verbraucherinnen und Verbraucher sind dafür, dass Dihydrogenmonoxid verboten oder reglementiert werden sollte. Dihydrogenmonoxid ist Wasser.
Die FDP-Bundestagsfraktion hat einen eigenen Gesetzentwurf zur Novellierung des Gentechnikgesetzes erarbeitet, der eine Umsetzung der EU-Freisetzungsrichtlinie gewährleistet und gleichzeitig sicherstellt, dass der Anbau von GVO in Deutschland ohne unüberschaubare finanzielle Risiken möglich ist und die Forschung bessere Rahmenbedingungen erhält.
Von Alexander v. Humboldt stammt der Satz: "Es sind nicht die Tatsachen selbst, die menschliches Verhalten steuern, sondern es ist die Meinung, die sich der Mensch über Tatsachen bildet." Auch wenn Politiker gewählt werden wollen, sind sie in der Pflicht, sich an den Tatsachen zu orientieren und nicht an den Meinungen über Tatsachen.
Mit freundlichen Grüßen
Christel Happach-Kasan
(1) www.dialog-gentechnik.at/binaries/105866.pdf?UIN=59d0f2a6b2c1fbb0c5051bfe6f38f75c
(2) http://lme.agrar.de/20060209-00002/
(3) Jutta Roosen, Inken B. Christoph und Maike Bruhn: „Verbrauchereinstellungen zur grünen Gentechnik“, Institut für Ernährungswirtschaft und Verbrauchslehre, Institut für Agrarökonomie der Christian-Albrechts-Universität. Kiel, Juli 2006.
(4) http://idw-online.de/pages/de/news234820
(5) v. Alvensleben, R.: "Qualitätswahrnehmung der Verbraucher". In: "Gesunde Landwirtschaft - Gesunde Lebensmittel". Agrarpolitische Fachtagung der FDP-Fraktion am 7. Februar 2003
(6) http://idw-online.de/pages/de/news234820
v. Alvensleben, R.: "Eier von (un)glücklichen Hühnern oder die kognitive Inkonsistenz der Verbraucher". 8. Heidelberger Ernährungsforum "Lebensmittel zwischen Märkten und Meinungen" der Dr. Rainer Wild-Stiftung am 30.09./01.10.2003 in Heidelberg.