Frage an Carsten Werner von Nina L. bezüglich Verkehr
Guten Abend!
In Bremen scheint die Akzeptanz des Fahrrades als Verkehrsmittel weiter auf dem Erfolgskurs. In Kaarst, das deutlich kleiner, und eigentlich selbst zu Fuß problemlos zu durchschreiten ist (Büttgen), steigen weiterhin die Mehrheit selbst zum Brötchenholen ins Auto. Es gab neulich konsequenterweise miserable Ergebnisse bei der offiziellen Umfrage zur Fahrradsicherheit und -freundlichkeit. Frage: Was muss zuerst kommen, ein Interesse am Radfahren und darüber Druck, oder vernünftige sichere Radwege? Und wie kann man die Mitmenschen und Lokalpolitiker dazu ermuntern? Bei Ihnen klappts doch ganz gut, vielleicht haben Sie ja einen Ansatzpunkt? Momentan muss ich selbst als lebenslange Radlerin häufig auf die Fußwege ausweichen... die sind allerdings ja auch frei, da die Menschen ja im Auto sitzen.... was läuft in Bremen anders? Wie bekommt man die Leute aus den Autos? Vielen Dank im voraus für die Antwort.
Guten Tag,
vielen Dank für die interessante Frage!
In Bremen gibt es inzwischen eine hohe Akzeptanz für die positiven gesundheitlichen Aspekte des Radfahrens, vielleicht noch vor dem Umweltschutz-Aspekt: Wer Rad fährt, lebt gesünder, hat genug Bewegung, frische Luft, entwickelt Kraft und Widerstandskräfte. Das wurde hier immer mit kommuniziert. Und hier ist Fahrradfahren für Strecken innerhalb der Stadt schlicht die schnellste und effektivste Möglichkeit zur Fortbewegung, auch wenn es um sechs oder acht Kilometer Entfernung geht. Aber auch in Bremen haben SPD und CDU noch 2011 den Wahlkampf mit der so einfachen wie überholten "Wahrheit" bestritten: "Bremen ist eine Autostadt". Das stimmt wirtschaftlich (hier produziert Mercedes als größter Arbeitgeber der Region) - aber das stimmt nicht mehr für die innerstädtische Mobilität und zum Glück nicht mehr für die Freiräume und nicht mehr für alle Straßenräume in der Stadt.
Vom Stadtplaner Jan Gehl haben wir gelernt, dass Fahrradförderung heißt, das Fahrradfahren komfortabel und sicher, vor allem dabei auch SICHTBAR zu machen. Das spricht inzwischen gegen gesonderte Radwege und für Radfahren auf den Straßen - gemeinsam mit Autos, in Angebotsspuren oder auch in Fahrrad-Vorrang-Straßen. Dazu braucht es natürlich eine kritische Masse an RadfahrerInnen, die das auch tun. Dann ist das (sichtbare) Radfahren auf der Straße sicherer als das (gerade an Kreuzungen, Einmündungen, Ausfahrten und Übergängen) oft ungesehene Fahren außerhalb des Straßenraums; schneller ist es natürlich auch.
Wenn wirklich eine Gleichberechtigung der Verkehrsteilnehmer - Autofahrer, ÖPNV, RadfahrerInnen, FußgängerInnen - hergestellt werden soll, muss man auch Vorrechte (auf Raum, auf Verkehrsplanungs- Budgets, auf Straßenbaumittel, letztlich auch im Verkehrsrecht) für KFZ abbauen und mehr für die anderen Verkehrsträger tun und ausgeben.
Insofern würde ich sagen: Ja, man muss die Infrastruktur anbieten, in der Fahrradfahren lukrativ ist. Und lukrativer wird als Autofahren. Dabei "helfen" manchmal schon fehlende Autoparkplätze, komplizierte Einbahnstraßenregelungen und Umfahrungen für Autos, Baustellen - also da ist die Großstadt im Vorteil, die das sozusagen automatisch und von ganz alleine als Problem hat. Dazu gehören dann aber auch Stellplätze für Fahrräder, eigene spezielle Ampelschaltungen, ausgewiesene Radspuren auf der Straße, - und irgendwann sicher auch Umkleiden, Werkstätten, Leih-"to go"-Angebote usw. ... was natürlich alles in der Großstadt einfacher zu realisieren ist und schneller sichtbar und wirksam wird, als in ländlicheren Gebieten.
Für fast alle erdenklichen Anregungen, Tipps, Gedanken und Diskurse zur Mobilitäts-Politik und Fahrradförderung empfehle ich den Blog http://www.urbanist-magazin.de/
Viel Spaß und Glück dabei!
Carsten Werner