Frage an Carsten Kühl von Christopher G. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Hallo Herr Dr. Kühl,
vielen Dank für die Antwort auf meine vorherige Frage. Ich möchte gerne noch einmal auf das bedingungslose Grundeinkommen zurück kommen: Ich kann die Argumentation der SPD zu diesem Thema nicht nachvollziehen. Was bringt ein Chancenkonto, wenn, laut mancher Studien, in den nächsten Jahrzehnten bis zu 50 % aller Jobs durch Automation wegfallen werden? Selbst wenn all diese Menschen höhere Qualifikationen erreichten, wäre es fraglich, ob es genügend passende Arbeitsplätze für sie gäbe.
Die SPD ist der Meinung, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen die Arbeit von Menschen entwertet - doch was ist mit dem durch Hartz IV bedingten gesellschaftlichen Stigma? Viele Menschen die heute ALG II beziehen werden von der Agentur für Arbeit auf Jobs verteilt, die nicht mit deren eigentlichen Qualifikationen übereinstimmen, damit sie nicht mehr in der Arbeitlosenstatistik auftauchen. Durch den finanziellen und gesellschaftlichen Druck haben diese Menschen kaum Chancen sich auf dem Arbeitsmarkt zu orientieren oder eine ihrer Ausbildung und Wünschen entsprechenden Beschäftigung zu finden.
Glauben Sie nicht, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen hier Abhilfe schaffen könnte?
Sehr geehrter Herr G.,
vielen Dank für Ihre Rückfragen. In Bezug auf die Digitalisierung habe ich einen Ausblick gegeben, worauf es hier aus meiner Sicht ankommt. Gerade im Bereich der Arbeit ist für uns Sozialdemokraten völlig klar, dass sich hier einiges ändern wird. Es werden neue Jobs entstehen und andere Jobs wird es in einigen Jahren oder Jahrzehnten so wie wir sie heute kennen, nicht mehr geben. Wie bereits erläutert, müssen wir deshalb bereits heute darauf reagieren und dürfen diese Entwicklungen nicht verschlafen. Der technische Fortschritt ist in unserer Gesellschaft erwünscht und wird auch nicht aufhaltbar sein. Deshalb muss unsere Gesellschaft sich ebenfalls kontinuierlich fortentwickeln und auf die Folgen der Digitalisierung auch auf dem Arbeitsmarkt reagieren. Ich verweise in diesem Zusammenhang noch einmal auf das Konzept Arbeit 4.0, das unsere Arbeitsministerin Andrea Nahles eingebracht hat.
Das Chancenkonto ist aufgrund dieser Entwicklungen richtig. Es erhöht die Flexibilität und erweitert die Chancen der persönlichen Entfaltung. Die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land haben so die Möglichkeit selbstbestimmt zu entscheiden, wie sie auf die angesprochenen Entwicklungen reagieren. Auch die Maßnahmen im SGB Bereich, die darauf ausgelegt sind, Menschen, die mit ihrer bisherigen Vita keinen Fuß (mehr) auf dem Arbeitsmarkt fassen können, auf eben diesem zu integrieren, sind daher sinnvoll. In diesem Bereich gibt es aber auch aus meiner Sicht noch weiteren Regelungsbedarf, der das gesamte System sozial verträglicher gestalten sollte.
Das Chancenkonto ist meiner Meinung nach ein geeigneter Kontrapunkt zum Bedingungslosen Grundeinkommen, da wir die Vorteile, die dieses Konzept verspricht, ja durchaus anerkennen. Wir verteufeln das Grundeinkommen nicht, sondern kommen in der Abwägung der Vor- und Nachteile eben dazu, dass dies kein geeignetes Instrument ist. Was sich die Befürworter eines Grundeinkommens versprechen, nämlich dass die Menschen hier mehr Möglichkeiten und Chancen der persönlichen Entwicklung erhalten und gezielt in den eigenen persönlichen Lebensweg investieren können, erkennen wir an. Aus unserer Sicht erreichen wir aber eben genau dies mit dem Chancenkonto. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen bringt aber eben auch Nachteile mit sich. So wird, wie bereits angesprochen, der Wert der Arbeit aus unserer Sicht entwertet. Arbeit ist aus Sicht der Sozialdemokratie aber der Schlüssel zur Selbstbestimmung. Wer arbeitet, trägt zu unserer Volkswirtschaftlichen Wohlfahrt bei und erwirtschaftet sich den eigenen Wohlstand. Für den Beitrag zum Gemeinwohl, bietet die Gesellschaft dafür ein soziales Sicherungssystem an. Dass es auf dem deutschen Arbeitsmarkt noch einiges zu regeln gibt, sei an dieser Stelle ausdrücklich erwähnt. Es wird aber kaum überraschen, dass der Aspekt der Arbeit für eine sozialdemokratische Partei, die ihre Wurzeln in der Arbeiterbewegung hat, im Fokus der Selbstbestimmung liegt. Neben der Entwertung der Arbeit birgt das Bedingungslose Grundeinkommen aber noch weitere Nachteile. So werden verschiedene Möglichkeiten der Finanzierbarkeit angeführt. Die Einen argumentieren, dass ein Bedingungsloses Grundeinkommen alle anderen staatlichen Transferleistungen ersetzen soll. Das bedeutet keine Krankenversicherung, keine Pflege-, Rentenversicherung, kein Kindergeld etc. Dies würde aus unserer Sicht aber zu einer Verteilung staatlicher Mittel führen, die wir uns so nicht wünschen, denn eine gesunde, reiche Person ist auf staatliche Mittel nicht angewiesen. Dagegen müssten kranke Personen all ihre Mittel für Gesundheitskosten ausgeben und würden so durch alle Netze fallen. Hierbei darf zudem nicht ignoriert werden, dass die finanziellen Mittel (Summe der bisherigen Transferleistungen) die hier ersetzt werden sollen, ja geringer beschaffen wären, wenn weniger Menschen arbeiten und finanzielle Mittel erwirtschaften. Auch wird von Gundeinkommensbefürwortern häufig angeführt, dass dieses nur für Erwachsene gelten könne/solle. Familien würden dann benachteiligt werden, da ihnen finanzielle Transferleistungen des Staates (z. B. Kindergeld, Krankenversicherung der Kinder etc.) ersatzlos gestrichen werden würden. Andere argumentieren, dass das Bedingungslose Grundeinkommen durch eine sehr hohe Konsum- oder Einkommenssteuer finanziert werden sollte. Auch diese Konzepte haben erhebliche Nachteile. Eine hohe Konsumsteuer reduziert die Kaufkraft, die durch ein Grundeinkommen beschworen wird, doch deutlich. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Preisbildung auf einem freien Markt zudem dazu führt, dass das Grundeinkommen bereits durch grundlegende Bedürfnisse wie Lebensmittel und Wohnen verbraucht ist, da eine Erhöhung der Einkommen auch zu einem relativen Preisanstieg führen. Das Grundeinkommen ist dann u. U. sogar geringer beschaffen als das jetzige Existenzminimum, da die Mittel dann ja nicht nur an diejenigen verteilt werden, die sie brauchen, sondern auch an diejenigen, die gar nicht darauf angewiesen wären. Die Vorteile, die man sich dann aus einem Grundeinkommen erhofft, sind dann nicht mehr gegeben. Eine sehr hohe Einkommenssteuer dagegen würde ja bedeuten, dass diejenigen, die dann noch arbeiten gehen, doppelt belastet werden. Das wäre schlicht unfair.
Sehr geehrter Herr G., ich habe nur einige wenige Gedanken zum Bedingungslosen Grundeinkommen angeführt. Wenngleich ich das Konzept des Bedingungslosen Grundeinkommens in der Politischen Theorie als höchst interessant empfinde, so bewerte ich es in der konkreten Umsetzung jedoch als realitätsfern. Da wir Sozialdemokraten uns aber neuen Ideen nicht verwehren, haben wir das Konzept des Chancenkontos angeführt. Das gesamte Thema ist natürlich sehr komplex und wie ich finde auch hochinteressant. Es sprengt natürlich gänzlich den Rahmen dieser Plattform, wenn wir dieses hier en Detail debattieren würden. Ich lade Sie daher gerne auch zu einer meiner Veranstaltungen ein, um mit mir persönlich ins Gespräch zu kommen.
Mit freundlichen Grüßen
Carsten Kühl