Frage an Christel Happach-Kasan von Bernd K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Abgeordnete,
ich habe Ihre ausführliche Begründung gelesen, in der Sie wortreich erklären, warum Sie gegen das vorgeschlagene Antikorruptionsgesetz gestimmt haben. Im Gegensatz zu Ihnen und der schwarz-gelben Koalition, wohl aber mit der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger bin ich der Meinung, dass sich die Grundsätze des Beamtenrechts sehr wohl auch auf Abgeordnete jedweder Coleur problemlos übertragen lassen, wobei der Begriff der Korruption weiter gefasst werden muss als im Beamtenrecht. Warum sind Ihnen die Wähler und die Mitglieder denn in Scharen abhanden gekommen, nachdem öffentlich bekannt geworden ist, dass eine Millonenspende der Mövenpick-Gruppe an die FDP gegangen ist und dort ganz offensichtlich den Meinungsbildungsprozess zugunsten einer Halbierung des Mehrwertsteuersatzes für Hoteliers entscheidend gefördert hat? Watum wird Ihre Partei von aufgeklärten Bürgern nur noch als Interessenvertretung der Freiberufler und Wirtschaftsverbände wahrgenommen? Übrigens, bei den anstehenden Bundestagswahlen werde ich nur nach meinem Gewissen abstimmen.
Sehr geehrter Herr Koch,
Abgeordnete leisten ihren Eid auf die Verfassung und nicht auf Meinungsumfragen.
Artikel 33 ist Grundlage des Berufsbeamtentums, Beamte handeln weisungsgebunden; Artikel 38 legt dagegen fest, dass Abgeordnete allein ihrem Gewissen verantwortlich sind.
Meine Antwort zur Abgeordnetenbestechung war umfassend und faktenreich, weil ich es als wichtig empfinde, die Bürgerinnen und Bürger über dieses Thema zu informieren.
Ihre angebliche Frage bewerte ich als Meinungsäußerung zur Entscheidung des Bundestages, die Mehrwertsteuer für die Beherbergungsbranche zu senken. Vermutlich ist Ihnen nicht bekannt,
1. dass der gesenkte Mehrwertsteuersatz für Beherbergungsbetriebe in Europa die Regel ist – nicht die Ausnahme (23 von 27 Ländern). Nach Deutschland hat auch Lettland dies beschlossen. Bayern ist unser wichtigstes Urlaubsland. Insbesondere für die Betriebe in Bayern und Baden-Württemberg haben die zuvor unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze den Wettbewerb mit den Betrieben in den Nachbarländern verschärft. Dies ist durch die Senkung des Mehrwertsteuersatzes ausgeglichen worden.
2. dass in den Wahlprogrammen aller im Bundestag vertretenen Parteien die Forderung nach einer Senkung der Mehrwertsteuer für das Beherbergungswesen gestanden hat.
3. dass nach einer Studie der FH Westküste die Beherbergungsunternehmen in 2010 und 2011 knapp eine Milliarde € in Neuanschaffungen, Renovierungen, Energieeffizienzmaßnahmen sowie An- und Umbauten investiert haben. Im selben Zeitraum wurden über 11.000 neue Arbeits- und Ausbildungsplätze geschaffen. Für 2012 wurden weitere Investitionen in Höhe von 800 Millionen € sowie 6.000 neue Arbeits- und Ausbildungsplätze geplant.
Bei der Bundestagswahl geben die Wählerinnen und Wählern den Parteien ihre Stimme, von denen sie ihre Interessen am besten vertreten glauben.
Eine Gewissenentscheidung erkennt man daran, dass gerade nicht materielle Gründe im Vordergrund stehen. Es mag sein, dass Sie die Wettbewerbssituation der Pensionen und Hotels in Süddeutschland nicht interessiert, es mag sein, dass sie nicht die Toleranz aufbringen, auch Interessen anderer als legitim anzuerkennen.
Dieses als „Gewissenentscheidung“ auszugeben, erinnert mich als gebürtige Berlinerin an unsere Redewendung: „Ham se´s nich´ ne Nummer jrößer?“
Mit freundlichen Grüßen
Christel Happach-Kasan