Frage an Christel Happach-Kasan von Luis R. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Frau Happach-Kasan ,
in den Medien wird zur Zeit das Eurohawk-Desaster thematisiert. Hunderte Millionen Steuergelder sind wohl in den Jahren verbrannt worden. Was meinen Sie, kann es sich so wirtschaftliches starkes Land wie die Bundesrepublik auf Dauer leisten bei Grossprojekten so viel Steuergeld zu verschwenden?
Wollen Sie in Zukunft dadfür sorgen, mit dem öffentlichen Geldern so umzugehen, als wäre es ihr eigenes und auch im Sinne für die Bürger einzusetzen?
Mit freundlichem Gruss
Sehr geehrter Herr Rodriguez,
Deutschland ist in der Tat, genau wie Sie es schreiben, die führende wirtschaftliche Kraft in Europa. Dazu haben verschiedene schwierige und unpopuläre Entscheidungen beigetragen. Wir haben uns vom kranken Mann in Europa zur führenden Nation entwickelt. Zugleich zögern wir, diese Rolle auch politisch und militärisch anzunehmen. Der "Economist" machte das in diesen Tagen zum Titelthema und zeigt einen Bundesadler, der sein Gesicht scheu hinter einem Flügel versteckt (1). Diese Zögerlichkeit drückt sich auch in einem historisch begründeten Pazifismus aus, der in der ausufernden Kritik an der "EuroHawk"-Beschaffung mitschwingt. So wird dieses unbemannte Aufklärungsflugzeug begrifflich oft mit den fliegenden Kampfpattformen der Amerikaner gleichgesetzt. Das ist genauso absurd, als wenn man einen Bagger mit einem Panzer vergleicht, nur weil beide auf Ketten fahren.
Es gibt tatsächlich politische Entscheidungen, die den Standort Deutschland und unseren Wohlstand schwächen könnten. Die "Euro Hawk" Entscheidung ist mit seinem einmaligen Haushaltsvolumen und gemessen an Sozialprodukt und Staatsverschuldung kein solches Projekt. In Deutschland wurden den Stromkunden im vergangenen Jahr, Tendenz steigend, ein zweistelliger Milliardenbetrag (17 Milliarden in 2012) für die Erneuerbare-Energien-Umlage abverlangt.
Die Abwicklung des Projekts ist nicht akzeptabel. Diese Kritik ist dann deutlich überzeugender, wenn man sie nicht mit überzogenen Szenarien vom "Untergang des Abendlandes" verbindet. Nach Auffassung mancher unserer Bündnispartner tut Deutschland eher zu wenig als zu viel, um seinen Bündnisverpflichtungen in der NATO und im Rahmen der UNO nachzukommen.
Diese Vorbemerkungen sind wichtig, um völlig berechtigte Kritik an der mangelnden Professionalität der Abwicklung des Projekts abzugrenzen von Vorstellungen, wir sollten die Bundeswehr zu einem erweiterten Bundesgrenzschutz unter Leitung eines Heimatschutzministeriums umbauen. Deutsche Außenpolitik, zumal unter liberaler Federführung, kommt ihren internationalen Verpflichtungen nach.
Ihre Frage, ob ich "in Zukunft" mit dem Geld des Steuerzahlers so umgehen werde wie mit meinem eigenen, enthält die Annahme, dass dies in der Vergangenheit nicht so gewesen sei. Das weise ich zurück, wobei immer gilt, wer handelt, kann Fehler machen.
Weder die Presse, noch der Bundesrechnungshof erheben den Vorwurf, der Bundestag (also auch ich) habe bei der Beschaffung des Aufklärungssystems "Global Hawk" irgendeinen Fehler gemacht. Die Entscheidung war richtig und notwendig. Die Kritik richtet sich vielmehr gegen die Umsetzung des Beschlusses durch die Exekutive. Die mutmaßlichen Mehrkosten sind sehr ärgerlich, sind aber weit davon entfernt, ein Haushaltsproblem zu erzeugen. Nur zum Vergleich: Die Kosten der Elbphilharmonie in Hamburg sind von 77 Millionen Euro auf 789 Millionen Euro gestiegen, die Hamburg allein zu tragen hat. Die Entscheidung zum Bau kam übrigens nicht aus der Politik, sondern ist eine private Initiative, angefeuert von lokalen Medien.
Es ist notwendig, sparsam zu wirtschaften, verantwortlich mit dem Geld der Steuerzahler umzugehen. Wer Soldaten in den Einsatz schickt, hat die Verantwortung, sie adäquat auszustatten, auch wenn dadurch Mehrkosten entstehen. Um Ihre Frage aufzunehmen: Würde ich mein Haushaltskonto überziehen, um eine notwendige Erneuerung der Bremsen an meinem Auto zu bezahlen? Selbstverständlich!
Die Fähigkeit zur elektronischen Aufklärung ist von zentraler Bedeutung für die exakte Erfassung militärischer Ziele und zum Schutz der eigenen Streitkräfte. Die RQ-4E "Global Hawk" ist ein unbemanntes Luftfahrzeug zur elektronischen Signal-Aufklärung aus großer Höhe. Es sollte die 1962 bei der deutschen Marine eingeführte und 2010 außer Dienst gestellten mit jeweils 17 Mann besetzten Aufklärungsflugzeuge Breguet Atlantic BR-1150M (2) ersetzen.
(2)http://de.wikipedia.org/wiki/BR_1150_M
Die BR 1550 M (M=Messflugzeug) ist ein Relikt des Kalten Krieges. Es diente der Bundeswehrt zur Aufklärung über die Tätigkeit der Streitkräfte des Warschauer Paktes entlang der 2000 km langen Grenze von Bayern bis zur Ostsee. Die installierten Sensoren wurde von einem amerikanischen Unternehmen produziert, aber von der DSCA, einer US-Behörde des Verteidigungsministeriums, beschafft. Diese sicherte sich für die gesamte Einsatzzeit des Systems das Eigentum und die Teilhabe an den Aufklärungsergebnissen.
Die Aufgaben der Bundeswehr haben sich nach dem Ende des Kalten Krieges fundamental geändert. Eine Grenzüberwachung in der bisherigen Form ist überflüssig, denn wir sind von Freunden umgeben. Dafür trägt die Bundeswehr verstärkt Verantwortung bei Auslandseinsätzen im Rahmen der Vereinten Nationen (UNO) und der NATO. Für dieses Einsatzszenario ist die alte Technik ungeeignet. Es ist auch nicht zu verantworten, 17 Soldaten einer Gefährdung auszusetzen, die nach dem heutigen Stand der Technik überflüssig ist. Hinzu kommt, dass aufgrund der hohen erforderlichen Konzentration bereits nach drei Stunden die Leistung der Soldaten sinkt und die Fehlerquote steigt. Fehlerhafte Aufklärung ist oft ursächlich für spektakuläre Fehler in der Zielerfassung, die zu zivilen Opfern und sogar erheblichen politischen Verwicklungen führen können.
Die Grundsatzentscheidung zum Einsatz eines UAS ("Unmanned aircraft system")für diese Aufgabe war bisher politisch nicht umstritten. Drei Regierungen und drei unterschiedliche Parlamentsmehrheiten haben das Projekt vorbereitet, beschlossen und begleitet. Ich halte diese Grundsatzausrichtung für richtig. Aufklärungsergebnisse unterstützen die politische Entscheidungsfindung des Bundestages, denn die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Es ist deshalb nicht akzeptabel, dass sich Bundestagsabgeordnete auf gefilterte Aufklärungsergebnisse aus dritter Hand stützen müssen. Deshalb ist auch die zweite Entscheidung richtig, nämlich die in Europa entwickelte Messtechnik der EADS zu verwenden, um die volle Kontrolle über die gelieferten Erkenntnisse zu haben.
Die Definitionsphase des Euro Hawk geht bis auf das Jahr 2000 zurück, als die damals noch selbständige Dornier GmbH (heute Teil der EADS) mit vorbereitenden Arbeiten begann. 2002 fanden erste Flugversuche in den USA statt. 2003 wurde eine Maschine in einem 20-stündigen Flug nach Deutschland überführt und in mehreren Flügen über der Nordsee erprobt. 2004 wurde die Sensorik für die Überwachung von Kommunikation in einer Transall C-160 in Manching getestet.
Für die Bundeswehr (d.h. Das Bundesamt f. Wehrtechnik und Beschaffung Koblenz) war die Eurohawk GmbH Vertragspartner, ein Gemeinschaftsunternehmen von EADS und Northrop Grumman. Ende Januar 2007, also zur Zeit der Großen Koalition, wurde der Vertrag über die Lieferung eines Prototyps und die Option auf 4 weitere Systeme unterzeichnet. Der Bundesrechnungshof hat im Mai dieses Jahres nun Unterlagen erhalten, aus denen hervorgeht, dass Abteilungen im Verteidigungsministerium bereits damals einen Schwachpunkt der Vertragsgestaltung erkannt hatten. "Der Spiegel" berichtet darüber am 6.6. mit den Worten: "Schon 2007 - gerade eben erst waren der Vertrag für die Drohne unterschrieben und knapp 90 Millionen Euro ausgegeben worden - vermerkten die Berichte bereits, das Projekt sei wegen der Zulassung "kritisch". Denn der US-Hersteller der Drohne stelle "kaum Unterlagen für die Musterzulassung" zur Verfügung." Und an anderer Stelle: "Viel zu spät, genauer gesagt erst am 8. März 2012, wurden den Prüfern zufolge seine Staatssekretäre und damit auch der [Verteidigungsminister] über die massiven Probleme beim "Euro Hawk" und die Mehrkosten von einer halben Milliarde Euro für eine Flugzulassung des fliegenden Datenstaubsaugers informiert. Danach handelte das Ministerium, so die Prüfer. Man habe zügig nach anderen Fluggeräten für die entwickelte Sensortechnik gesucht und den "Euro Hawk" im Mai 2013 beerdigt."
Warum offenbar bei der Vertragsgestaltung die Eignung/Zertifizierung für den europäischen Luftraum kein Thema war, wird Gegenstand des Untersuchungsausschusses sein, den die Opposition fordert. Dass es sich dabei nicht um puren Formalismus handelt, mag die Tatsache verdeutlichen, dass die USA beim Überführungsflug der Maschine die Überflugrechte verweigerten, so dass ein langer Umweg von der US-Westküste über den Pazifik und über unbewohnten Teil von Kanada erforderlich wurde.
Der Bundesrechnungshof hat gute Arbeit geleistet. Ohne seine Hartnäckigkeit könnte das Parlament seiner Kontrollaufgabe nur ungenügend nachkommen, und bestimmte Abteilungen im Verteidigungsministerium hätten ihr Wissen um die Probleme möglicherweise noch länger vor der politischen Spitze verheimlichen können. Für mich stellen sich, abseits der in Wahlkampfzeiten üblichen Suche nach echten und vermeintlichen Schuldigen folgende Fragen:
1.) Wie kann die Vertragsprüfung hochkomplexer Systeme so erfolgen, dass Fehler wie der hier offenbar gemachte vermieden werden können? Der Bundestag legt die wesentlichen Eckpunkte fest und stellt Mittel bereit. Eine Detailprüfung liegt außerhalb seines Aufgabenbereichs und seiner Möglichkeiten.
2.) Wie kann das seit Jahrzehnten bekannte Problem mit dem politischen Controlling des Verteidigungsministeriums (Rechnungshof: "in hohem Maße kritikwürdig") gelöst werden. Das Eigenleben mancher Abteilungen ist unakzeptabel.
3.) Können wir es uns leisten, auf den Einsatz zeitgemäßer unbemannter Aufklärungstechnik zu verzichten? Dürfen wir aus finanziellen Gründen die Sicherheit von Soldaten gefährden und die politischen Unabhängigkeit des Parlaments durch Verzicht auf leistungsfähige Aufklärung einschränken?
Einfache Antworten, die jedem gefallen, gibt es dafür nicht.
Ich hoffe, es geht der Opposition beim Untersuchungsausschuss um echten Erkenntnisgewinn, und ich hoffe, sie bringt genügend Selbstkritik für eine unbefangene Aufklärung der Vorgänge mit. Wenn der Bundestagswahlkampf vorbei ist, werden wir uns den wirklichen Problemen stellen müssen, die ich in meinen drei Fragen aufgeworfen habe. Die Personalisierung der derzeitigen Diskussion ist unberechtigt und lässt nichts Gutes ahnen: Nach meinem derzeitigen Kenntnisstand wird der Bote für die schlechte Nachricht, die er gebracht hat, geschlagen.
Mit freundlichen Grüßen
Christel Happach-Kasan