Frage an Carsten Brodesser von Heike R. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Dr.Brodesser,
beziehen sich die Target-2 Forderungen an die Bundesbank auf über 900 Milliarden Euro? Wieviel Prozent des deutschen Vermögens machen diese aus?
Sind dies Forderungen, die die Bundesbank nicht fällig stellen kann und die verzinst werden zum Hauptrefinanzierungssatz der EZB, welcher von der Mehrheit der Target-2-Schuldnerländer auf null gesetzt wurde?
Wie kann die Bundesrepublik eine Forderung bilanzieren, die ewig läuft, die sie nicht fällig stellen kann und die einen Zins trägt, der vom Schuldner(?) auf null festgelegt wurde? Wie bekommen wir unser Geld zurück?
Als der Maastrichter Vertrag geschlossen wurde, waren da nicht schon viele Südeuropäische Länder Pleite? It es unrichtig, dass Italien, Portugal und Spanien schon für ihre Staatsschulden 12 Prozent bezahlten, Griechenland gar 25 Prozent? War der Euro deren Rettung, durch den halbierten sich die Zinsen und lösten in Europa einen künstlichen Boom aus? Dann kam die Wahrheit und die Eurokrise schlug mit aller kraft ein. Am Ende hat nur noch Mario Draghi Versprochen den Euro unter allen Umständen zu retten und das EZB QE-Programm für Entspannung gesorgt, kann die Bundesregierung dies abstreiten? Stimmt es, das Banken eine Kernkapitalquote von nur 2 Prozent besitzen???
Wer bürgt und haftet eigentlich für die aberwitzigen Staatsanleihen, die die EZB aufkauft? Doch sicher nicht die Schuldenländer, also wer?
Mit freundlichem Gruß
Dr.med.H. R.
Sehr geehrte Frau Dr. R.,
haben Sie Dank für Ihr Schreiben. Das Target2-System ist ein Clearing- und Dokumentationssystem der europäischen Zentralbanken. Es werden Zahlungsströme aus den verschiedenen Euro-Ländern täglich saldiert („clearing“) und anschließend dokumentiert. Nationale und grenzüberschreitende Zahlungen in Zentralbankgeld werden darüber schnell abgewickelt (zur genauen Funktion der Target2-Salden siehe folgende Informationen der Deutschen Bundesbank: https://www.bundesbank.de/Navigation/DE/Aufgaben/Unbarer_Zahlungsverkehr/TARGET2/TARGET2_Saldo/target2_saldo.html; https://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/FAQ_Listen/t2s_migration.html?searchArchive=0&submit=Suchen&searchIssued=0&templateQueryString=target2; https://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Reden/2017/2017_03_25_wuermeling.html?submit=Suchen&searchIssued=0&templateQueryString=target2&searchArchive=0).
Über Target2 fließen pro Tag im Durchschnitt rund 350.000 Zahlungen im Wert von rund 1,7 Billionen Euro (Quelle: Deutsche Bundesbank). Während eines ganzen Jahres werden vom Target2-System knapp 90 Millionen euroweite Zahlungen in einem Gesamtwert von über 440 Billionen Euro abgewickelt. Diesen Transaktionen können ganz unterschiedliche Geschäfte zugrunde liegen. Denkbar wären die Zahlung einer Warenlieferung, der Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers, die Gewährung oder Rückzahlung eines fälligen Darlehens, die Geldanlage bei einer Bank und vieles mehr.
Fließen nach Deutschland über die Deutsche Bundesbank Gelder aus dem Ausland (beispielsweise für aus Deutschland exportierte Waren), führt dies dort zu Verbindlichkeiten gegenüber einer inländischen Bank (etwa durch Gutschrift des Betrages auf deren Girokonto). Im Gegenzug entsteht eine Forderung der Bundesbank in gleicher Höhe gegenüber der sendenden ausländischen nationalen Zentralbank. Diese wiederum belastet das Konto der sendenden ausländischen Geschäftsbank. Die bei den nationalen Zentralbanken entstehenden Forderungen und Verbindlichkeiten aus einer über einen Tag anfallenden Vielzahl solcher Transaktionen gleichen sich normalerweise nicht vollständig aus. Am Ende des Geschäftstages verbleibende Forderungen und Verbindlichkeiten aller an Target2 teilnehmenden nationalen Zentralbanken werden gemäß einem Abkommen im Eurosystem an die EZB übertragen und dort saldiert. Die so entstehenden Target2-(Netto)-Salden sind demnach das Ergebnis der grenzüberschreitenden Verteilung von Zentralbankgeld innerhalb der dezentralen Struktur des Eurosystems. Das bedeutet in diesem Fall, je stärker Deutschland exportiert, dafür Zahlungen aus dem importierenden Ausland erhält, aber von Deutschland keine weiteren Zahlungen an ausländische Banken erfolgen, der Target2-Saldo der Bundesbank immer weiter ansteigt. Am 31. Mai 2018 betrug dieser Saldo rund 956 Mrd. Euro (Quelle: Deutsche Bundesbank).
Der Target2-Saldo der Deutschen Bundesbank dokumentiert, wieviel Geld aus den anderen Euro-Ländern (saldiert) nach Deutschland geflossen ist. Die Target2-Salden werden sich zurückbilden, wenn Liquidität wieder in die am Target2-System teilnehmenden Banken und Länder zurückfließt. Der aktuell sehr hohe Stand des Saldos ist hauptsächlich ein Ausdruck der Ankaufprogramme von Staatsanleihen im Euroraum, steht aber auch in Zusammenhang mit der starken Importabhängigkeit insbesondere südeuropäischer Länder und den steigenden Kapitaltransaktionen aus diesen Ländern nach Deutschland (siehe dazu den Gastbeitrag von Carl-Ludwig Thiele im Handelsblatt vom 7. Februar 2017: https://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Standardartikel/Presse/Gastbeitraege/2017_02_07_thiele_handelsblatt.html?searchArchive=0&submit=Suchen&searchIssued=0&templateQueryString=target2).
Der politische Einfluss auf das Target2-System ist sehr begrenzt. Es ist begründet durch das dezentrale Zentralbanksystem in Europa. Es handelt sich um ein internes Verrechnungssystem dieser Zentralbanken, die ausdrücklich politisch unabhängig agieren. Daher lässt sich dieses System nicht einfach abschaffen oder ändern. Das bedarf der Zustimmung aller beteiligten Zentralbanken. Wert-berichtigungen und ein vorzeitiger bzw. jahresendlicher Ausgleich sind aus diesem Grund auch nicht möglich. Bei einem Austritt eines Landes aus dem Euroraum verfallen die Forderungen aus dem Target2-System nicht, sondern bleiben gegenüber der jeweiligen Zentralbank weiter bestehen.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit diesen Informationen weiterhelfen und verbleibe mit freundlichen Grüßen
Dr. Carsten Brodesser MdB