Frage an Carsten Werner von Albert C. bezüglich Medien
Sehr geehrter Herr Werner,
folgender Satz im grünen Wahlprogramm versetzt mich in Erstaunen:
"Durch die Schließung des Studios Bremen des Bürgerrundfunks sind jetzt die Kapazitäten in Bremerhaven gebündelt worden. Die Möglichkeiten für NutzerInnen, sich einzubringen, sind durch eine Vielzahl von Kooperationen in Bremen eher gewachsen als geschrumpft."
Ich setze dem meine eigenen Erfahrungen entgegen:
a) die Schließung der Studios war weder gut geplant noch gut durchgeführt, nicht einmal in ordentlicher Form den bisherigen Nutzer/innen kommuniziert.
b) "neue Kooperationsmöglichkeiten" sind teilweise im Sande steckenblieben, schon deshalb, weil sie nicht vorher konzepiert und Ziele vorher identifiziert worden wären. Noch heute sind einige Potentiale notgedrungen ungenutzt.
c) niemand hat diese "Reform" bisher evaluiert oder die vorgenommenen Schritte auch nur genauer sich angesehen. Kritiker und bisherige Nutzer/innen werden statt dessen mit der schlichten Aussage konfrontiert, schließlich könne heutzutage ja jeder etwas bei youtube einstellen, da brauche man keinen Bürgerrundfunk mehr.
Daher frage ich Sie: könnten Sie bitte mal genauer darstellen, wie eine weitere "Modernisierung" des Bürgerrundfunks aussehen soll? Gehören Sie auch zu denen, die eine bloße Schulung der Nutzung des Internets schon als "Medienkompetenz" verstehen? Wie wollen Sie Trends der De-Solidarisierung und Kommerzialisierung des Internets entgegentreten? Wie wollen Sie - wenn denn der Bürgerrundfunk einmal abgeschafft ist - ein gemeinsames Forum schaffen oder erhalten, wo Bürger in Bremen mit Hilfe von Medien miteinander in Kontakt treten und sich gegenseitig aus ihrer jeweiliger Perspektive Erfahrungen vermitteln können? Wie wollen sie die Möglichkeit integrativer Projekte, innerhalb derer Deutsche und Migrant/innen in Bremen zusammen mit Medien arbeiten können, neu schaffen (wenn Sie das bisher Bestehende zusammen mit dem Bürgerrundfunk offenbar beerdigen wollen?
Sehr geehrter Herr Caspari,
vielen Dank für Ihre Fragen und Hinweise!
Ihren konkreten persönlichen Erfahrungen kann und will ich nicht widersprechen. Ich sehe auch durchaus eine Diskrepanz zwischen den Zielen der Studioschließung des Bürgerrundfunks und ihrer Umsetzung und Verwirklichung: Da ist noch sehr vieles zu tun!
Meiner Ansicht nach leidet der Bürgerrundfunk schon seit Jahren daran, dass Programm und Angebote nicht wirklich inhaltlich und fachlich koordiniert und kuratiert werden. Gerade in einer Zeit in der, wie Sie zitieren "ja jeder etwas bei youtube einstellen" oder einen Blog online stellen kann, wäre das aus meiner Sicht aber dringend notwendig. Denn Medienkompetenz zu vermitteln bedeutet für mich gewiss nicht "eine bloße Schulung der Nutzung des Internets" - soweit Sie das technisch meinen: Wie man mit Maus oder iPad umgeht, was Links sind und wie man online einkauft, das erklären heute achtjährige ihren Großeltern - da brauchen wir keine staatlichen Programme in die Gegenrichtung. Wichtig für die "Medienkompetenz" - aller Generationen ist vielmehr die Vermittlung
* der Wertschätzung von Inhalten,
* der Beurteilung der Qualität unterschiedlicher Informationen und Inhalte,
* der Fähigkeit zu tiefgründigem Recherchieren und Überprüfen von Informationen,
* der Befähigung zum Formulieren und Produzieren eigener Inhalte,
* von Kritikfähigkeit,
* einer Diskussions- und Streitkultur,
* von künstlerischen Fähigkeiten.
Denn die schiere Masse an Informationen, Meinungen, kulturellen und kommerziellen Angeboten im Internet und in anderen Medien macht eine Differenzierung ein Einordnung der Inhalte zur größten Herausforderung.
Beim Bürgerrundfunk spielten aber Inhalte, Qualität, Kritik, Diskussion und "Gegenseitigkeit" in der Vergangenheit kaum eine Rolle - weder auf der Produktionsebene noch in der Präsentation des Angebots. Stattdessen wurde lediglich addiert, was beliebige und zufällige Nutzer produzierten. Das halte ich für ein Medienangebot, das gehört/gesehen/gelesen werden will, heutzutage für zu wenig - und für eine Schulung der Medienkompetenz ist es absolut kontraproduktiv, wenn einfach "jeder darf, der will" - und das macht, was er will. Historisch liegt das darin begründet, dass die Offenen Kanäle lange Jahre vor allem 1. die freie Meinungsäußerung unterstützen und 2. technische Fähigkeiten dazu schulen oder zur Verfügung stellen sollten - in den 70er und 80er Jahren hatte das sein Berechtigung. Heute ist beides, wie Sie andeuten, weitgehend überflüssig: Technisch kann jeder überall, jederzeit und fast kostenlos seine Meinung auf verschiedensten Wegen verbreiten.
Ein zeitgemäßer Bürgerrundfunk könnte aus meiner Sicht
* ein nichtkommerzielles Werkstattradio für und von Jugendlichen sein, die ihre Anliegen und Inhalte hier unabhängig von Einschaltquoten, werberelevanten Zielgruppen entwickeln und präsentieren könnten, während sie wertvolle Fertigkeiten für ihr Leben oder spätere Berufe vermitteln bekämen. Das wäre auch als Netzwerkradio der Schulen und Hochschulen denkbar oder/und als generationenübergreifendes Projekt.
* ein nichtkommerzielles Stadtradio der Bürger und Initiativen sein, die hier Stadtpolitik und -kultur medial in Szene setzen thematisieren und begleiten.
* ein lokales medienkünstlerisches und -kulturelles Beteiligungsprojekt sein.
* der Jugendpresse und der Vereinspresse Bremens eine zeitgemäße und unkommerzielle Plattform des Austauschs und der Präsentation bieten. Das sind, zugegeben, Vorstellungen, die dem Programm und Betrieb des Bürgerrundfunks, wie er jetzt existiert und seit Jahrzehnten betrieben wird, ziemlich widersprechen. Zugleich suchen wir aber mit viel Energie und großem Nachdruck nach Möglichkeiten der kulturellen und kreativen Bildung - schulisch und außerschulisch. Vor dem Hintergrund der Finanzsituation Bremens muss der gebührenfinanzierte Bürgerrundfunk dazu meiner Ansicht nach einen Beitrag leisten, zumal er über Mittel verfügt, die im Kultur- oder im Bildungsressort in diesen Dimensionen schlicht nicht vorhanden sind.
Die Grünen wollen den Bürgerrundfunk nicht abschaffen, sondern ihn grundlegend den heutigen Herausforderungen anpassen und als Werkstatt der Öffentlichkeit zugänglich machen - gerade damit Bürger "miteinander in Kontakt treten", sich "Erfahrungen vermitteln" und in integrativen Projekten - von "Deutschen und Migrant/innen", von Jungen und Alten, in der Kombination von Bildung Kultur, Wissenschaft und Politik - "zusammen mit Medien arbeiten können".
An den Zitaten aus Ihren Fragen meine ich erkennen zu können, dass Sie dieser Weg interessiert - das würde mich freuen! Ich hoffe, dass wir recht bald ein Symposium in Bremen veranstalten können, bei dem Modelle, wie ich sie hier nur skizzieren kann, aus anderen Bundesländern und Nachbarstaaten vorgestellt werden können: Die gibt es nämlich.
Mit freundlichen Grüßen,
Carsten Werner