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Burkhard Lischka
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Frage von Heiko E. •

Frage an Burkhard Lischka von Heiko E. bezüglich Familie

Sehr geehrter Herr Lischka,

leider habe ich keine Möglichkeit gefunden, Fragen direkt an den deutschen Bundestag zu stellen. Gibt es diese Möglichkeit nicht?
Zu meinen Fragen an Sie:
Warum sind die Angehörigen von in Deutschland lebenden türkischen Mitbürgern hier in Deutschland versichert, obwohl Sie in der Türkei leben, in Deutschland nicht arbeiten und noch nie in Deutschland waren?
Wie lange existiert dieses Gesetz / diesen Vertrag und warum wurde es / er seinerzeit beschlossen?
Ist diese Regelung heute noch zeitgemäß?
Gibt es diese gesetzliche Regelung noch für andere Nationalitäten in Deutschland?

Für eine ausführliche Beantwortung der Hintergründe wäre ich Ihnen sehr dankbar.

Mit freundlichen Grüßen
Heiko Erxleben

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Erxleben,

vielen Dank für Ihre Anfrage via Abgeordnetenwatch. Sie können selbstverständlich auch direkt Fragen an den Bundestag stellen, alle vorhandenen Möglichkeiten finden Sie im nachfolgenden Link: https://www.bundestag.de/service

Nun zu Ihrer eigentlichen Frage:

In der Türkei lebende Familienangehörige eines in Deutschland krankenversicherten Arbeitnehmers erhalten im Krankheitsfall Leistungen der Krankenversicherung ihres Wohnsitzstaates. Die der Krankenversicherung des Wohnsitzstaates hierdurch entstehenden Kosten werden von der deutschen Krankenversicherung erstattet. Rechtsgrundlage dieser Regelung ist das deutsch-türkische Abkommen vom 30. April 1964 über Soziale Sicherheit.

Bei dieser Regelung handelt es sich jedoch nicht um eine Besonderheit des von Deutschland mit der Türkei geschlossenen Sozialversicherungsabkommens. Sie entspricht vielmehr langjährigem internationalen Standard, wie er bereits seit vielen Jahrzehnten üblich ist. Solche Regelungen finden Anwendung in der allgemeinen Praxis sowohl des zwischenstaatlichen Sozialversicherungsrechts (bilaterale Sozialversicherungsabkommen) als auch des überstaatlichen Sozialversicherungsrechts (EU-Regelungen über Soziale Sicherung - VO (EG) Nr. 883/2004 -). Sie beinhalten u. a., dass sich der Versicherungsschutz in aller Regel nicht nur auf den in Deutschland wohnenden Arbeitnehmer beschränkt, sondern zusätzlich auch die nicht erwerbstätigen Familienangehörigen, die im Herkunftsland des Versicherten wohnhaft geblieben sind, einbezieht.

Um nicht in jedem einzelnen Behandlungsfall eine verwaltungsaufwändige Abrechnung mit der Krankenversicherung des Wohnsitzstaates der Familienangehörigen durchführen zu müssen, erfolgt die Abrechnung der Kosten in Bezug auf die Türkei durch kalenderjährlich zu vereinbarende Monatspauschalbeträge je Familie. Diese Beträge basieren auf den Durchschnittskosten der in der Türkei geschützten Personen nach dortigem Recht und berücksichtigen die durchschnittliche Zahl der dort wohnenden Familienangehörigen. Bei der Abrechnung wird auf das dortige Kostenniveau abgestellt (also auf den durchschnittlichen monatlichen Aufwand je Familie in der jeweiligen Landeswährung). Der vereinbarte Monatspauschalbetrag wird je Familie unabhängig von der Zahl der anspruchsberechtigten Familienangehörigen gezahlt. Das pauschalierte Abrechnungsverfahren verringert den Verwaltungsaufwand wesentlich und liegt daher auch im Interesse der deutschen Krankenkassen.

Für das Jahr 2016 belief sich der vereinbarte vorläufige Monatspauschalbetrag für die Betreuung einer Familie in der Türkei auf umgerechnet 40,90 Euro. Der türkischen Krankenversicherung wurden für dieses Abrechnungsjahr bislang insgesamt umgerechnet rund 4,43 Mio. Euro von der deutschen Krankenversicherung erstattet (Stand 11/2017). Demgegenüber beliefen sich die Gesamtausgaben der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 2016 auf rund 223 Mrd. Euro. Diese Zahlen zeigen, dass der Anteil der gegenüber der Türkei zu leistenden Erstattungsbeträge noch nicht einmal 0,002 Prozent der Gesamtausgaben der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung ausmacht. Das ist keine beitragssatzrelevante Größe.

Der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung entstehen durch diese Regelungen keine Mehrbelastungen, sondern sogar erhebliche Einsparungen. Die Ausgaben der Krankenkassen wären deutlich höher, würden die Familienangehörigen nicht in ihren Heimatstaaten leben, sondern ihr Recht nach Deutschland nachzuziehen bzw. hier zu wohnen, in Anspruch nehmen. Dies wird deutlich, wenn man berücksichtigt, dass sich im Jahr 2016 die Kosten der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung je Versicherten im Durchschnitt auf monatlich rund 260 Euro beliefen. Hinzu kommen die bereits oben erwähnten erheblichen Einsparungen an Verwaltungskosten durch das unbürokratische Verfahren der Monatspauschalbeträge.

Im Fall der Kostenabrechnung auf der Grundlage von familienbezogenen Monatspauschalbeträgen richtet sich der Kreis der anspruchsberechtigten Familienangehörigen nach den Rechtsvorschriften des Wohnsitzstaates der Familienangehörigen. Zum anspruchsberechtigten Personenkreis gehören daher die Ehefrau, sofern sie nicht selbst versichert ist, und die minderjährigen Kinder eines Versicherten. Zu der immer wieder aufgestellten Behauptung der Mitversicherung einer Zweitfrau ist zu sagen, dass bereits seit dem Jahr 1926 in der Türkei nur die Einehe möglich ist.

Eltern eines Versicherten mit Wohnsitz in der Türkei sind nur dann ausnahmsweise anspruchsberechtigt, wenn sie nicht ohnehin leistungsberechtigt nach den türkischen Rechtsvorschriften aufgrund einer eigenen Versicherung (z. B. wegen sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung) oder der Versicherung einer anderen Person sind, sie dabei nicht über eigene Einkünfte bzw. Eigentum verfügen und der unterhaltsverpflichtete Versicherte ihnen gegenüber tatsächlich Unterhaltsleistungen erbringt. Geschwister eines Versicherten gehören nicht zu den anspruchsberechtigten Personen.

Es wird zusätzlich immer wieder vorgetragen, dass Eltern eines türkischen Versicherten, wenn sie sich nach Deutschland begeben, hier zu dem versicherten Personenkreis gehörten und folglich Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen erhielten. Hierzu ist zu sagen: Bei Verlegung des Aufenthalts nach Deutschland gilt deutsches Krankenversicherungsrecht mit der Folge, dass Ansprüche des v. g. Personenkreises gegenüber der deutschen Krankenversicherung nicht bestehen; Eltern werden nach deutschem Recht nicht von der Familienversicherung erfasst.
Die Zahl der anspruchsberechtigten Familienangehörigen von in Deutschland versicherten Personen geht seit Jahren zurück (u.a. kleinere Familiengrößen, kontinuierliche Ausweitung der türkischen gesetzlichen Krankenversicherung).

Aufgrund des Sozialversicherungsabkommens kommt es daher nicht, wie gerne von rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien behauptet, zu einer ungerechtfertigten Besserstellung ausländischer Versicherter in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung. Das Sozialversicherungsabkommen steht im Einklang mit internationalen und supranationalen Standards, wie sie innerhalb der EU bestehen, und wird strikt eingehalten.
Durch die Anwendung des deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommens entstehen der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung keine Mehrbelastungen, sondern bei Familienangehörigen, die in der Türkei verbleiben und somit nicht zu den deutlich höheren deutschen Sätzen medizinisch versorgt werden müssen, sogar Einsparungen.

Daher erübrigt sich auch die Antwort auf Ihre Frage, ob diese Regelung noch zeitgemäß ist.

Mit freundlichen Grüßen
Burkhard Lischka