Frage an Carsten Schneider von Bryan Siering w. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Her Schneider
wie stehen Sie persönlich und auch öffentlich zitierfähig (bitte nicht die Parteimeinung) zur generellen Zwangsmitgliedschaft aller Unternehmen in den Industrie- und Handelskammern / Handwerkskammern?
Wie stehen Sie zur Forderung der grossen Mehrheit der kleinen und mittleren Unternehmen (vgl. Umfragen von Markt-Intern, Die Welt, Impulse etc.) und Handwerksbetriebe, den generellen Kammerzwang, sprich den Zwang zur (Pflicht)Mitgliedschaft zu beenden?
Kennen Sie die von den Kammer-Kritikern vorgelegten Alternativen?
( http://www.kammerjaeger.org/pdfs/alternativen05.pdf )
Werden Sie in Kenntnis dieser Argumente und den aufgezeigten Alternativen sich aktiv auf politischem Weg für eine schnelle Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft in den Kammern einsetzen?
Vielen Dank
Ihr
Bryan Siering
www.nein-zum-zwang.de
Sehr geehrter Herr Siering,
vielen Dank für Ihre Email. Die Industrie- und Handelskammern (IHK) vertreten als eigenverantwortliche öffentlich-rechtliche Körperschaften das Interesse ihrer zugehörigen Unternehmen gegenüber Kommunen, Landesregierungen und regionalen staatlichen Stellen. Dabei nehmen die IHK vielfältige Aufgaben anstelle des Staates wahr. Sie stellen Ursprungszeugnisse aus, nehmen Prüfungen bei der Berufsbildung ab, vereidigen Sachverständige, führen gutachterliche Tätigkeiten für die staatlichen Verwaltungen und für die Gerichte durch und erfüllen gesetzlich festgelegte Informationspflichten. Viele dieser Aufgaben hat der Staat den IHK übertragen. Soweit ich das Wirken der IHK Erfurt überblicke, kann sich deren Arbeit sehen lassen.
Trotzdem befinden sich die IHK in mehrfacher Hinsicht in einer Legitimationskrise. Während die Kammern in der Nachkriegszeit in Westdeutschland und in der Nachwendezeit in Ostdeutschland einen großen Beitrag beim Wiederaufbau leisteten, der wahrscheinlich auch nur durch die öffentlich-rechtliche Organisationsform erbracht werden konnte, stellt gerade diese heute die Existenz der Kammern zunehmend in Frage. Die Pflichtmitgliedschaft in den IHK kann im europäischen Vergleich als eine Wettbewerbsverzerrung gesehen werden. Das Ziel der Europäischen Union ist es, – unter Sicherung der vertraglich garantierten Dienst- und Niederlassungsfreiheit und durch Abbau nicht zu rechtfertigender freiheits- und wettbewerbsfeindlicher Regelungen und Strukturen – einen einheitlichen Dienstleistungsmarkt zu schaffen. Zumindest die Niederlassungsfreiheit des Art. 43 EGV wird durch eine Zwangsmitgliedschaft und deren Folgen beeinträchtigt. Das entscheidende europarechtliche Problem der Vereinbarkeit des IHKG mit dem EU-Recht ist die Niederlassungsfreiheit. Nach mittlerweile vorherrschender Ansicht schützt diese vor jeglicher – auch nicht ausländer-bezogener – Beschränkung. Der mit der Pflichtmitgliedschaft und den damit verbundenen Pflichten – insbesondere in finanzieller Hinsicht – verbundene Eingriff in die Niederlassungsfreiheit ist hier überhaupt nicht mehr zu übersehen.
Ein gemeinsamer Binnenmarkt setzt im wirtschaftsrechtlichen Bereich ein Höchstmaß an Harmonisierung voraus. Insbesondere in den nordeuropäischen EU-Mitgliedstaaten (Großbritannien, Irland, Finnland, Schweden, Dänemark, Belgien), aber auch in Portugal sowie in den nicht der EU angehörenden Ländern Schweiz und Norwegen hat sich ein System privatrechtlich organisierter Handelskammern bewährt. Allein im Hinblick auf eine weiter voranschreitende Harmonisierung ist ein Umbau des Kammersystems über kurz oder lang eine Konsequenz aus der gegenwärtigen Situation.
Mit freundlichen Grüßen
Carsten Schneider