Frage an Carsten Brodesser von Hans-Jürgen W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Guten Tag Herr Dr. Brodesser,
meine Frage zielt auf den Fraktionszwang, der wohl doch vorhanden ist, obwohl jeder Abgeordnete nur nach seinem Gewissen handelt und nur diesem verpflichtet ist.
Die Bundeskanzlerin höchstpersönlich, hatte nämlich diesen Fraktionszwang im Zuge der Abstimmung „Ehe für alle“ aufgehoben.
Erklären Sie mir bitte diese Diskrepanz.
Vielen dank.
Mit freundlichen Grüßen
H. W.
Guten Tag Herr W.,
vielen Dank für Ihre Frage zum Thema "Fraktionszwang".
Gemäß Art. 38 GG sind die Abgeordneten des Deutschen Bundestages Vertreter des ganzen Volkes. Sie sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. Ein Fraktionszwang besteht insofern also nicht - wohl aber eine Fraktionsdisziplin, die für ein funktionierendes parlamentarisches Regierungssystem auch erforderlich ist, um die erforderliche Stabilität und Zuverlässigkeit bei der Beschlussfassung zu gewährleisten.
Die Fraktionsdisziplin ist unerlässlich für die Umsetzung von Koalitionsvereinbarungen. Sie stellt ferner eine wichtige Voraussetzung für die arbeitsteilige Bearbeitung der immer komplexer werdenden politischen Themen dar. Kein Abgeordneter kann in allen Fachthemen ausreichende Sachkenntnis haben und muss sich daher an den Meinungen Anderer orientieren. So kann ein Fraktionsmitglied in Teilbereichen die Fraktionsmeinung maßgeblich prägen, während es sich in anderen Teilbereichen darauf verlassen kann, dass die Entscheidungen der Fraktion von darauf spezialisierten Experten anhand von fundierten Argumenten gefällt werden.
Bei richtungsweisenden Entscheidungen (hier z.B. die Diskussion über die Legalisierung der Präimplantationsdiagnostik oder die Sterbehilfe) gibt die Fraktionsführung die Abstimmung frei - hier sollen die Abgeordneten nur nach ihrem eigenen Gewissen entscheiden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Carsten Brodesser