Frage an Carsten Schneider von Johannes B. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Guten Tag!
An unserer lokalen Förderschule(Sonderschule) hat aus dem letzten Abschlussjahrgang keiner einen Arbeitsplatz,bzw. Ausbildungsplatz finden können. In den vorigen Jahren war es sehr ähnlich.
Es handelt sich bei uns um eine ländliche Region, in der es allgemein wenige Arbeitsplätze gibt. Vor hundert Jahren haben diese gering qualifizierte Menschen als Knechte oder Mägde gearbeitet. Ich sage das ganz wertfrei. Immerhin hat sich jemand um die gekümmert und sie versorgt. Heute sind sie natürlich auch versorgt durch das ALG II. Sie sind aber nicht produktiv und das frustriert natürlich.
Woher soll ein Arbeitsplatz auf dem Land für sie kommen? Es müsste ja auch ein Arbeitsplatz sein, bei dem man deutlich mehr als ALG II erhält.
Ich denke es wird auch in 100 Jahren keine ausreichende Zahl an Arbeitsplätzen für gering qualifizierte in unserer Region geben.
Kann man die Menschen nicht als Gegenleistung für staatlich Leistungen zur Arbeit in öffentlichen Einrichtungen verpflichten? Natürlich kann man aus dieser Pflicht entbunden werden, wenn sich ein anderer Job ergibt, aber auf diese Weise wären die gering qualifizierten nützlich tätig.
Mit freundlichen Grüßen,
J.Bruns
Sehr geehrter Herr Bruns,
vielen Dank für Ihre Frage. Der Vorschlag, dass diejenigen, die staatliche Leistungen wie das ALG II erhalten, dafür eine Gegenleistung erbringen sollen, klingt im ersten Moment bestechend gut. Damit wäre doch allen geholfen: Den Arbeitslosen, weil sie nicht zu Hause rumsitzen müssen, sondern sich nützlich machen können, und dem Staat, weil er für sein Geld auch etwas zurückbekommt, zum Beispiel saubere Straßen und Parks oder frisch gestrichene Schulgebäude.
Auf den zweiten Blick hat die Idee aber einen Haken. Genau genommen sogar mehrere. Ein erstes, ganz praktisches Problem: Auch für die Arbeit in öffentlichen Einrichtungen braucht man bestimmte Qualifikationen. Die meisten können vielleicht noch mit einem Besen umgehen, aber schon beim Malerpinsel wird es schwieriger. Sie erinnern sich vielleicht noch daran, dass man vor ein paar Jahren einmal versucht hat, bei der Spargelernte statt polnischer Saisonarbeiter deutsche Arbeitslose einzusetzen – die Spargelbauern waren nicht begeistert!
Ein zweites, gewichtigeres Problem: Öffentliche Arbeit verdrängt unter Umständen private Handwerker und Unternehmer. Stellen Sie sich vor, der Staat müsste für hunderttausende oder gar Millionen Empfänger von öffentlichen Leistungen eine Aufgabe finden – logischerweise würde der Staat dann sehr viel weniger Aufträge an Firmen vergeben, diese müssten ihre Mitarbeiter entlassen, und es wäre wenig gewonnen. Da ist es meines Erachtens sinnvoller, Arbeit in Unternehmen öffentlich zu fördern, auch wenn man hier ebenfalls vorsichtig sein muss, dass man nicht das Gegenteil von dem produziert, was man erreichen will. Verstehen Sie mich also bitte nicht falsch: Für Menschen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Perspektive haben, halte ich besondere Angebote öffentlich geförderter und gemeinwohlorientierter Arbeit für sinnvoll und nötig. Aber ein Allheilmittel sind sie nicht.
Neben diesen praktischen Problemen gibt es auch ein paar grundlegende Bedenken gegen eine Arbeitspflicht für die Bezieher von Arbeitslosengeld und anderen staatlichen Leistungen, die damit zu tun haben, wie wir die Bürgerrechte und das Verhältnis von Staat und Bürgern in unserem Land verstehen. Eine Arbeitspflicht wäre aus meiner Sicht ein so deutlicher Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Menschen, dass dies als generelle Maßnahme nicht in Betracht kommt.
Was können wir also stattdessen tun? Ich glaube, dass der Schlüssel zur Lösung des Problems die Verbesserung von Bildungschancen ist. Bildung ist die große soziale Frage unserer Zeit. Sie eröffnet den Menschen die Chance auf Arbeit, sorgt für Teilhabe und soziale Aufstiegsperspektiven. Dies gilt insbesondere für junge Menschen. Die SPD kämpft deswegen dafür, dass deren Chancen auf eine gute Ausbildung und einen guten Arbeitsplatz nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen. Wir haben zum Beispiel durchgesetzt, dass Jugendliche, deren Ausbildungsplatz fern von ihrem Elternhaus ist, mit einem Wohngeldzuschuss unterstützt werden. Gerade in ländlichen Regionen wie der Ihren kann so etwas helfen. Andere Beispiele sind der Ausbildungsbonus, mit denen Unternehmen belohnt werden, die ihr Ausbildungsangebot aufstocken, und der Eingliederungs- und Qualifizierungszuschuss für Jüngere unter 25 Jahren, die schwer zu vermitteln sind.
Mit Hilfe dieser und anderer Maßnahmen, der Beratung bei der Agentur für Arbeit und engagierter Lehrerinnen und Lehrer wird es hoffentlich in Zukunft auch mehr Absolventinnen und Absolventen Ihrer Förderschule gelingen, einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden. Für diejenigen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt leider dennoch keine Chance bekommen, halte ich ein öffentliches Arbeitsangebot durchaus für sinnvoll. Aber dass deswegen eine generelle Arbeitspflicht eingeführt werden sollte, erweist sich bei genauerem Hinsehen als nicht ganz so gute Idee.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Carsten Schneider