Frage an Carsten Brodesser von Dennis A. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Brodesser,
gestern am späten Nachmittag würde der Kompromiss der Koalitionsspitzen bzgl. der Vorgänge rund um Herrn Maaßen bekannt.
Mein erster Reflex war es, mir mit der flachen Hand kräftig vor die Stirn zu schlagen. So unerklärlich finde ich diesen Vorgang. Das kann sich kein noch so guter Satiriker ausdenken, was Ihre Partei dort mit trägt bzw. im Zusammenspiel mit Herrn Seehofer als Kompromiss innerhalb der Koalition angeboten hat.
Mich veranlasst dieser Vorgang, ganz klar zu hinterfragen ob noch irgendein in Spitzenämtern befindlicher Politiker Anstand genug besitzt, darüber nachzudenken wie die eigenen Entscheidungen und die Entscheidungen der von Ihnen mitgetragenen Regierung bei den Wählern ankommen?
Können Sie sich auch nur im Entferntesten vorstellen, was dieser ganz konkrete Vorgang an Gedanken auslöst und wie sich Nazis wie die von der AfD nun freuen, weil sie die einzigen sind die wirklich von diesem Vorgang profitieren (neben Herrn Maaßen, der aber ja zumindest eine große Nähe zu diesen Nazis zu haben scheint)?
Wie gedenken Sie, dass mir und allen anderen Demokraten in diesem Land zu erklären? Wie sollen wir uns seit gestern Nachmittag entschlossen gegen die diversen Vorwürfe Rechtsradikaler Politiker und Bürger stellen, die die Politikverdrossenheit und ihre eigene Existenz mit genau solchen Entscheidungen begründen?
Was gedenken Sie in diesem konkreten Fall zu tun? Ist der Vorgang für Sie in Ordnung oder haben Sie vor, innerhalb Ihrer Partei und bei der von Ihrer Partei angeführten Regierung zu intervernieren? Wie erklären Sie diesen Vorgang allen denen, die sich entschlossen gegen Rechts und für eine funktionierende Demokratie einsetzen?
Vielen Dank
D. A.
Sehr geehrter Herr A.,
ich danke Ihnen für Ihr Schreiben zur aktuellen Situation in der großen Koalition. Gleichzeitig danke ich Ihnen, dass Sie mir Ihre Sicht zu der Versetzung des ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen geschildert haben.
Auch ich empfand, dass die Versetzung von Herrn Maaßen in den Beamtenstand des parlamentarischen Staatssekretärs einer Beförderung gleich kam. Die am vergangenen Dienstag verkündete Versetzung war ein falsches Signal für die Bevölkerung, was sich auch direkt im neusten Deutschland-Trend ablesen ließ. Die AfD war in der vergangenen Woche erstmals zweitstärkste Partei in Deutschland und hatte die SPD bei der Sonntagsfrage überholt. Ich hatte mir von Anfang an gewünscht, dass Herr Maaßen im Zuge der Verhandlungen in eine Unterabteilung des Innenministeriums versetzt worden wäre.
Eine komplette Amtsenthebung von Herrn Maaßen habe ich jedoch von Anfang an nicht befürwortet, da ein krasses Fehlverhalten seinerseits nicht festzustellen war. Im Nachgang zum Tötungsdelikt in Chemnitz, das von Asylbewerbern begangen wurde, die eigentlich nicht mehr hätten in Deutschland sein dürfen, hat es nicht nur nachvollziehbare und friedliche Formen der Trauer und des Protestes gegeben. Leider mussten wir auch gewalttätige Demonstrationen erleben, auf denen die Wut und die Trauer der Menschen durch Rechtsradikale und Neonazis missbraucht wurden. Hierzu hat sich der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Maaßen in einer Art und Weise öffentlich geäußert, die er vor den zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages selbst als Fehler eingeräumt hat.
Während unser Bundesinnenminister und CSU-Vorsitzende sowie die anwesenden Innenpolitiker der Union die Vorwürfe damit als erledigt ansahen, hat die SPD erklärt, sie hätte kein Vertrauen mehr in die Arbeit von Herrn Maaßen. Wegen dieses fehlenden Vertrauens forderte die SPD die Entlassung von Herrn Maaßen als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz und verknüpfte diese Personalfrage mit dem Fortbestand der Koalitionsregierung.
In der Koalitionsrunde am 13. September konnte der Konflikt nicht einvernehmlich beigelegt werden. Die Parteivorsitzenden haben daraufhin verabredet, bis vergangenen Dienstag nach einer Lösung zu suchen. Gleichzeitig wurde über das Wochenende von allen Koalitionspartnern der Wille zur Fortsetzung der Regierungsarbeit betont.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist eine Behörde, die sich mit äußerst sensiblen und wichtigen Fragen der inneren Sicherheit befasst und daher das Vertrauen der gesamten Bundesregierung braucht. Wenn dies nicht gegeben ist, führt das dazu, dass Erkenntnisse dieser Behörde prinzipiell in Frage gestellt werden könnten. Dies schadet der reibungslosen Arbeit des Amtes und damit auch den Sicherheitsinteressen unseres Landes. Da Herr Maaßen durch sein Verhalten offensichtlich das Vertrauen der SPD verloren hat, sind sein Rückzug und der damit mögliche personelle Neuanfang beim Verfassungsschutz folgerichtig.
Gleichzeitig ist unbestritten, dass Herr Maaßen über eine ausgewiesene Expertise in Sachen öffentlicher Sicherheit und Terrorabwehr verfügt, auf die insbesondere das Bundesinnenministerium nicht verzichten wollte. Daher empfinde ich die gestern gefundene Lösung als angemessen, weil man im Innenministerium nun weiterhin auf die jahrelange Erfahrung von Herrn Maaßen zurückgreifen kann.
Ich hoffe, dass ich Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Carsten Brodesser