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Christel Happach-Kasan
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Frage von Sebastian L. •

Frage an Christel Happach-Kasan von Sebastian L. bezüglich Umwelt

Sehr geehrte Frau Happach-Kasan,

in der EU wird gerade darüber debattiert ob, wann und wie man die offshore Ölbohrungen in der EU noch sicherer machen kann. Haben wir den Blick für das wesentliche verloren? Nigeria (vielleicht halb Afrika) wird zur Kloake der Industriestaaten und versinkt im Öl und Dreck. Die Multinationalen Konzerne machen dort was sie wollen, egal ob den Menschen dort Ihre Lebensgrundlagen zerstört wird oder die Urwälder unwiederbringlich vernichtet werden. Die Manager und verantwortlichen Politiker leben hier im Paradies wo ein Ölwechsel im Wald (zum Glück) hart bestraft wird und moralisch ein absolutes nogo ist. Dort sterben Menschen und die Verursacher werden als „ehrenwerte Gesellschaft“ auf Banketten und Kongressen hofiert...

Was tuen Sie und Ihre Fraktion um diesen Wahnsinn zu beenden ?

MfG Sebastian Lindemann

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Lindemann,

Sie haben recht, die Zustände im Ölfördergebiet vor Nigeria sind dramatisch.

Das rechtfertigt allerdings nicht, die Sicherheit der Ölförderung vor den eigenen Küsten zu vernachlässigen. Dort haben die Bundesregierung und die EU unmittelbaren Einfluss und tragen die Verantwortung. Nach dem Unglück der BP-Plattform im Golf von Mexiko wurden die Informationen analysiert und daraus die erforderlichen Schlüsse gezogen.

Vor der schleswig-holsteinischen Westküste werden jährlich 2 Millionen Tonnen Öl gefördert. Dieses Ölfeld befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Nationalpark Wattenmeer, das von der UNESCO als Weltkulturerbe eingestuft wurde. Als schleswig-holsteinische FDP-Bundestagsabgeordnete, die ich immer die Entwicklung unseres Nationalparks mit Interesse und großer Aufmerksamkeit verfolgt habe, freue ich mich, dass die Ölförderung in der Nordsee sicher und umweltverträglich betrieben wird und der Vorfall im Golf von Mexiko genutzt wird, um aus dortigen Fehlern zu lernen.

Die Ölförderung in der Nordsee begann Mitte der 70er Jahre, im Nachgang zur Ölkrise von 1973. Heute gibt es etwa 400 aktive Förderplattformen. Seitdem die zentrale Nordsee als erschlossen gilt und dort keine Funde mehr erwartet werden, beginnen die Ölfirmen, sich in Richtung des Kontinentalhangs und damit in tieferes Wasser zu orientieren. Seit den 1970ern orientierten sich Shell und BP auch im Gebiet westlich der Shetlandinseln in Wassertiefen von über 500 Metern. Zusammen mit dem Ölunfall im Golf von Mexiko ist das Grund genug, die Sicherheit vor der eigenen Haustür zu überprüfen. Die Frage der sicheren Öl-Förderplattformen darf auch keinesfalls auf die Umweltrisiken reduziert werden. Es geht auch um Leib und Leben der dort beschäftigten Menschen.

Im Jahre 1977 ereignete sich auf „Ekofisk Bravo“ einer der größten bisher stattfindenden Blowouts auf einem Offshore-Ölfeld. In sieben Tagen flossen 23.000 Tonnen Rohöl in die Nordsee und breiteten sich über ein Areal von 40.000 km² aus. Am 27. März 1980 kenterte die Plattform „Alexander L. Kielland“, wobei 123 Menschen ums Leben kamen. Am 6. Juli 1988 zerstörte ein Feuer die „Piper Alpha“. Mit 167 Todesopfern war es der schwerste Unfall auf einer Bohrinsel.

Ihrem Schreiben entnehme ich, dass Sie erwarten, dass die Bundesrepublik Deutschland konkrete Handlungsoptionen hat, um das Geschehen vor der nigerianischen Küste zu beeinflussen. Ich muss Ihnen leider sagen: Unsere Einflussmöglichkeiten in dieser Region als Bundesrepublik Deutschland und als EU sind gering. Das, was möglich ist, wird jedoch getan.

Ich will daran erinnern, dass das Land vom Bürgerkrieg zerrissen, der Zustand der Infrastruktureinrichtungen entsprechend schlecht ist. Nigeria exportiert sein Öl zu mehr als 50% in die USA, der Anteil, der nach Deutschland exportiert wird, liegt unter 3%. Daraus erwächst also keine Handlungsoption.

Wenn Sie Europa als „Paradies für Politiker“ bezeichnen, bedenken Sie: Verglichen mit Nigeria ist es auch ein Paradies für seine Bürger. Dieses „Paradies“ ist auch von Menschen gemacht, Politiker haben daran ihren Anteil. Die Agonie Nigerias hat nicht nur etwas mit internationalen Investoren zu tun, sondern vor allem mit „Bad Governance“, einer gescheiterten Politik, die gekennzeichnet ist durch Militärdiktatur, Kleptokratie und Verletzung von Menschenrechten.

Wenn Sie die Probleme mit der Ölförderung in der Nordsee als vergleichsweise gering ansehen, so liegt das eben auch daran, dass die demokratisch gewählten Regierungen der Anrainerstaaten der Nordsee ihre Hausaufgaben gemacht haben und auch weiter machen werden. Ich empfinde es als etwas absurd, gute Umweltpolitik in den Ländern der EU zum Anlass zu nehmen, „die Politik“ für die Versäumnisse, Defizite und Umweltverbrechen in Afrika verantwortlich zu machen.

Nigeria ist seit 1960 unabhängig. 29 Jahre seines Bestehens herrschten Militärdiktaturen, Putsch wurde von Gegenputsch gefolgt. Ein funktionierendes Staatswesen oder eine intakte Zivilgesellschaft hat sich nie entwickelt. Das Land ist zerrissen in Ethnien und Stämme. Hinzu kommen große religiös motivierte Spannungen und eine ausufernde Korruption. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich die Ölförderung in Nigeria, insbesondere im Niger-Delta. Nigerias Aufstieg zur Ölmacht begann 1956 mit der ersten erfolgreichen Bohrung von Royal Dutch Shell im Nigerdelta. Andere Konzerne folgten, darunter Chevron und Exxon Mobil, Total und Eni. Alle arbeiten seit den siebziger Jahren mit der staatlichen nigerianischen Ölgesellschaft zusammen - nicht freiwillig, sondern im Zuge einer Teilverstaatlichung. Im Zuge der ersten Ölkrise von 1973 entwickelte sich Nigeria zum größten Erdölexporteur des Kontinents. Insbesondere in den neunziger Jahren wurde den Ölkonzernen eine unethische Nähe und Zusammenarbeit mit der damaligen Militärdiktatur vorgeworfen. Erst kürzlich zahlte Shell einen Millionenbetrag an die Familien damals hingerichteter Aktivisten, wie den Aktivisten Ken Saro-Wiwa, allerdings ohne Schuldanerkenntnis. Die Einnahmen aus der Erdölförderung haben nur in sehr geringem Umfang zur Minderung der Armut in Nigeria beigetragen. Die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit GTZ arbeitet seit 1974 in Nigeria und engagiert sich in einer beschäftigungsorientierten Wirtschaftsförderung (http://www.gtz.de/de/weltweit/afrika/594.htm).

Ein besonderes Anliegen ist die Förderung von „good governance“, das heißt die Stärkung der staatlichen Einrichtungen, der Rechte der Zivilgesellschaft, die Bekämpfung der Korruption.

Der Deutsche Bundestag und die FDP-Fraktion beschäftigen sich seit vielen Jahren mit den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Belangen Nigerias. Es führte zu weit, alle parlamentarischen Initiativen hier in dieser Antwort zu nennen; unter dem Schlagwort „Nigeria“ finden sie etwa 200 Fundstellen auf der Internetseite des Deutschen Bundestages (www.bundestag.de). Im Jahre 2007 hat die FDP Fraktion die Situation zum Gegenstand einer Parlamentsanfrage (Drucksache 16/7553) gemacht, deren 18 Teilfragen die ganze Komplexität der Probleme abbildete. In Ihrer Antwort hat die damalige Bundesregierung (Drucksache 16/7672) ein Bild der lokalen Situation gezeichnet.

Die Ursachen für das, was die Wochenzeitschrift "DIE ZEIT" kürzlich die "ganz alltägliche Ölpest" nannte, sind vielschichtig. Manche der 7000 Kilometer Pipelines sind völlig marode - allerdings wird auch die Wartung in einem Land zum Problem, in dem Mitarbeiter der Ölfirmen ständig der Gefahr von Entführungen ausgesetzt sind. Instandsetzungsmittel verschwanden nicht selten in einem Netz von Korruption. Seit 2006 sind es zunehmend Sabotageakte lokaler Gruppen im Delta, die zu den Ölverlusten führen. Die notleidende Bevölkerung wiederum verschärfte ebenfalls die Umweltsituation, denn Öldiebstahl durch angebohrte Leitungen kommen häufig vor. Dabei kommt es immer wieder zu schweren Unglücken, bei den oft hunderte Menschen ums Leben kamen.

Es ist nicht möglich, die Umwelt in Nigeria zu schützen, ohne die seit Jahrzehnten mal schwelenden, mal offen zu Tage tretenden Konflikte zu lösen. In Nigeria fehlen somit wesentliche Voraussetzungen einer wirkungsvollen Umweltpolitik. Zur Situation in den Fördergebieten teilt das von Guido Westerwelle geführte Auswärtige Amt mit:

„In den Ölfördergebieten in der Region des Niger Deltas, das die nigerianischen Bundesstaaten Delta, Bayelsa, Rivers und Akwa Ibom umfasst, kam es seit Jahren immer wieder zu Kämpfen zwischen paramilitärisch organisierten Banden und Sicherheitskräften, aber auch von bewaffneten Gruppen untereinander. Dadurch besteht ein hohes Anschlags- und ein Entführungsrisiko, insbesondere für westliche Ausländer. Seit Anfang Oktober 2009 hat sich die Sicherheitslage beruhigt, da die Mehrzahl der bewaffneten Gruppen ein Amnestieangebot der Regierung angenommen und ihre Waffen abgegeben haben. Angesichts der tiefgreifenden Spannungen in der Region ist zum jetzigen Zeitpunkt noch keine verlässliche Aussage möglich, ob die Beruhigung der Lage dauerhaft sein wird. An vielen Orten des Nigerdeltas gelten nach wie vor verschärfte Sicherheitsvorkehrungen von Polizei und Militär.“

Der von Ihnen angestellte Vergleich zwischen den Problemen in Nigeria mit den Vorsichtsmaßnahmen, in der Nordsee führen deshalb nicht weiter: Deutschland kann weder die Korruption in Nigeria bekämpfen, noch ethnische Konflikte lösen.

Mit freundlichen Grüßen
Christel Happach-Kasan