Frage an Carsten Schneider von Frank W. bezüglich Innere Sicherheit
Sehr geehrter Herr Schneider,
Wie kann es sein, dass – obwohl der Internationale Gerichtshof (ICJ) 1996 den Einsatz von Atomwaffen, ja schon die Drohung mit deren Einsatz als grundsätzlichen Verstoß gegen das Völkerrecht verurteilt hat, – dennoch in Deutschland Atomwaffen gelagert und einsatzfähig gehalten werden?
Wie kann es sein, dass – obwohl Deutschland 1974 den Atomwaffensperrvertrag unterschrieben hat, in dem auf Atomwaffen, die Verfügungsgewalt darüber und ihren Einsatz verzichtet wurde, – dennoch deutsche Tornado-Kampfbomber für den Abwurf der in Büchel stationierten US-Atomwaffen bereit gestellt werden und Piloten der Bundeswehr den Einsatz trainieren?
Wie kann es sein, dass – obwohl der Deutsche Bundestag 2010 mit Zustimmung aller Parteien den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland gefordert hat, – die Bundesregierung dennoch der NATO-Entscheidung zustimmt, dass diese Atomwaffen nicht abgezogen, sondern „modernisiert“ werden, was ihre Einsatzfähigkeit wesentlich erhöht?
Wie kann es sein, dass – obwohl Deutschland immer wieder verspricht, sich für das weltweite Verbot aller Atomwaffen einzusetzen, – dennoch die Bundesregierung in der Generalversammlung der Vereinten Nationen gegen ein Atomwaffenverbot stimmt?
Ich bin in großer Sorge angesichts der aktuellen militärpolitischen Entscheidungen der Bundesregierung.
Wie ist Ihre persönliche Meinung zu dieser Thematik?
Mit besorgten Grüßen
Frank Witte
Sehr geehrter Herr Witte,
die SPD setzt sich seit langem für die weltweite Ächtung aller Atomwaffen ein. Unser Ziel ist eine Welt ohne Atom- und Massenvernichtungswaffen. Deshalb bemüht sich die SPD darum – auch und gerade in der Regierungsverantwortung –, dass im Rahmen eines gesamteuropäischen Abrüstungsvertrages die verbliebenen taktischen Atomwaffen aus Deutschland und Europa abgezogen werden. Die SPD unterstützt darüber hinaus regionale Ansätze für Zonen, die frei sind von Massenvernichtungswaffen. Und meine Partei tritt dafür ein, dass alle Staaten, die Atomwaffen besitzen, endlich ihrer Verpflichtung zur atomaren Abrüstung nachkommen.
Im Koalitionsvertrag mit CDU und CSU hat die SPD vereinbart, dass die Bundesregierung sich dafür einsetzen wird, „dass zwischen den USA und Russland Verhandlungen zur verifizierbaren, vollständigen Abrüstung im substrategischen Bereich beginnen“. Das Ziel sind erfolgreiche Abrüstungsgespräche, die die Voraussetzung schaffen für einen Abzug der in Deutschland und Europa stationierten taktischen Atomwaffen. Dieses Ziel, die Bedingungen für eine Welt ohne Nuklearwaffen zu schaffen, haben auch die Staats- und Regierungschefs der NATO bei ihrem Gipfel in Warschau am 8. und 9. Juli 2016 erneut bestätigt.
Deutschland setzt sich seit vielen Jahren in den internationalen Abrüstungsgremien und gegenüber den Nuklearwaffenstaaten für konkrete Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung ein. Die Überzeugung dahinter lautet, dass tatsächliche Fortschritte in der nuklearen Abrüstung nur über einen schrittweisen Ansatz möglich sind, der auf dem Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag beruht und der die Nuklearwaffenstaaten einbezieht.
Solange von Nuklearwaffen eine Bedrohung ausgeht, besteht – in dieser Logik – eine Notwendigkeit zur präventiven nuklearen Abschreckung fort. Deutschland bleibt über die so genannte „Nukleare Teilhabe“ in die Nuklearpolitik und die diesbezüglichen Planungen der NATO eingebunden. Seit Ende des Kalten Krieges haben die USA die Anzahl der in Europa stationierten Nuklearwaffen stark reduziert. Die US-Regierung hat zudem in den letzten Jahren Russland wiederholt Gespräche für weitere Abrüstungsschritte angeboten. Präsident Barack Obama hat dieses Angebot im Rahmen seines Deutschland-Besuchs im Jahr 2013 erneut öffentlich unterbreitet. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass Russland auf diese Gesprächsangebote nicht eingegangen ist. Stattdessen bedient sich Russland einer aus meiner Sicht unverantwortlichen nuklearen Rhetorik.
Die US-Administration hat unter Präsident Obama im Jahr 2010 ein Programm zur Lebensdauerverlängerung alternder Waffensysteme beschlossen („Nuclear Posture Review“). Es umfasst auch die in Europa lagernden US-Nuklearwaffen. Dieses nationale US-Programm folgt der Maßgabe, die für einen Einsatz zur Verfügung stehenden Mittel sowohl glaubwürdig als auch sicher zu halten, ohne dabei neue militärische Fähigkeiten oder Einsatzzwecke zu schaffen.
Der von Ihnen angesprochene Nichtverbreitungsvertrag verbietet die Weitergabe von Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkörpern an Nichtkernwaffenstaaten. Eine derartige Weitergabe von Nuklearwaffen oder Verfügungsgewalt findet im Rahmen der „Nuklearen Teilhabe“ der NATO nicht statt: Die „Nukleare Teilhabe“ in der NATO besteht darin, dass einzelne militärische Basen in Nichtkernwaffenstaaten der NATO von den USA für die Stationierung von Nuklearwaffen genutzt werden. Außerdem sind Nichtkernwaffenstaaten in den Gremien der NATO bei der Beratung und Entscheidung von strategischen Konzepten und Planungen beteiligt. Eine unabhängige Befähigung zum Einsatz von Nuklearwaffen besteht hingegen gerade nicht. Dies entspricht auch den Erklärungen, die die Bundesregierung bereits bei der Ratifikation des Nichtverbreitungsvertrages 1973 abgegeben hat.
Noch immer gibt es weltweit rund 16.000 Atomwaffen. Dass diese Waffen nur totale Zerstörung bringen, haben am Ende des Zweiten Weltkrieges die Atombombenabwürfe auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki im August 1945 gezeigt. Damals starben hunderttausende Menschen, viele tausend mussten unter den Folgen ihr Leben lang leiden.
Ich bin für ein weltweites Verbot von Atomwaffen. Jede Atombombe ist eine zu viel.
Mit freundlichen Grüßen
Carsten Schneider