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Carsten Schneider
SPD
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Frage von Robert W. •

Frage an Carsten Schneider von Robert W.

Sehr geehrter Herr Schneider,

würden sie mir und anderen traditionellen SPD Wählern vielleicht verständlich und glaubhaft erklären weshalb sie für die Vorratsdatenspeicherung gestimmt haben? Die Wählbarkeit ihrer Partei ist mit diesem Abstimmungsergebniss auf absehbare Zeit für mich leider unmöglich geworden.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Wagner,

vielen Dank für Ihre Frage. In seiner 131. Sitzung am 16. Oktober 2015 hat der Deutsche Bundestag dem Entwurf eines „Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten“, bekannter unter dem Schlagwort „Vorratsdatenspeicherung“, mit großer Mehrheit zugestimmt. 404 Abgeordnete stimmten mit Ja, davon 129 Mitglieder der SPD-Fraktion, 148 stimmten gegen das Gesetz, davon immerhin 43 Sozialdemokraten, weitere 7 SPD-Abgeordnete haben sich enthalten.

Bereits daran können Sie sehen, dass die SPD es sich nicht einfach gemacht hat mit dem Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, der ja unstreitig vorliegt. Entscheidend war und ist die Frage, ob der Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist oder nicht.

Ich persönlich glaube das und habe dem Gesetzentwurf deshalb nach umfassender Abwägung aller Argumente zugestimmt. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich hier nicht auf alle juristischen und technischen Einzelheiten eingehen kann.

Im Mittelpunkt der politischen Überlegungen steht für mich das grundsätzliche Vertrauensverhältnis zwischen den mündigen Bürgern und den Einrichtungen ihres Staates. Man mag sich die denkbaren graduellen Abstufungen eines solchen staatsbürgerlichen Vertrauensverhältnisses auf einer Skala vorstellen, auf der vollständiges Misstrauen den einen und vollständiges Blindvertrauen den anderen Pol darstellt.

Nun wenden sich Sicherheitsbehörden und Strafverfolgungsorgane an den parlamentarischen Gesetzgeber mit dem Hinweis darauf, dass sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben zunehmend darauf angewiesen seien, bei Bedarf und Notwendigkeit auf bestimmte Kommunikationsdaten der Bürgerinnen und Bürger zugreifen zu können. Die Begründung erfolgt sehr ausführlich und klingt plausibel.
Als demokratischer Repräsentant der Bürgerschaft könnte man nun grundsätzlich, um das Bild der Vertrauensskala aufzunehmen, den Ausführungen blind vertrauen und zum Beispiel ein „Deutsches Generalüberwachungsgesetz (GenÜwG)“ auf den Weg bringen nach dem Motto: „Wenn es eure Arbeit erleichtert und die Sicherheit erhöht, liebe Polizeibehörden, dann klinkt euch ein in den Datenverkehr und nehmt euch, was ihr braucht. Viel Erfolg!“. Das ist natürlich völlig absurd und auch verfassungsrechtlich indiskutabel.

Aber absurd ist für mich auch die Vorstellung, den zuständigen staatlichen Stellen in völligem Misstrauen jeglichen Zugriff auf private Kommunikationsdaten zu verwehren und damit etwa sehenden Auges Hintermänner, Mittäter oder Gehilfen schwerer Straftaten zu schützen, wenn deren Tatbeitrag sich ausschließlich durch das Kommunikationsverhalten nachweisen lässt.

Das verabschiedete Gesetz trägt diesen Kriminalitätsentwicklungen und dem legitimen Interesse an effektiver Strafverfolgung und Gefahrenabwehr Rechnung, ohne die ebenso berechtigten Interessen der Bürger am Schutz ihrer persönlichen Daten zu vernachlässigen.

So sind die Höchstspeicherfristen denkbar kurz (Telefonverbindungsdaten maximal 10 Wochen, Standortdaten maximal 4 Wochen), die Inhalte der Telefongespräche und Textnachrichten oder die aufgerufenen Internetseiten werden gar nicht erfasst, E-Mails sind komplett ausgenommen. Telekommunikationsanbieter, die die Daten nicht spätestens eine Woche nach Ablauf der Höchstspeicherfrist löschen, riskieren hohe Bußgelder. Polizeibehörden erhalten auf diese Daten zudem nur im Falle des Verdachts auf besonders schwere Straftaten wie Mord und Totschlag und auch dann nur mit richterlicher Genehmigung Zugriff. Berufsgeheimnisträger werden besonders geschützt.

All dies ist auch nach bisheriger Rechtslage möglich, aber durch das Gesetz wird die Datenspeicherung in Deutschland vereinheitlicht. Schon bisher haben Kommunikationsunternehmen Verbindungsdaten zu Nachweis- und Abrechnungszwecken unterschiedlich lange gespeichert, so dass der Erfolg einer polizeilichen Anfrage vom zufälligen Datenmanagement privater Unternehmen abhing. Das will ich nicht.

Ich will selbstverständlich auch keinen „Überwachungsstaat“, der alle Bürger grundlos unter Generalverdacht stellt. Aber ebenso habe ich Vorbehalte gegen ein verbreitetes romantisches Freiheitsverständnis, das Misstrauen gegenüber den staatlichen Sicherheitsorganen derart kultiviert, dass schon aus Anlass einer allgemeinen Verkehrskontrolle George Orwells „1984“ an die Wand gemalt wird.

Das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit muss in einem modernen Rechtsstaat ständig neu verhandelt werden. Deshalb sieht das vorliegende Gesetz auch zwingend eine Evaluierung vor. Spätestens dann werden wir genauer wissen, ob wir als Gesetzgeber den Bürgern hinreichend vertraut und den Sicherheitsbehörden genug misstraut haben oder umgekehrt.

Mit besten Grüßen
Carsten Schneider

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