Frage an Christel Happach-Kasan von Andreas M. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung
Sehr geehrte Frau Dr. Happach-Kasan,
ich möchte Sie gern kontaktieren, da Sie als Bundestagsabgeordnete aus Schleswig-Holstein Mitglied im Landwirtschaftsausschuss sind.
Die Bundesregierung hat sich im Rahmen internationaler Klimaschutzabkommen auf einen erheblichen Ausbau des Anteils regenerativer Energien bei gleichzeitigem Ausstieg aus der Kernenergie verpflichtet. In Schleswig-Holstein soll vorrangig Windkraft gefördert werden, wozu aktuell eine Verdopplung der Windeignungsflächen geplant ist. Zur Ableitung sollen die Leitungskapazitäten erhöht, also neue Hochspannungsleitungen gebaut werden, über die dann der regenerativ erzeugte Strom nach Süddeutschland geliefert werden soll.
Die Karten zur Windhöffigkeit zeigen, dass in Süddeutschland ca. 15% weniger Wind weht als in Schl.-H. Gleiches gilt - umgekehrt - für die Photovoltaik. Bekannt ist weiter, dass die Leitungsverluste mehr als 1% pro 100 km betragen.
Daraus ergibt sich die Frage, ob der beabsichtigte Leitungsausbau wirtschaftlich ist. Wäre es nicht sinnvoller, im Norden mehr Photovoltaikflächen und im Süden mehr Windkraftanlagen zu installieren? In räumlicher Nähe ergänzt sich doch beides, denn bekanntlich ist es bei windigem Wetter oft bedeckt, während Schönwetterlagen oft windarm sind.
Ergänzt um Biogas und Pumpspeicher für den Spitzenbedarf könnten regionale Kombikraftwerke entstehen, auf neue Leitungstrassen und fossil betriebene Schattenkraftwerke könnte so ggf. ganz verzichtet, sie könnten zumindest minimiert werden.
Daraus ergibt sich meine zweite Frage: Ist es heute schon mit den zur Verfügung stehenden Mitteln möglich, regenerativ erzeugte Energien so intelligent zu vernetzen, dass sie regional die Stromversorgung zu 100% sicherstellen?
Freundliche Grüße aus Hamburg
Sehr geehrter Herr Morgenroth,
"Die FDP will die Nutzung von Windenergie, aber nicht um jeden Preis."
Vor fast genau zehn Jahren, am 18.10.2001, habe ich diesen Satz im schleswig-holsteinischen Landtag gesagt (1). Er gilt in gleicher Weise für jede andere Form der Stromerzeugung: Solarenergie, Biogasanlagen, Wasserkraftanlagen, Erdgas. Gesucht ist jeweils die Energiequelle, die am besten geeignet ist, an einem bestimmten Standort Strom wirtschaftlich, umweltfreundlich und verlässlich zu produzieren. Daraus entsteht ein Mix aus intelligent vernetzten Produktionsanlagen für Strom zusammen mit Stromspeichern wie Pumpspeicherkraftwerken wie das in Geesthacht.
Ihr Hinweis auf die Leistungsverluste bei der Leitung von Strom ist sehr berechtigt und muss berücksichtigt werden. Deswegen war der Betrieb der Kernkraftwerke in der Nähe von Hamburg gerade unter diesem Gesichtspunkt sehr sinnvoll. Der Ersatz der Kernkraftwerke wie auch der Kohlekraftwerke durch dezentrale Anlagen macht den Zubau von Stromleitungen erforderlich. Die leider nicht überall anzutreffende politische Ehrlichkeit gebietet es zu sagen, dass der Umstieg in ein neues Zeitalter der Stromversorgung nicht ohne Lasten für alle Beteiligten zu verwirklichen ist. Es ist ein sehr ambitioniertes Vorhaben. Der Verzicht auf die Nutzung von sieben intakten Kernkraftwerken, vier davon waren im Frühjahr in Betrieb, wird möglicherweise im Winter zu dramatischen Engpässen bei der Stromversorgung führen.
Strom wird benötigt, wo Menschen leben und arbeiten. Eine Raumordnungskarte aus dem Jahre 2005, veröffentlicht bei "Spiegel online", zeigt die Ballungsgebiete: Metropolen wie Hamburg, Berlin, Stuttgart und München, vor allem aber die Agglomerate im Rhein-Ruhr Gebiet (2). Hier ballen sich aber nicht nur Haushalte, sondern auch die Industrie. Hier wird Deutschlands Wohlstand erwirtschaftet. Hier wird Energie benötigt.
Die Verfügbarkeit erneuerbarer Energien deckt sich nicht mit der Bevölkerungsverteilung. Eine europäische Karte der Solareinstrahlung zeigt, dass weite Teile Deutschlands nicht zu den sonnenverwöhnten Teilen Europas gehört (3). Dazu gehört der norddeutsche Raum.
Ihre Aussage, Süddeutschland habe nur 15% weniger Wind als Norddeutschland, findet sich in der Literatur so nicht wieder. Eine Grafik eines dänischen Institutes zeigt die gute Eignung des norddeutschen Raumes und seiner Küstenregion als Standort für Windenergie (4). Angesichts der noch immer erforderlichen finanziellen Förderung der erneuerbaren Energien, die die Stromkunden über das Erneuerbare Energien-Gesetz (EEG) bezahlen, ist es eine besondere Verpflichtung, Windenergie insbesondere dort zu nutzen, wo der Wind besonders stark weht und Sonnenergie dort, wo die Sonne intensiv scheint. Im übrigen: Es ist zunächst nicht die Absicht der Netzbetreiber, Strom von der Nordseeküste nach Bayern zu leiten, wie sie in ihrer Frage andeuten: Ziel des notwendigen Netzausbaus ist vielmehr die Versorgung der Ballungsgebiete im Westen Deutschlands. Der Netzausbau dient aber noch einigen anderen Zielen, zu deren Verständnis man sich die Charakteristik der erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne klar machen muss:
Solarenergie steht in Deutschland zwischen 1300 und 1900 Stunden zur Verfügung - das Jahr hat aber 8760 Stunden (5). Im Jahr 2009 errechnet sich für Deutschland aus der installierten Leistung von 9,8 GWp und der im Jahresmittel wirksamen Leistung von 710 MW (erzeugte Energie von 6.200 GWh/a) die mittlere Einschaltdauer von 821 h. Gemessen an den 8760 Stunden pro Jahr ergibt sich eine mittlere Ausnutzung der Arbeitsfähigkeit von 9,37 %, wenn dabei die halbe im Jahr 2009 zugebaute Leistung als im Mittel des Jahres wirksam berücksichtigt wird (6). Selbst eine weitere dramatische Erhöhung der Effizienz bei der Verwertung diffusen Lichts wird auch nicht annähernd in die Nähe von 50% führen - nachts ist es nun einmal dunkel. Der Anteil der Photovoltaik an der deutschen Stromerzeugung betrug 2010 weniger als 2 %, trotz einer sehr hohen Förderung durch die Stromkunden. Windenergie lieferte die dreifache Menge, knapp 6 %. Aber auch Wind ist ein fluktuierender Energieträger. Selbst wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, muss kontinuierlich und bedarfsgerecht Strom bereitstehen. Derzeit gibt es viel zu wenig Speicherkapazität. Im flachen Norddeutschland aber wird es kaum möglich sein, ausreichend Pumpspeicherwerke zu bauen, um Wind- und Solarenergie zu speichern. Egal ob diese in den norddeutschen Mittelgebirgen oder in Skandinavien stünden, sie benötigten Stromtrassen vom Erzeugungsort zum Speicherort. Wasserstoff als Speichermedium wird immer wieder ins Gespräch gebracht, ohne dass die großtechnische Einsatzreife erreicht worden wäre. Angesichts der massiven Proteste gegen die unterirdische Einlagerung des nicht brennbaren CO² ist es sehr unwahrscheinlich, dass große Speicher für den explosiven Wasserstoff auf Akzeptanz stoßen würden.
Die von Ihnen angesprochenen Biogasanlagen sind keine Spitzenlastkraftwerke. Sie dienen eher der lokalen Versorgung, wobei ein Einsatz dann sinnvoll ist, wenn zugleich die entstehende Wärme genutzt werden kann. Für Ballungsgebiete scheidet der Einsatz aus, und auch der massenweise Anbau des derzeitigen Hauptenergieträgers Mais ist nicht unproblematisch (7). In diesem Jahr wurde auf 2,4 Millionen Hektar Mais angebaut. Für städtische Gebiete sind Biogasanlagen keine überzeugende Alternative.
Gelegentlich liest man in den Medien, eine Gemeinde habe sich praktisch "energieautark" gemacht. Sie fragen nun, ob dieses lokal auch mit erneuerbaren Energien erreichbar sei. Hier muss ich vor einem Trugschluss warnen: Der Strom fließt nicht nur aus der Dose, es steckt praktisch in jedem Produkt, das Sie kaufen. Kein Auto und keine Konservendose, kein PC und kein Möbelstück, kein Haushaltsgerät, keine Bekleidung und kein Teppich können produziert werden, ohne hierfür Energie, darunter insbesondere auch Strom, einzusetzen. Wer energiepolitisch argumentiert, sein persönlicher Haushalt käme allein mit Strom von erneuerbaren Energieträgern über die Runden, deshalb sei ein Netzausbau im Prinzip unnötig, betreibt Etikettenschwindel. Maßstab für eine nachhaltige Energiepolitik muss die verlässliche Versorgung unserer Volkswirtschaft in allen Sektoren sein. Deutschland ist eine Industrienation mit den entsprechenden Erfordernissen.
Neben nationalen Erwägungen sind aber auch internationale Überlegungen anzustellen. Deutschland konnte die abrupte Abschaltung mehrerer Kernkraftwerke nur deshalb ohne erhebliche Probleme bewältigen, weil es in ein europäisches Stromverbundnetz eingebunden ist. In Spitzenzeiten deckt Importstrom den Bedarf, bei Spitzenanfall von Windenergie wird dieser exportiert. Solarenergie hat zwar über Jahre einen Großteil der Förderung erneuerbarer Energien erhalten, ist aber für die Stromversorgung von untergeordneter Bedeutung. Auch unter Wettbewerbsgesichtspunkten ist es positiv, wenn ausländische Anbieter in den deutschen Raum liefern können. Zudem dient das Netz, vergleichbar einer europäischen Autobahn, auch der Durchleitung von Strom in andere Staaten.
Grundsätzlich ist es falsch, bei einem komplexen System wie der deutschen Energieversorgung lediglich Einzelaspekte herauszugreifen und isoliert zu diskutieren. Der seit mehreren Jahren bekannte, noch von einem grünen Umweltminister festgestellte Bedarf von etwa 3500 km zusätzlicher Höchstspannungstrassen wurde noch einmal leicht erhöht und so den veränderten Prämissen durch die Abschaltung von Kernkraft-Grundlastkraftwerken angepasst. Qualitativ bedeutet das nichts grundlegend Neues. Es zeigt aber die Größe der Herausforderung, denn in den letzten zehn Jahren wurden nicht einmal 100 km der erforderlichen Stromleitungen gebaut.
Die Entscheidung, Deutschlands Kernkraftwerke früher als geplant abzuschalten, wurde nicht unter wirtschaftlichen Aspekten getroffen, sondern im wesentlichen aufgrund der geringen Akzeptanz der Kernenergienutzung in der Bevölkerung. Ich hätte mir gewünscht, wenn der Zusammenhang zwischen erforderlichen Netzumbaumaßnahmen und dem Ausstieg aus der Kernenergie klarer kommuniziert worden wäre und ein Zusammenhang zwischen Ausstiegsgeschwindigkeit und Netzumbau festgeschrieben worden wäre. Eine Energiepolitik unter der Überschrift "Ich wasch Euch den Pelz, aber ich mach Euch nicht nass", ist unehrlich (8). Ausstieg aus der Kernenergie und Minderung des CO²-Ausstoßes sind weder zum Nulltarif, noch ohne Ausbau der Energieinfrastruktur und insbesondere des Baus neuer Stromleitungen zu schaffen.
Mit freundlichen Grüßen
Christel Happach-Kasan
Quellen:
(1)http://www.ltsh.de/presseticker/2001-10/18/17-43-14-398f
(2)http://www.spiegel.de/img/0,1020,595352,00.jpg
(3)http://www.paradigma.de/mediadb/11208083/11208084/Globalstrahlung-Europa.jpg
(4)http://www.contexo.net/wiki/images/d/d8/Wind_euro_600.jpg
(5)http://www2.balingen.de/tourist/wetter/sonnenscheindauer.gif
(6)http://de.wikipedia.org/wiki/Photovoltaik
(7)http://www.happach-kasan.de/news-single/1480-beitrag-f-uumlr-das-energiefachmagazin-joule-zum-nawaro-bonus/
(8)http://www.happach-kasan.de/news-single/1725-wasch-mir-den-pelz-aber-mach-mich-nicht-nass-brbemerkung-zu-der-diskussion-um-den-bau-neuer-stromtrassen-fa14r-erneuerbare-energien