Frage an Carsten Sieling von Elfie T. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Dr. Sieling,
ich habe eine Frage zur Rentenpolitik.
Ich bin 1950 geboren und habe 1964 eine Lehre begonnen. Seitdem habe ich ohne Unterbrechung gearbeitet. Ich habe also 46 Arbeitsjahre hinter mir und bin 60 Jahre alt. Die meiste Zeit habe ich körperlich schwere Tätigkeiten ausgeführt. So ist es nicht verwunderlich, dass ich auch körperlich und nervlich erschöpft bin.
Würde ich aber nach 46 Arbeitsjahren in Rente gehen, müsste ich einen Rentenabschlag von 18 % hinnehmen. Bei meiner zu erwartenden Rente kann ich mir das aber nicht leisten. Womöglich müsste ich noch staatliche Hilfen in Anspruch nehmen. Unwillkürlich zwingt sich mir der Vergleich meiner Arbeitsjahre mit den erforderlichen Dienstjahren bei Politikern, Abgeordneten usw. auf. Von der Höhe der Ansprüche ganz zu schweigen.
Finden Sie diese Politik angemessen und richtig?
Ich meine, die Arbeitsjahre können beim Rentenalter nicht außer Acht gelassen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Elfie Thierfelder
Sehr geehrte Frau Thierfelder,
vielen Dank für Ihre Frage zur Rentenpolitik. Lassen Sie mich zunächst darstellen, welchen gesetzlichen Veränderungen der vorzeitige Renteneintritt für Frauen im Laufe der letzten fünf Jahrzehnte unterworfen wurde:
Mit der Reform des Rentenversicherungsrechts durch das Arbeiterrenten- und Angestellten-versicherungs-Neuregelungsgesetz vom 23. Februar 1957 konnten Frauen vorzeitig ohne Abschläge zu ihrem 60. Geburtstag in Rente gehen. Bedingung hierfür war, dass die Frauen Wartezeit von 15 Jahren erfüllt und sie nach dem 40. Lebensjahr mehr als zehn Jahre Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung geleistet haben.
In den Jahren 1989 und 1992 hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, die vorgezogenen Altersrenten stufenweise abzuschaffen, da sich das Verhältnis zwischen den Beitragszahlern und Leistungsempfängern kontinuierlich verschlechtert hat. Als Gründe hierfür wurden damals die Wirtschaftsentwicklung, die Geburtenzahlen, die längere Lebenserwartung und insbesondere das stark gesunkene Renteneintrittsalter genannt.
Mit den Rentenreformgesetzen der Jahre 1989 und 1992 wurde das Renteneintrittsalter von Frauen und Arbeitslosen auf die Vollendung des 65. Lebensjahres festgelegt. Durch diese Gesetze war ein vorzeitiger Rentenbeginn nur noch für Versicherte mit einem Geburtstag November 1950 oder jünger ab 61 bzw. 62 Jahren möglich. Für ältere Jahrgänge (also Oktober 1950 oder älter) wurde ein vorzeitiger Rentenbeginn ermöglicht. Diese vorzeitige Inanspruchnahme führt aber zu einem dauerhaften Abschlag von 0,3 Prozent pro Monat. Gemäß § 187a SGB VI wurde die Möglichekit eingeführt, die Renteneinbuße bei vorzeitigem Rentenbeginn durch nachträgliche Zahlungen von Beiträgen zu vermeiden.
Im Rahmen des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes aus dem Jahr 1996 wurde die Anhebung des Renteneintrittsalters weiter beschleunigt und gilt seit dem Jahr 2009 für alle Personen des Jahrgangs 1944 oder jünger. Alle betroffenen Frauen können mit 60 Jahren vorzeitig in Rente gehen, was jedoch mit erheblichen Abschlägen von bis zu 18 Prozent verbunden ist.
Durch das Rentenreformgesetz 1999 wurde der besondere Zugang von Frauen zur Altersrente gänzlich abgeschafft. Ein vorzeitiger Renteneintritt mit Abschlägen ist grundsätzlich nur noch für die Jahrgänge bis einschließlich 1950 möglich.
Mit der Einführung der Rente mit 67 ist für Ihren Jahrgang ein Eintritt in die Altersrente mit 65 Jahren 4 Monaten vorgesehen. Die Jahrgänge 1964 und jünger werden erst mit 67 Jahren in Rente gehen können.
Als langjährige Versicherte können Sie jedoch mit den oben erwähnten Abschlägen von 0,3 Prozent pro Monat vorzeitig in Rente gehen. Für Sie käme vermutlich ein vorzeitiger Renteneintritt in den Jahren 2012 oder 2013 mit Abschlägen von jeweils 10,8 oder 8,4 Prozent in Betracht. In jedem Falle sollten Sie sich umfassend von der Deutschen Rentenversicherung bzw. vom SoVD oder VDK beraten lassen.
Politisch bin ich der festen Überzeugung, dass die Regelungen zur Rente mit 67 mit Fehlern behaftet sind. Denn viele Menschen werden, insbesondere wenn sie körperlich schwere Arbeiten wie Sie ausüben, ein theoretisches Renteneintrittsalter von 67 überhaupt nicht erreichen.
Die SPD hat die Probleme der Rente mit 67 erkannt und angegangen. Ende August hat das Präsidium der SPD den Beschluss gefasst, die Einführung der Rente mit 67 so lange auszusetzen, bis mindestens 50 Prozent der 60- bis 64-Jährigen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen.
Die SPD hat damit - im Gegensatz zur schwarz-gelben Bundesregierung - die Überprüfungsklausel des Rentenversicherungsanpassungsgesetzes aus dem Jahre 2007 ernstgenommen und die entsprechenden Konsequenzen gezogen. In den Jahren 2014/2015 wird die SPD die Lage erneut überprüfen und abschließend über die Zukunft der Rente mit 67 entscheiden.
Darüber hinaus fordert die SPD u.a., dass die Möglichkeiten eines differenzierten Renteneintritts-alters geprüft werden müssen. Hierunter fällt insbesondere die dauerhafte Beibehaltung des abschlagsfreien Rentenalters mit 65 Jahren nach 45 Versicherungsjahren sowie für Berufs- und Personengruppen mit besonderen Belastungen wie langjährige Schichtarbeit oder langjährige körperliche Belastungen die Einführung eines flexiblen Renteneintritts.
Daneben sollen Altersteilzeit und Teilrenten gestärkt sowie der Zugang zu Erwerbsminderungsrenten erleichtert und die Leistungen verbessert werden. Zur Vermeidung von Altersamut sollen Selbständige, sofern sie nicht in einem der gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbaren System pflichtversichert sind, in die gesetzliche Rentenversicherung miteinbezogen werden.
Die SPD-Landesorganisation Bremen hat bereits in der Vergangenheit deutlich gemacht, dass sie die Rente mit 67 ablehnt. Leider hat sich die weitreichende bremische Position in der Bundes-SPD nicht durchsetzen können.
Vor diesem Hintergrund sehen wir Bremer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten den Beschluß des Präsidiums, ebenso wie der Vorsitzende des DGB, Michael Sommer, und der Vorsitzende der Gewerkschaft ver.di, Frank Bsirske, als Schritt in die richtige Richtung, an dessen Ende eine deutlichere Korrektur des Rentengesetzes bis zur Abschaffung oder zumindest starken Einschränkung des auf 67 Jahre erhöhten Renteneintrittsalters stehen muss.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Carsten Sieling, MdB